Ankerherz-Kolumne: Was Lotsen in einem Sturm riskieren
Klippen der englischen Küste und Häuser des Dorfes Robin Hood‘s Bay sind am Horizont hinter den Wellen zu erkennen, unter einer weißen Wand aus Gischt. Die Route, die der Kapitän der DFDS-Fähre „Princess Seaways“ gewählt hat, verläuft ungewöhnlich dicht vor der Insel. Er will den bis zu sechs Meter hohen Wellen von Sturm „Benjamin“ entgehen.
Seekranke gibt es dennoch an Bord. Es ist nicht viel los beim Frühstücksbuffet, und vor der Rezeption an Deck 6 lagen in der Nacht einige Verzweifelte, die es in ihren Kabinen nicht mehr aushielten. Die Crew verteilt seit der Abfahrt unentwegt Spucktüten.
Die Tücken des Sturms auf hoher See
Ich denke an Marco, einen Lotsen aus IJmuiden, der beim Einchecken in den Niederlanden neben mir stand, nicht zu übersehen mit seinem orangefarbenen Overall und der Aufschrift „Pilot“. Er hatte auf der Brücke der Fähre, die er zuvor in den Hafen brachte, sein Funkgerät vergessen.

Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.
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Wie schwierig ist seine Arbeit im Sturm? Zur Antwort kramte er sein Handy aus der Tasche, tippte aufs Display und hielt es mir hin. „Schau es dir an!“ Das Video zeigt einen Helikopter, der sich über wilder Nordsee dem Deck eines Tankers nähert. Die Tür öffnet sich, ein Mann steigt auf eine Kufe und wird danach langsam von einem Winchman im Hubschrauber abgeseilt.
Ein Manöver, bei dem jeder Handgriff sitzen muss
Das Ganze läuft so ruhig und präzise ab, als sei es eine Übung bei Windstille – und nicht unter höchster Gefahr in einem brüllenden Sturm über tosender See. Fällt der Lotse ins Meer, ist sein Leben in Gefahr. Im Januar 2023 passierte dies bei Borkum; der Mann kam mit Unterkühlungen ins Krankenhaus. Kurz zuvor war ein englischer Kollege im Dienst ums Leben gekommen.

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Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
- Hamburgs Most Wanted: BKA sucht Mörder, Dealer und Clan-Killer aus dem Norden
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- Schanze & St. Pauli: Kult-Kneipen schließen – das sind die neuen Macher
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Im Video auf Marcos Handy geht alles glatt. Der Hubschrauber schwebt ruhig ein, jeder Handgriff sitzt. Keine Minute, nachdem er auf die Kufe kletterte, steht er an Deck. Welch eine Leistung des Teams, des Piloten, der Winchmans, vor allem aber des Lotsen!
Bis Windstärke 11 fliegen die Helikopter
Seine Aufgabe ist es, Schiffe als Berater des Kapitäns sicher durch die Gewässer vor dem Hafen zu navigieren, durch eine enge Fahrrinne zwischen Windparks, in der viel Verkehr herrscht. Ist der Wellengang zu heftig, ist der Transfer vom schnellen, aber kleinen Lotsenboot unmöglich. Bis Windstärke 11 fliegen die Helikopter.
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Auch an der deutschen Küste sind solche Teams im Einsatz, auch im Sturm, der bei uns „Joshua“ hieß, waren sie in der Luft. Sie sorgen dafür, dass die Schiffe und ihre Ladung zuverlässig nach Hamburg und Bremerhaven kommen. Sie halten die Lieferketten am Laufen – und damit unsere Versorgung. Welches Risiko sie dafür eingehen, besonders in einem Sturm, das bleibt oft verborgen. Ich bewundere sie für ihren Mut.
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