Anschlagsserie sorgt für Entsetzen: Italiens „fünfte Mafia“ wird immer brutaler
Der Süden Italiens ist Mafia-Land. Zwischen Sizilien und Apulien dominieren die Clans weite Teile der Gesellschaft – meist ohne, dass man davon etwas mitbekommt. Nun allerdings gibt es eine heftige Eskalation der Gewalt in der Provinz Foggia, am Sporn des italienischen Stiefels. Dort herrscht eine Mafia-Gruppierung, die derzeit die vielleicht brutalste aller Vereinigungen ist.
Alte Kirchen, schöne Plätze, gutes Essen, leckerer Wein: Foggia ist eine Stadt, wie sie in Italien zuhauf existieren – einladend, aber weitgehend unbedeutend. Von den rund 150.000 Einwohnern arbeiten viele in der Landwirtschaft oder im Dienstleistungssektor, denn außer ein bisschen Tourismus gibt es hier, im Süden Italiens, am Stiefelsporn, nicht viel. Keine Industrie, keine Technologie, keine großen Firmen. Das gilt nicht nur für Foggia selbst, sondern auch für die nach ihr benannte Provinz, ein Gebiet etwa halb so groß wie Schleswig-Holstein.
Das bedeutet aber nicht, dass Foggia ein verschlafenes Nest wäre, in dem Jahr und Tag nichts passiert. Im Gegenteil: Stadt und Provinz werden derzeit von einer Serie brutaler Verbrechen erschüttert.
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Der Süden Italiens ist Mafia-Land. Zwischen Sizilien und Apulien dominieren die Clans weite Teile der Gesellschaft – meist ohne, dass man davon etwas mitbekommt. Nun allerdings gibt es eine heftige Eskalation der Gewalt in der Provinz Foggia, am Sporn des italienischen Stiefels. Dort herrscht eine Mafia-Gruppierung, die derzeit die vielleicht brutalste aller Vereinigungen ist.
Alte Kirchen, schöne Plätze, gutes Essen, leckerer Wein: Foggia ist eine Stadt, wie sie in Italien zuhauf existieren – einladend, aber weitgehend unbedeutend. Von den rund 150.000 Einwohnern arbeiten viele in der Landwirtschaft oder im Dienstleistungssektor, denn außer ein bisschen Tourismus gibt es hier, im Süden Italiens, am Stiefelsporn, nicht viel. Keine Industrie, keine Technologie, keine großen Firmen. Das gilt nicht nur für Foggia selbst, sondern auch für die nach ihr benannte Provinz, ein Gebiet etwa halb so groß wie Schleswig-Holstein.
Das bedeutet aber nicht, dass Foggia ein verschlafenes Nest wäre, in dem Jahr und Tag nichts passiert. Im Gegenteil: Stadt und Provinz werden derzeit von einer Serie brutaler Verbrechen erschüttert.
Anschläge zu Jahresbeginn sind nichts Neues
Seit Jahresbeginn gab es bereits neun Bombenanschläge. Zuletzt traf es San Severo, eine Kleinstadt etwa 30 Autominuten nördlich von Foggia. Anfang vergangener Woche explodierte dort mitten in der Nacht ein Sprengsatz in einem Friseurgeschäft, kurz darauf noch einer in einem Laden für Feuerwerk. Zwei weitere Detonationen in einer Parfümerie und einem Autohaus gab es in der Woche davor. Auch in Foggia selbst und im Touristenort Vieste an der Adriaküste wurden Bomben gezündet, die Explosionen trafen ein Restaurant, einen Kaffee-Transporter, einen Blumenladen und ein Privathaus.
Tatsächlich sind Anschläge wie diese zu Jahresbeginn nichts Neues in Foggia. Auch in den ersten zwei Wochen 2021 sowie 2020 gab es jeweils mehrere Explosionen in der Provinz. Die Zeitung „Il Fatto Quotidiano“ schreibt: „Es ist eine Art Ritual, um die Region daran zu erinnern, wer das Sagen hat.“
Die Società Foggiana ist die „Fünfte Mafia“ Italiens
Das Sagen hat in Foggia und Umgebung die Mafia, genauer gesagt die Società Foggiana (SF). Sie ist eine Untergruppierung der Sacra Corona Unita, der Mafia Apuliens. Letztere gilt neben der ‚Ndrangheta in Kalabrien, der Camorra in Kampanien und der Cosa Nostra auf Sizilien als „Vierte Mafia“ Italiens. Weil die SF jedoch mit Abstand die größte und aktivste Gruppe innerhalb der Sacra Corona Unita ist, wird sie manchmal sogar als eigenständige, „Fünfte Mafia“ bezeichnet. Sie ist „wild, brutal, ein bisschen primitiv“ beschreibt sie Staatsanwalt von Foggia, Ludovico Vaccaro im Interview mit dem Newsportal „Avvenire“.
Der Journalist und Mafia-Whistleblower Roberto Saviano sagte schon 2013 über sie: „Die Società Foggiana ist die von den Medien am meisten ignorierte Mafia-Gruppe, aber sie ist sehr mächtig und brutal.“ Vielleicht sogar die derzeit brutalste Mafia in Italien. In den letzten 35 Jahren gab es in und um Foggia mehr als 300 Morde. Getötet wurden Polizisten, Ermittler, Gang-Mitglieder, Familienangehörige, Unbeteiligte. Der nationale Anti-Mafia-Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho bezeichnete die SF vor rund einem Jahr als „Staatsfeind Nummer 1“.
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Denn die SF ist nicht nur äußerst brutal, sondern hat ihre Finger bei fast allen illegalen Aktivitäten in der Provinz im Spiel: Drogenschmuggel, Waffenhandel, Prostitution. Ihre Kernkompetenz aber ist Erpressung. Schätzungen zufolge zahlen 80 Prozent der ortsansässigen Betriebe Schutzgeld an die lokale Mafia.
Corona traf auch die Mafia
War die SF in der Vergangenheit bereits gnadenlos, so hat ihre Skrupellosigkeit in den letzten Jahren sogar noch zugenommen. Aber warum nun die Eskalation?
Experten sehen darin vor allem zwei Gründe. Zum einen hat Corona auch in der Schattenwirtschaft Spuren hinterlassen. Die jüngsten Anschläge in Foggia und Umgebung seien „unverhohlene, eklatante Gesten“ gewesen, schreibt „Il Fatto Quotidiano“, „Akte, die in der Sprache der Kriminellen eine eindeutige Botschaft transportieren: Zahlt euer Schutzgeld!“
Die wichtigste Einnahmequelle der SF sprudelte während der letzten beiden Jahre nicht immer zuverlässig, deswegen versuchten die Mafiosi, „das im Lockdown wegen der Pandemie verlorene Geld zurückzubekommen“, vermutet die Zeitung „Corriere della Sera“.
Die Foggia-Mafia will ihren Machtanspruch erneuern
Zum anderen will die SF wohl ihren Machtanspruch erneuern. „Die Mafia versucht, auf die Schläge zu reagieren, die der Staat den Clans in den vergangenen Monaten versetzt hat“, sagte Anti-Mafia-Bezirksstaatsanwalt Roberto Rossi zur Zeitung „La Repubblica“. In der Tat hatten sowohl die Provinz- als auch die nationale Regierung in Rom das Problem mit der Foggia-Mafia lange unterschätzt – wodurch die SF überhaupt erst so stark werden konnte. Seit Cafiero de Rahos Ansage wurden aber verstärkt Polizeikräfte und Ermittler geschickt – mit Erfolg: Es gab erste Verhaftungen und Beschlagnahmungen.
Die aktuelle Anschlagsserie könnte entsprechend als Zeichen verstanden werden: Wenn ihr uns hart bekämpfen wollt, schlagen wir umso härter zurück – und zwar in aller Öffentlichkeit. Die SF „ist eine laute Mafia, die auf sich aufmerksam macht“, sagt auch Andrea Leccese, ein Mafia-Experte und Autor von Malapuglia, einem 2019 erschienenen Buch über die Mafia in Apulien. Im Gegensatz zur SF gehe zum Beispiel die Cosa Nostra auf Sizilien meist diskreter und durchdachter vor, so Leccese. Offene Akte der Gewalt würden dort eher vermieden, um nicht die Aufmerksamkeit von Polizei und Regierung auf sich zu ziehen.
„Die Situation von Foggia ist weiterhin kritisch“
Die aktuelle Gewaltserie hat mittlerweile auch Innenministerin Luciana Lamorgese auf den Plan gerufen. Bei einem Besuch in Foggia sagte sie Anfang der Woche, der Staat wolle „ein klares Zeichen“ setzen, es werde „maximale Aufmerksamkeit“ auf die Provinz Foggia gelegt, um der Kriminalität Herr zu werden. Deshalb soll nun vor allem in Sachen Personal massiv aufgestockt werden, so Lamorgese.
Da sei auch dringend nötig, sagt Staatsanwalt Vaccaro: „Die Situation von Foggia ist weiterhin kritisch. Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft, denn in dieser Gegend herrscht große Armut. Eine kulturelle Armut, eine Bildungsarmut, eine soziale Armut und – auch als Folge des Handelns der organisierten Kriminalität – eine sehr große wirtschaftliche Armut.“ All das seien Faktoren, die nicht so einfach zu beseitigen sind. Die Mafia werde nach jedem Schlag durch den Staat zurückkehren, ist er sich sicher. Ziel sei daher ein langfristiger Wandel, bei dem auch die Bevölkerung mitziehe.
Ein Beispiel könnte der Fall der Parfümerie Afrodite sein, einer der von der SF attackierten Läden. Nach dem Anschlag schwappte über das Besitzerpaar eine Welle der Solidarität hinweg. Zahlreiche Menschen unterstützten sie mit aufmunternden Nachrichten bei Facebook und ganz praktisch beim Beseitigen der Schäden. Schon zwei Tage nach dem Anschlag konnte die Parfümerie wieder eröffnen.