Die letzte Maniküre: „Ich schminke lieber Tote als Lebende“
Früher machte sie die Lebenden schön – heute die Toten: Die Kosmetikerin Bettina Strang wollte beim Beauty-Wahn nicht mehr mitspielen und sattelte auf Bestatterin um. Kein Job für schwache Nerven – aber einer, in dem sie selbst in den dunkelsten Momenten immer wieder schöne Erfahrungen macht.
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Früher machte sie die Lebenden schön – heute die Toten: Die Kosmetikerin Bettina Strang wollte beim Beauty-Wahn nicht mehr mitspielen und sattelte auf Bestatterin um. Kein Job für schwache Nerven – aber einer, in dem sie selbst in den dunkelsten Momenten immer wieder schöne Erfahrungen macht.
22 Jahre hat sie in der Kosmetikbranche gearbeitet. Nach dem Studium, dass sie nach vier Semestern abbricht, weil „die Uni und ich nicht zueinander passten“, absolviert Bettina Strang Mitte der Neunziger Jahre erst eine Ausbildung zur Kosmetikerin, steigt dann in ihrer Heimatstadt Bonn in das Studio ihrer Mutter ein.
Die Arbeit am Menschen macht ihr Spaß. Auch nach dem Tod ihrer Mutter und dem Umzug nach Hamburg – um einfach mal aus Bonn rauszukommen – bleibt die Mittdreißigerin noch lange der Branche treu. Sie gibt Seminare und schreibt Marketingtexte für eine Firma aus dem Bereich medizinische Kosmetik.
Doch da ist etwas, was in Bettina arbeitet. Die Frage: Was haben wir davon, wenn wir uns alle zu Tode tunen? Will ich wirklich Teil dieses Selbstoptimierungssystems, dieser Welt zwischen Beauty und Botox sein? Menschen beraten, wie sie noch glatter, straffer und angeblich schöner werden? „Du bist übermimisch“, hat eine Kollegin zu ihr einmal ganz beiläufig gesagt und damit wohl gemeint, dass ihr Gesicht zu lebendig ist, wenn sie spricht, wenn sie Gefühle zeigt. „Da solltest du mal was machen.“
Praktikum beim Bestatter: Neugier auf das Thema Tod
Doch es bedarf eines einschneidenden Erlebnisses, bis Bettina bereit ist zum Bruch mit einer Berufswelt, mit der sie immer mehr fremdelt. 2017 wird sie von einem alten Schulfreund vergewaltigt, den sie besucht hat. Danach leidet sie unter Panikattacken. Die Mittvierzigerin denkt viel nach über sich, sucht sich erst therapeutische Hilfe und dann einen neuen Job. Sie will etwas ändern in ihrem Leben und macht sich als Texterin selbstständig.
In dieser Zeit bleibt ihr Blick bei einem Spaziergang durch Eimsbüttel, wo sie inzwischen lebt, am Schaufester von Trostwerk hängen, ein Beerdigungsinstitut, das „andere Bestattungen“ anbietet. Seit langem spürt Bettina in sich eine Neugier auf alles, was mit dem Thema Tod zu tun hat und so beschließt sie, „mal beim Bestatter hinter die Kulissen zu gucken“ und sich hier um ein Praktikum zu bewerben.
Bettinas Großeltern sind bei ihren Eltern zu Hause gestorben, ihre Mutter hat sie liebevoll gepflegt. Sie selbst hatte nie ein Problem damit, den toten Körper der Großmutter zu berühren, damals als sie gerade 16 war. Nur dass der Bestatter die Verstorbene so übermäßig aufgehübscht hat, mit toupierten Haaren und rosigen Wangen, das mochte Bettina nicht, weil es so künstlich aussah.
Wenige Monate nach dem Praktikum bietet Trostwerk Bettina eine Festanstellung an. Spontan denkt sie: „Nee, ich werde doch nicht Bestatterin, wie verrückt ist das denn!“ Doch wenige Tage später sagt sie zu ihrer eigenen Überraschung zu.
Zweieinhalb Jahre ist Bettina Strang nun dabei. Organisiert die Überführungen und die Einäscherung der Toten, begleitet sie Angehörigen auf ihrem Weg durch Abschied und Trauer, gestaltet mit ihnen die Särge und auch die Trauerfeiern.
Statt Kosmetikstudio: Bettina Strang schminkt Verstorbene
Vieles belastet an der Arbeit im Bestattungsinstitut. Einmal zog Bettina eine Kanüle aus dem Arm eines Toten, und plötzlich floss viel Blut. Ein anderes Mal musste sie einem Mann, bei dem ein Luftröhrenschnitt gemacht worden war, das Loch im Hals zunähen.
Vor allem aber sind es die Schicksale der Angehörigen, die ihr nahegehen, wenn etwa Eltern vor ihr sitzen, deren Kind sich das Leben nahm. Dann heißt es mitfühlen ohne mitleiden, um sich selbst zu schützen. Und wenn Trauernde in ihrem Schmerz zu einnehmend sind, heißt es sich abzugrenzen, um für sich selbst zu sorgen, damit genug Kraft und Energie für das eigene Leben bleiben.
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Doch von den Angehörigen der Verstorbenen bekommt sie viel zurück: „Ich spüre oft eine ganz warme und intensive Dankbarkeit, wenn der zusammen beschrittene Abschiedsweg für eine Familie wertvoll war und ich wahrnehme: Auch in dieser schrecklichen Zeit, dieser dunklen Stunde, gab es für die Angehörigen Momente, die sich tröstlich angefühlt haben oder sogar schöne Momente waren.“
Ein wichtiger Teil von Bettinas Arbeit ist die Totenfürsorge, etwa wenn die Angehörigen am offenen Sarg Abschied nehmen wollen. Statt wie früher die Lebenden, macht Bettina Strang nun die Toten schön. „Ich will sie nicht künstlich aufhübschen, aber ihnen ihre natürliche Schönheit und Würde und manchem vom Todeskampf abgekämpften Gesicht die Entspannung zurückgeben“, sagt sie. „Wohlwollend dem Körper gegenüber“, so wie sie schon ihren Beruf als Kosmetikerin verstanden hat. Und manche Verstorbene, der es zu Lebzeiten wichtig war, gepflegte Hände zu haben, erhält von Bettina Strang gar noch eine allerletzte Maniküre.