Zu Besuch in Hamburg: Die Frau, die den Bundeskanzler schlug
Es ist ein Aufsehen erregender Film beim Filmfest Hamburg: Am Montag feierte die Dokumentation „Klarsfeld“ in Hamburg Weltpremiere. Und in der ersten Reihe des Metropolis-Kinos saß das inzwischen hochbetagte Paar, das mit seiner Jagd auf Nazi-Verbrecher Geschichte schrieb. Die MOPO traf Serge (87) und Beate (83) Klarsfeld, um mit ihnen über ihren Kampf, über Ohrfeigen, Autobomben und die Gefahr eines Krieges zu sprechen.
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Es ist ein Aufsehen erregender Film beim Filmfest Hamburg: Am Montag feierte die Dokumentation „Klarsfeld“ in Hamburg Weltpremiere. Und in der ersten Reihe des Metropolis-Kinos saß das inzwischen hochbetagte Paar, das mit seiner Jagd auf Nazi-Verbrecher Geschichte schrieb. Die MOPO traf Serge (87) und Beate (83) Klarsfeld, um mit ihnen über ihren Kampf, über Ohrfeigen, Autobomben und die Gefahr eines Krieges zu sprechen.
Fast 55 Jahre sind vergangen, seit die gebürtige Berlinerin Beate Klarsfeld dem damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger eine Ohrfeige verpasste und damit die Nazi-Vergangenheit des deutschen Regierungschefs öffentlich anprangerte. Die Ohrfeige ist zentrales Thema in dem britischen Film „Klarsfeld: A Love Story“, der am Montag im Metropolis lief und am Dienstag in der Hapag-Lloyd-Zentrale. Denn sie machte Beate Klarsfeld im wahrsten Sinne des Wortes auf einen Schlag berühmt.
Serge Klarsfeld in Hamburg: „Ich bin sehr stolz auf meine Frau“
Im Kaminzimmer des „Grand Élysée Hotel“ am Dammtor greift Ehemann Serge Klarsfeld nach der Hand, die die Ohrfeige austeilte. „Ich bin sehr stolz auf meine Frau. Sie hat es geschafft, das Ansehen Deutschlands zu rehabilitieren. Sie hat der Welt gezeigt, dass es gute Deutsche gibt, die Verantwortung für die Vergangenheit übernehmen und alles dran setzen, dass so ein Verbrechen nie wieder geschieht“, sagt Serge Klarsfeld.
Dass seine Frau diejenige wurde, die sie ist, nämlich die hartnäckigste Nazi-Jägerin der Welt, hat auch viel mit ihm selbst zu tun. Denn der junge Mann, der das Au-Pair-Mädchen Beate 1960 in der Pariser Métro ansprach, ist selbst ein Holocaust-Überlebender. Er wurde nur deshalb nicht deportiert, weil sein Vater ihn, seine Schwester und die Mutter im Wandschrank versteckte und sich selbst den Nazi-Schergen stellte, um die Familie zu schützen. Arno Klarsfeld wurde in Auschwitz ermordet.
Beate Klarsfeld folgte den Nazi-Verbrechern bis nach Südamerika und sorgte für deren Auslieferung
Die Geschichte ihres Mannes einerseits und die Notwendigkeit, sich als Deutsche im Frankreich der 60er Jahre zu orientieren andererseits – das war es, was Beate Klarsfeld zu ihrer klaren Haltung brachte. Sie demonstrierte, wo sie nur konnte, sie legte die NS-Vergangenheit zahlreicher bundesdeutscher Politiker offen, sie reiste nach Südamerika und spürte dort versteckte Nazi-Täter auf.
„Ich wollte den Opfern des Nationalsozialismus nicht nur mein Bedauern ausdrücken, wie es sonst alle machten“, betont Beate Klarsfeld. „Ich wollte zeigen, dass sich etwas ändert.“
Wie ernst es ihr dabei war, zeigte sich 1983, als der SS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie von Beate Klarsfeld in Bolivien enttarnt wurde. Später wurde er in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch der ehemalige Gestapo-Chef Kurt Lischka wurde nur aufgrund der Bemühungen des Ehepaars Klarsfeld verurteilt, ebenso wie der Eichmann-Stellvertreter Alois Brunner – wenn auch nur in Abwesenheit.
Die Klarsfelds überlebten nur knapp zwei Bombenanschläge
Dafür begaben die Klarsfelds sich in Lebensgefahr. Einmal bekamen sie eine Paketbombe zugestellt, die zum Glück nicht explodierte. Ein anderes Mal zerstörte eine Autobombe den Wagen der Klarsfelds, nur kurz bevor Serge die Tochter zur Schule bringen wollte.
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Einschüchtern lassen haben sich die Klarsfelds davon nicht: „Man kann sich vor einem Anschlag nicht schützen. Man braucht einfach Glück“, sagt Serge Klarsfeld. „Nur um unsere Kinder hatten wir wirklich Angst“. Seine Kinder nicht beschützen zu können, so wie sein Vater es für ihn tat – das war für den Rechtsanwalt und Historiker die schlimmste Vorstellung.
Der Kampf um Gerechtigkeit hört für die Klarfelds nie auf
Trotz ihres hohen Alters – für die Klarsfelds ist der Kampf um Gerechtigkeit nie vorbei. Erst vor zwei Jahren begleitete Beate Klarsfeld einen Zeugen zum Stutthof-Prozess nach Hamburg. Die aktuellen Entwicklungen, das Erstarken rechter Parteien überall in Europa, machen den Klarsfelds große Sorgen: „Ich habe das Gefühl, wie steuern auf einen Krieg zu“, sagt Serge Klarsfeld und ist dabei zutiefst erschüttert. „Die junge Generation weiß nicht mehr, was Krieg bedeutet. Was es heißt, Gewalt zu erleben, nichts zu essen zu haben. Die Leute sind erschöpft von all dem, was sie haben und wünschen sich etwas anderes, ohne genau zu wissen, was.“
Und Beate Klarsfeld ergänzt: „Die Menschen müssen wählen gehen. Sie müssen die pro-europäischen Parteien wählen. Denn sie sind es, die für den Zusammenhalt in Europa sorgen und damit auch für den Frieden.“