„Als wenn alles fliegt“: Hamburgs erste Eisenbahn war eine Riesensensation
Es muss für die Hamburger damals ein unerhörtes und unvergessliches Ereignis gewesen sein, als sich am 17. Mai 1842 Norddeutschlands erste Eisenbahn schnaubend und zischend in Bewegung setzte. 180 Jahre sind vergangen. Der Platz vor den Deichtorhallen – heute eine belebte Kreuzung – ist damals Standort des ersten Hamburger Bahnhofs. Die Hanseaten rissen sich um die Tickets – die Erföffnung aber wurde von einem tragischen Ereignis überschattet.
„Wenn man aus dem Fenster schaut“, schrieb Kupferschmied Hinrich Henningsen im August 1843 an seine Eltern nach Flensburg, „so ist es, als wenn alles fliegt.“ Rund 40 Stundenkilometer schnell war die Bahn – eine Geschwindigkeit, die uns heutzutage nur ein mildes Lächeln abverlangt. Die Zeitgenossen in der Mitte des 19. Jahrhunderts empfanden das als atemberaubend. Nach 20 bis 30 Minuten war das Dampfross am Ziel in Bergedorf angekommen – Pferdefuhrwerke hatten bis dahin für diese Strecke weit mehr als zwei Stunden gebraucht.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Neukunden lesen die ersten 4 Wochen für nur 1 €!Unbeschränkter ZugangWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Es muss für die Hamburger damals ein unerhörtes und unvergessliches Ereignis gewesen sein, als sich am 17. Mai 1842 Norddeutschlands erste Eisenbahn schnaubend und zischend in Bewegung setzte. 180 Jahre sind vergangen. Der Platz vor den Deichtorhallen – heute eine belebte Kreuzung – ist damals Standort des ersten Hamburger Bahnhofs. Die Hanseaten rissen sich um die Tickets – die Erföffnung aber wurde von einem tragischen Ereignis überschattet.
„Wenn man aus dem Fenster schaut“, schrieb Kupferschmied Hinrich Henningsen im August 1843 an seine Eltern nach Flensburg, „so ist es, als wenn alles fliegt.“ Rund 40 Stundenkilometer schnell war die Bahn – eine Geschwindigkeit, die uns heutzutage nur ein mildes Lächeln abverlangt. Die Zeitgenossen in der Mitte des 19. Jahrhunderts empfanden das als atemberaubend. Nach 20 bis 30 Minuten war das Dampfross am Ziel in Bergedorf angekommen – Pferdefuhrwerke hatten bis dahin für diese Strecke weit mehr als zwei Stunden gebraucht.
Der Dänenkönig tat alles, um die Eisenbahn zu verhindern
1825 hatte in England, dem Mutterland der Industrialisierung, die Geschichte der Eisenbahn begonnen. Nachdem seit 1835 zwischen Nürnberg und Fürth das erste deutsche Dampfross verkehrte – der berühmte Zug mit dem Namen „Adler“ –, wollte auch Hamburg nicht länger zurückstehen. Favorisiert wurde der Bau einer Schienenstecke bis zur Hansestadt Lübeck, Hamburgs wichtigstem Handelspartner.
Doch aus einer direkten Verbindung zwischen den beiden bedeutenden Hafenstädten wurde zunächst nichts. Der Grund: Die Gleise hätten über holsteinisches Gebiet verlegt werden müssen, aber der dänische König, um dessen Hoheitsgebiet es sich handelte, hatte kein Interesse daran, dass Hamburg noch mehr prosperierte, und verweigert seine Zustimmung.
So kam es am 18. Dezember 1838 lediglich zur Gründung der Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn-Gesellschaft. Bergedorf gehörte auch damals schon zu Hamburg, und deshalb konnte kein fremder Landesfürst sein Veto einlegen. Was allerdings nicht heißt, dass es keinen Widerstand gegeben hätte: Binnenschiffer protestierten, weil sie die Konkurrenz beim Gütertransport fürchteten. Bergedorfs Schmiede hatten starke Bedenken: Kommen weniger Kutschengespanne aus Hamburg, werde das weniger Arbeit und Umsatz zur Folge haben, so ihre Sorge. Es gab auch Ärzte, die gegen die Eisenbahn wetterten, fürchteten sie doch, dass die „unerhörte Geschwindigkeit“ Reisende krank machen werde.
Der englische Ingenieur William Lindley leitete den Bau der Eisenbahn
Doch der Fortschritt war wie immer nicht aufzuhalten: Der englische Ingenieur William Lindley, der später auch Hamburgs erste Kanalisation konstruierte, übernahm die technische Leitung beim Bau der Eisenbahn. Als Erstes ließ er die Festungsbastion Bartholdus abtragen, die sich auf dem heutigen Deichtormarkt befand, und ließ dort nach Plänen von Alexis de Chateauneuf den ersten Bahnhof errichten.
Das könnte Sie auch interessieren: Spektakulärer Arbeitskampf 1983: HDW-Arbeiter besetzen ihre Werft
Währenddessen begannen Arbeiter damit, einen 16,1 Kilometer langen schnurgeraden Damm aufzuschütten, auf dem das Gleis bis zum künftigen Bahnhof Bergedorf verlaufen sollte. Zur gleichen Zeit wurden bei der Firma Stephenson & Co im britischen Newcastle die vier Lokomotiven gebaut: „Hansa“, „Berlin“, „Magdeburg“ und „Hannover“ lauteten ihre Namen.
Die Eröffnung der ersten Eisenbahn Norddeutschlands war eigentlich schon für den 7. Mai 1842 vorgesehen. Doch in der Nacht auf den 5. Mai brach in Hamburg der „Große Brand“ aus, der weite Teile der Stadt zerstörte. Viele Einwohner starben, Zigtausende verloren ihr Zuhause. Angesichts dieser Tragödie wurden die Eröffnungsfeierlichkeiten abgesagt. Ihren Betrieb aufgenommen hat die Bahn trotzdem – sie brachte Hunderte von Verletzten und Obdachlosen in Sicherheit und transportierte Bergedorfer Feuerwehrleute in die Innenstadt, die bei der Brandbekämpfung helfen wollten.
Am Tag der geplanten Einweihung stand Hamburg in Flammen
Der reguläre Verkehr der Bahn wurde dann mit zehntägiger Verspätung aufgenommen, am 17. Mai. 800 Passagiere rissen sich an diesem Tag um die Billetts. Schaffner gaben strenge Anweisungen: Niemand durfte während der Fahrt aufstehen. Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, dass es nicht erlaubt sei, sich aus dem Fenster zu lehnen. Schließlich löste der Lokomotivführer die Bremsen, der Zug setzte sich unter großem Hallo der Schaulustigen in Bewegung.
Acht Schilling kostete wochentags eine Fahrt in der 2. Klasse, sonntags zwölf. Wer in der bequemeren 1. Klasse reisen wollte, musste zwölf bzw. 20 Schilling berappen. Sehr viel Geld damals. Dennoch zählte die Eisenbahn-Gesellschaft im Jahr 1843 rund 200.000 Fahrgäste.
Dabei handelte es sich vor allem um Ausflügler, die die waldreiche Umgebung Bergedorfs erkunden wollten. In der Nähe des Zielbahnhofs war als Attraktion für die Touristen das sogenannte italienische Viertel errichtet worden mit drei Ausflugslokalen, die die Namen „Frascati“, „Colosseum“ und „Portici“ trugen. Kutschfahrten nach Geesthacht, Lüneburg und in den Sachsenwald wurden angeboten. Die Hamburger entdeckten dank der Eisenbahn ihre Umgebung.
Unfälle gab es kaum: Nur im Juli 1842 ereignete sich ein kleiner Zwischenfall, weil eine der Sperren kurz vor dem Hamburger Bahnhof nicht ordnungsgemäß verschlossen war. Der Wind warf das Tor gegen den Zug, drei splitternde Fensterscheiben waren die Folge. Auch zu Anschlägen auf die Bahn kam es: Einmal versuchten Unbekannte, den Zug mit Steinen zum Entgleisen zu bringen. Ein anderes Mal war eine Pumpe zur Füllung der Wasserbehälter am Schleusengraben zerstört und alle Schläuche zerschnitten.
Das könnte Sie auch interessieren: Die Geschichte der ersten Eisenbahn Norddeutschlands im Podcast
Von Anfang an war es der Plan, die Bergedorfer Eisenbahn eines Tages bis nach Berlin zu verlängern. Bereits nach vier Jahren war es so weit. Allerdings wurde für die am 15. Dezember 1846 eröffnete Berlin-Hamburger Bahn eine etwas weiter nördlich verlaufende Trasse über Büchen gewählt, daher brauchte Bergedorf einen neuen Bahnhof – der alte, von dem Teile übrigens bis heute erhalten sind, verlor seine Funktion. Dagegen konnte der sogenannte „Bergedorfer Bahnhof“ in der Hamburger City weiter genutzt werden. Er wurde 1846 erweitert und in „Berliner Bahnhof“ umbenannt. Die Betreibergesellschaft der Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn ging in der Berlin-Hamburger Eisenbahn-Aktiengesellschaft auf.
In den darauffolgenden Jahren erhielt Hamburg immer mehr Bahnlinien, sodass es in der City um 1900 herum vier Endbahnhöfe gab – einen für jede Himmelsrichtung: Außer dem „Berliner Bahnhof“ gab es an der Spaldingstraße den Lübecker Bahnhof (für den Verkehr von und nach Lübeck), am Hühnerposten den Bahnhof Klosterthor (für die Verbindungsbahn Altona–Hamburg) und in der heutigen HafenCity den Hannoverschen Bahnhof (für den Verkehr nach Hannover, ins Ruhrgebiet und nach Paris).
Dieses Chaos galt es so schnell wie möglich zu beseitigen, denn der Personenverkehr auf der Schiene nahm immer mehr zu und das Umsteigen zwischen den vier Endbahnhöfen war für die Fahrgäste unerträglich. Außerdem mussten die Schnellzüge zwischen dem Klostertorbahnhof, dem Berliner und dem Hannoverschen Bahnhof im Schritttempo über die auf Straßenniveau liegenden Gleise geleitet und durch Posten, Ketten oder Schranken gesichert werden. Das Gleiche galt für die Züge, die von Altona in die City fuhren. Für den stark wachsenden Straßenverkehr in der boomenden Stadt war das ein großes Hindernis.
Höchste Zeit also, alle Bahnlinien in einem Zentralbahnhof zu vereinen und die Bahntrasse auf einen Damm zu verlegen. 1899 wurden Verträge zum Bau des Hamburger Hauptbahnhofs ratifiziert. Die Architekten Heinrich Reinhardt und Georg Süßenguth siegten zwar in einem Gestaltungswettbewerb, aber ihr Entwurf wurde nie umgesetzt, weil Kaiser Wilhelm II. persönlich sein Veto einlegte. Vor allem die ausgeprägten Jugendstil-Elemente des Siegerentwurfs fand er „einfach scheußlich“.
Hamburgs Hauptbahnhof: Nach dem Gare du Nord der wichtigste in Europa
Nachdem die Pläne überarbeitet und im Stile der Neorenaissance abgeändert waren, begannen 1903 die Bauarbeiten. Das Gebäude des Hamburger Hauptbahnhofs wurde auf dem Gelände des einstigen Stadtwalles errichtet: Eine Bahnsteighalle aus Eisen mit gewaltigen Dimensionen entstand. Sie ist 150 Meter lang, 114 Meter breit, 37 Meter hoch und hat eine Spannweite von 73 Metern. Bis heute handelt es sich dabei um die größte freitragende Bahnhofshalle Deutschlands.
Nach drei Jahren Bauzeit war Hamburgs gewaltiger Hauptbahnhof 1906 fertig. Alte Fotos von der Einweihung zeigen Honoratioren der Stadt mit Frack und Zylinder. Eine Kapelle spielte muntere Musik. Und zur Feier des Tages wurden 300 Arbeiter mit Butterbroten, Eiern und Zigarren bewirtet. Ein Freudenfest. Drei Tage später begann der fahrplanmäßige Verkehr.
Rasch entwickelte sich der Hauptbahnhof zum wichtigsten Schienenknoten des Nordens: Zigtausende Auswanderer auf dem Weg zu den Schiffen nach Amerika machten hier Station. Und in beiden Weltkriegen rollten von hier Truppentransporter Richtung Schlachtfeld.
Heute ist Hamburgs Hauptbahnhof nach dem Pariser Gare du Nord der Bahnhof mit der zweithöchsten Zahl an Reisenden in Europa: Auf 14 Gleisen fahren täglich über 800 Züge des Fern- und Nahverkehrs und rund 1200 S-Bahnen. Rund 550.000 Menschen strömen täglich über die Bahnsteige und es werden immer mehr. Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks rechnet in 20 Jahren mit rund 750.000 Fahrgästen pro Tag, denn dann sollen auch die neue S 4 und die U 5 im Hauptbahnhof halten.
Nun wird der Hauptbahnhof fit gemacht für die nächsten 100 Jahre
Schon lange denken Deutsche Bahn und Stadtentwicklungsbehörde an einen Umbau, um den Hauptbahnhof fit zu machen für die nächsten 100 Jahre. Sechs Entwürfe schafften es in die Endrunde eines Gestaltungswettbewerbs, und im Dezember 2021 kürte die Jury den Siegerentwurf.
Das könnte Sie auch interessieren: Gabriele Maus war das erste Nachkriegs-Mannequin
Die auffälligste Veränderung: Eine Südhalle mit Glasdach, die quer an die jetzige südliche Fassade Richtung Hühnerposten anschließen und so eine Passage zwischen Innenstadt und St. Georg überdachen soll. Bisher gibt es das alles nur in der Fantasie und in Visualisierungen der Architektenbüros. Bis zur Umsetzung wird es noch lange dauern. Bis nach 2030, so die Schätzung.