„Die Polizei hatte Schiss“: St. Pauli-Trainer kritisiert Einsatz und wird attackiert
Der gewaltsame Fan-Zusammenstoß und der massive Polizei-Einsatz sowie das Stadion- und Stadtverbot für rund 200 St. Pauli-Fans im Vorfeld des Auswärtsspiels bei Eintracht Frankfurt sorgen weiter für Ärger und Diskussionen. Der Kiezklub stellt die Verhältnismäßigkeit des polizeilichen Vorgehens infrage. Fanvertreter kritisieren das Vorgehen der Einsatzkräfte als überzogen. St. Pauli-Trainer Alexander Blessin, der im Austausch mit den eigenen Ultras war, findet ungewöhnlich deutliche Worte. Ein Polizeivertreter schießt scharf zurück.
Die 0:2-Niederlage auf dem Rasen des Frankfurter Stadions werden Spieler, Verantwortliche und mitgereiste Anhänger schnell hinter sich lassen, nicht zuletzt, weil schon am Dienstagabend das DFB-Pokalspiel gegen Hoffenheim steigt. Die unschönen Vorkommnisse rund um das Auswärtsspiel der Kiezkicker werden noch länger im Gedächtnis bleiben. Die Aufarbeitung hat schon begonnen. Es gibt Ermittlungen und gegenseitige Vorwürfe.
Fanhilfe von St. Pauli kritisiert Polizei-Einsatz in Frankfurt
Ein Großaufgebot der Frankfurter Polizei – behelmt und vermummt – hatte am Samstagmittag einen ICE aus Hamburg mit mehreren hundert St. Pauli-Fans am Frankfurter Bahnhof abgefangen und aussetzen lassen. Im Zug, der eigentlich hätte bis Stuttgart weiterfahren sollen, wurde dann nach einer Durchsage eine „polizeiliche Maßnahme“ durchgeführt.
Konsequenz: Mehr als 200 St. Pauli-Anhänger aus der organisierten Fanszene wurden festgesetzt. Die Polizei sprach gar von 270 Personen. Gegen sie wurde sowohl ein Stadionverbot als auch ein Begehungsverbot für weite Teile des Frankfurter Stadtgebietes verhängt. Sie wurden per Bahn zurückgeschickt. Laut der Fanhilfe St. Pauli wurden einige Fans für mehrere Stunden festgehalten, auch noch nach Anpfiff des Spiels um 15.30 Uhr. Die Fanhilfe kritisiert das Vorgehen als „schlicht unverhältnismäßig“. Die Polizei Frankfurt begründete ihre Maßnahmen mit einer „Verhinderung weiterer Auseinandersetzungen“.
Prügelei von St. Pauli- und Wolfsburg-Fans in Hannover
Hintergrund der massiven Polizeiaktion war ein Zusammenstoß von reisenden St. Pauli-Fans und Wolfsburg-Fans auf einem Bahnsteig zwischen den Gleisen 3 und 4 im Hauptbahnhof Hannover am Samstagmorgen um kurz vor 10 Uhr. Die VfL-Anhänger waren auf dem Weg zum Auswärtsspiel ihres Teams beim HSV. Videoaufnahmen in den sozialen Netzwerken zeigen Tumulte, Geschubse, auch Schläge und Tritte sowie Gegenstände, die geworfen werden, darunter Baustellen-Absperrungen und Hütchen aus Kunststoff. Letzteres wurde augenscheinlich vor allem von Wolfsburg-Fans verübt.

Nach Angaben der Bundespolizei seien insgesamt 50 teilweise vermummte Personen aufeinander losgegangen. Die genaue Anzahl der beteiligten Personen ist nicht bekannt oder ermittelt. Nach MOPO-Informationen hat der FC St. Pauli bislang keinerlei Kenntnis davon, dass eigene Fans bei dem Zusammenstoß ernsthaft verletzt worden seien. Auf Seiten der randalierenden Wolfsburger soll sich eine Person an der Schulter verletzt haben.
St. Pauli nennt Vorgehen der Polizei „zumindest fragwürdig“
Klar ersichtlich ist aber, dass die von der Polizei genannte Anzahl von 50 Tatbeteiligten (inklusive Wolfsburger) weit von der hohen Personenzahl der in Frankfurt festgesetzten und mit einem Stadion- und Stadtverbot belegten St. Pauli-Fans entfernt ist.
Auch deshalb äußerte sich der Kiezklub noch vor Spielbeginn kritisch über das Vorgehen der Frankfurter Polizei. „Vor dem Hintergrund der bislang bekannten Informationen zum Vorfall in Hannover wirken die polizeilichen Maßnahmen mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit zumindest fragwürdig“, hieß es in einem Statement, in dem der Verein auch zur „Deeskalation“ aufruft. „Dies wird weiter zu klären sein, wir sammeln derzeit zusätzliche Informationen.“ Die polizeilichen Maßnahmen trafen auch unbeteiligte Reisende, die mit dem Fußballspiel gar nichts zu tun hatten.
Keine Kritik am Fehlverhalten der eigenen Fans
Was in dem Vereins-Statement fehlt: Kritik am Fehlverhalten der wenigen eigenen Fans in Hannover, unter dem eine große Mehrheit der Anhänger und hunderte Bahnreisende leiden mussten. Zahlreiche Anhänger der Braun-Weißen machten allerdings in Foren und Kommentarspalten ihrem Ärger über die Chaoten in den eigenen Reihen Luft.
Nicht außer Acht gelassen werden darf – auch im Sinne der künftigen Sicherheit an Spieltagen – die Frage, warum es trotz ausgeklügelter Sicherheitskonzepte, die auch die Fan-Reiseströme berücksichtigen sollen, passieren konnte, dass zwei Züge voller Fans zeitgleich an einem Bahnsteig hielten.
Alexander Blessin: „Die Polizei hat dann Schiss halt gehabt“
Während der FC St. Pauli bislang eher vorsichtig Kritik an dem Vorgehen der Polizei übt, wurde Trainer Alexander Blessin im Anschluss an den offiziellen Teil der Pressekonferenz nach dem Spiel in kleiner Runde sehr deutlich und sprach überraschend offen über die heikle Thematik.
„Ich habe mit einem von den Ultras vor dem Spiel geschrieben, dass es da eine Auseinandersetzung gab“, berichtete Blessin. Gemeint war die Auseinandersetzung in Hannover. „Aber es waren nicht viele, es waren anscheinend nur zehn oder 15 Leute. Die Polizei hat dann Schiss halt gehabt, aber ich weiß nicht, ob man dann so reagieren muss“, stellte der Coach die Maßnahme in Frankfurt, bei der dann die mehr als 200 St. Pauli-Fans vorübergehend aus dem Verkehr gezogen worden waren, infrage.
Polizei-Gewerkschafter wirft St. Pauli „Scheinheiligkeit“ vor
Es sei für die betroffenen Fans „schade, wegen so einer Sache zurückgeschickt zu werden, nachdem ich jetzt aus mehreren Perspektiven gehört habe, dass es vielleicht ein bisschen too much war.“ Die Polizei hatte mutmaßlich weitere gewaltsame Zusammenstöße in Frankfurt zwischen Fans von St. Pauli und der Eintracht befürchtet und, wie Blessin erneut formulierte, „Schiss aufgrund der Tatsache, dass sie die Situation mit den Fans hier in Frankfurt kennen und dass es schwer einzuordnen ist.“

Worte, die schnell für eine scharfe Reaktion sorgten. „Der FC St. Pauli zieht mal wieder polizeiliche Maßnahmen in Zweifel“, kommentierte Lars Osburg, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Hamburger Polizei. „Trainer Blessin sagt, die Polizei habe ‚Schiss gehabt‘. Vielleicht sollte sich der Trainer auf seine vermeintliche Kompetenz konzentrieren und Fußball lehren. Die Polizei kümmert sich derweil um die Sicherheit.“ Auch den Kiezklub greift Osburg an: „Würde sich der FC St. Pauli um seine Problemfans kümmern, wäre das für die Polizei leichter. Schluss mit der Scheinheiligkeit!“
Kein voller Support im Stadion – das sorgt für Diskussionen
Die Abstinenz der mehr als 200 St. Pauli-Anhänger aus der organisierten Fanszene im Gästeblock des Stadions hatte sich jedoch vor allem akustisch bemerkbar gemacht, denn es wurde aus Solidarität auf den üblichen Ultra-Support verzichtet. Die Unterstützung für die Mannschaft beschränkte sich aufs Nötigste: gelegentliche „St. Pauli, St. Pauli“-Sprechchöre und Szenenapplaus. Damit waren übrigens nicht alle Fans, die mit nach Frankfurt gekommen waren, einverstanden. Die Frage, was wichtiger sei, Solidarität mit den Ultras oder Solidarität mit der Mannschaft, sorgte für Diskussionen.
„Sie haben versucht, uns zu unterstützen“, sagte Blessin zur äußersten gedämpften Stimmung im 5.500 Personen fassenden Gästebereich. „Aber es fehlten 200 Mann, die alles aus sich rausschreien. Und wir wissen, dass dann noch mehr Energie von der Tribüne kommt. Da tut es dann natürlich weh.“
Hauke Wahl: Übliche Unterstützung der Fans „hat gefehlt“
Auch die Mannschaft hatte gespürt, dass es kurz vor und während der Partie an der üblichen Intensität der Rückendeckung mangelte. „Es hätte uns gutgetan, wenn die da gewesen wären“, meinte auch Innenverteidiger Hauke Wahl nach der 0:2-Niederlage auf die abwesenden Fans angesprochen. Zu den Gründen wollte er sich nicht äußern. „Ich weiß nicht, was vorgefallen ist, deshalb kann ich keine Stellung dazu beziehen.“ Klar sei jedoch, dass ein normaler Support „geholfen“ hätte, „wenngleich man sagen muss, dass es nicht an ihnen lag, dass wir verloren haben. Aber es hat uns natürlich gefehlt.“
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