„Einfach nur nervig“: Leverkusener Schauspieler ärgern St. Pauli
Er muss wirklich schön sein, der vor dieser Saison neu verlegte Rasen am Millerntor-Stadion, angenehm und weich, außergewöhnlich bequem, zur Flauschigkeit veredeltes Gewächs – so oft und lange, wie die Gästespieler aus Leverkusen in der Schlussphase des umkämpften Duells auf dem Spielfeld lagen. Natürlich war das reine Zeitschinderei und sie ging den Spielern, Verantwortlichen und Fans des FC St. Pauli mächtig auf den Zeiger. Mit der ein ums andere Mal theatralischen Taktik der allerschlimmsten Schmerzen und urplötzlichen Genesung sowie Torwart-Abstößen im Grenzbereich zur meditativen Yoga-Übung hatten die Bayer-Profis den 2:1-Sieg ins Ziel gerettet. Nicht verboten, auch legitim, aber ein Mittel, das man eher von der Mannschaft im Klassenkampf erwartet hätte als von einem in der Königsklasse spielenden ehemaligen Meister.
Klare Sache, klare Worte. Louis Oppie nahm nach der Partie kein Blatt vor den Mund. „Es nervt“, sagte der linke Schienenspieler der Kiezkicker. „Du liegst zurück, du machst jeden Sprint, der geht, willst einfach nur irgendwie nach vorne kommen – und alle zwei Minuten liegt jemand am Boden. Das ist einfach nur nervig“, beschrieb er das Gefühl auf dem Feld. Mehr als nur nervig, denn es störte und behinderte die braun-weiße Schlussoffensive, machte es schwer, Druck aufzubauen. „Das ist natürlich nicht gut, auch nicht für den Rhythmus des Spiels“, betonte Stürmer Martijn Kaars.
St. Pauli von Leverkusener Zeitspiel gebremst und genervt
Immer wieder waren in der Schlussphase des intensiven Duells Leverkusener Spieler nach Zweikämpfen zu Boden gegangen, hatten dort in Rücken- oder sehr stabiler Seitenlage mit schmerzverzerrtem Gesicht verharrt und sich gründlich behandeln lassen. Allein Freistoß-Spezialist Alejandro Grimaldo hatte gefühlt eine längere Liegezeit auf dem Rasen des Millerntor-Stadions als so manches Containerschiff im Hamburger Hafen.

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„Ich hab zwei-, dreimal wirklich gedacht, es wäre schlimm und dann gab’s eine Wunderheilung“, sagte St. Paulis Innenverteidiger Hauke Wahl, Schütze des zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleichstores, sarkastisch. Thomas Collien, Vorstandsmitglied der St. Pauli-Genossenschaft und im Hauptberuf Theaterchef, dürfte ob der Darbietungen beeindruckt gewesen sein und von seinem Stammplatz auf der Tribüne möglicherweise sogar das eine oder andere Talent entdeckt haben.
Flekkens Abstöße dauerten ewig, St. Pauli-Fans wütend
Schiedsrichter Martin Petersen scheint ebenfalls ein Faible für die darstellenden Künste zu haben, denn er ließ die Performance sehr lange ohne Ermahnung, geschweige denn Ahndung laufen. Das Publikum war logischerweise alles andere als begeistert und reagierte mit wütenden Pfiffen auf die zahlreichen Unterbrechungen und Spielverzögerungen.
Der ungekürzte Zusammenschnitt aller Abstöße von Bayer-Torwart Mark Flekken, die der Niederländer ab der Leverkusener Führung zum 2:1 nach einer Stunde Spielzeit fortan mit der inneren Ruhe und Feierlichkeit eines Meisters der japanischen Tee-Zeremonie ausführte, ergäbe einen veritablen – wenn auch eintönigen – Kurzfilm. Repetitiver Arthouse-Stil, für den Schiri Petersen ebenfalls ein Faible zu haben scheint, denn erst in der zweiten Minute der Nachspielzeit hatte er Flekken die Gelbe Karte für Zeitspiel gezeigt. Sehr spät. Kurz zuvor war Mitspieler Equi Fernández ebenfalls für Zeitschinderei verwarnt worden.
Blessin „hätte gerne frühere Verwarnung gesehen“
„Ich fordere ja wenig Gelbe Karten oder sonst irgendwas“, sagte Trainer Alexander Blessin darauf angesprochen. „Aber wenn es sehr, sehr klar ist, hätte ich schon gerne gesehen, dass Flekken früher verwarnt worden wäre. Dann passiert das nicht. Dann wird er schon ein bisschen schneller machen.“ Oppie sah es genauso: „Natürlich kann der Schiri da ein bisschen schärfer und ein bisschen mehr hinterher sein. Er hat ja dann zum Schluss zwei Gelbe Karten verteilt, aber es hätte vielleicht auch ein paar Minuten früher kommen können.“
Aus den anfänglich angezeigten sechs Minuten Nachspielzeit wurden am Ende zwar neuneinhalb, aber die Nettospielzeit dieses Nachschlages, also die Zeit, in der der Ball tatsächlich rollte und die Spieler rannten, war im Vergleich sehr gering. Für Blessin „schwer nachzuvollziehen“. Abwehr-Routinier Wahl wiederum nahm Petersen auch in Schutz: „Für ihn ist es natürlich auch nicht leicht, er kann die Spieler ja auch nicht einfach runterschicken oder runtertragen.“
Hauke Wahl: Bayer-Zeitspiel „ehrt uns ja auch“
Mit ihrer Kritik wollten der Kiez-Coach und seine Spieler aber keinesfalls als schlechter Verlierer dastehen: Wahl betonte auf das Leverkusener Zeitspiel angesprochen ausdrücklich: „Das ist ein legitimes Mittel, das müssen wir leider so zugeben. Das ist Cleverness und gehört zum Fußball dazu.“ Wer liegt, der siegt. Nicht schön, aber effektiv. Der Zweck heiligt die Mittel. Auch die Kiezkicker haben auf diese Weise schon Siege über die Zeit gebracht. Und Oladapo Afolayan befand: „Das war clever von denen. Wenn wir in der Situation gewesen wären, auswärts ein Spiel zu gewinnen, dann hätten wir es auch so gemacht. Es geht auch darum, ein Spiel zu managen und zu schauen, wo man Zeit verschwenden kann. Man muss nicht immer das bessere Team sein. In diesem Fall ist es scheiße für uns, aber das ist Fußball.“
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Die Tatsache, dass sich der Vize-Meister derartiger Mittel behelfen musste, um den Dreier zu sichern, dürfen die Kiezkicker durchaus als Kompliment verbuchen. „Wir sind schon sehr weit gekommen, wenn Leverkusen, ein ehemaliger Meister und Champions-League-Teilnehmer, gegen uns auf Zeit spielen muss. Das spricht ein wenig für sich“, befand dann auch Kapitän Eric Smith. Nebenmann Wahl pflichtete ihm bei. „Irgendwo ehrt uns das ja auch, dass solche Mannschaften hierherkommen und jede Möglichkeit nutzen, um auf dem Boden liegenzubleiben. Das zollt uns Respekt, weil es nicht so einfach ist, hier Punkte mitzunehmen.“
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