Generalprobe von „Was ihr wollt”

Gloria Odosi als Viola und Jannik Hinsch als Orsino spielen auf der Generalprobe von „Was ihr wollt”. Foto: Markus Scholz/dpa

Begehren, Intrigen, Gewalt – und am Ende sind alle homosexuell

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Anne Lenk inszeniert am Thalia Theater in Hamburg „Was ihr wollt“ nach William Shakespeare als Reigen der Geschlechter mit viel Musik und überzeichnetem Humor.

Am Ende steht eine große Umarmungsorgie. Und endlich glaubt jeder am Hof von Illyrien zu wissen, wer er ist und wen er liebt – auf jeden Fall mehr oder weniger queer. William Shakespeare hat aus den Irrungen und Wirrungen der Liebe 1602 mit „Was ihr wollt“ eine launige, doppelbödige Verwechslungskomödie entwickelt.

Mit der Inszenierung nach William Shakespeare in der Regie von Anne Lenk ist das Thalia Theater in Hamburg unter der neuen Intendantin Sonja Anders am Freitagabend in die Saison gestartet. Die Regisseurin erzählt den Klassiker in der Übersetzung von Thomas Brasch recht konventionell, hat ihn aber an einigen Stellen klug aufgefrischt.

Mehrere Neuzugänge im Thalia-Ensemble

Mehrere Neuzugänge des nun deutlich jüngeren und diverseren Ensembles stellen sich vor und glänzen in ihren Rollen. Jannik Hinsch ist im lilafarbenen Anzug mit blondem Langhaar ein herrlich selbstgewisser, leicht ironischer Orsino, Herzog von Illyrien.

Mit Hingabe liebt er die von Franziska Machens mit charmantem Selbstbewusstsein gegebene Gräfin Olivia, doch sie verschmäht ihn hartnäckig, da kann er noch so toll mit Pathos aufgeladene Musical-Arien schmettern. Stattdessen schlägt ihr Herz schon nach einer Begegnung für den von Gloria Odosi gegebenen Cesario.

Doch hinter dem Boten und Vertrauten Orsinos verbirgt sich in Wirklichkeit die junge, aus Seenot gerettete Viola in Männerkleidung. Und die wiederum fühlt sich zu Orsino hingezogen. Es ist, wie so häufig in Liebesdingen, kompliziert. Und es wird noch verworrener, als Violas tot geglaubter Zwillingsbruder Sebastian (Samuel Mikel) auftaucht.

Rustikal hölzerne Bühneninstallation in Hamburg

Auf einer rustikal hölzernen Bühneninstallation (Bühne: Judith Oswald) aus aufgetürmten ausrangierten Klavieren verteilen sich die Musikerinnen und Musiker des Treppenhausorchesters. Das Schlagzeug thront in luftiger Höhe über allem. In sanft, aber stetig untermalenden Klängen greifen die Musizierenden den Sprachrhythmus Shakespeares auf, während das Ensemble die Installation erklimmt und aus Luken kriecht.

Die farbenfrohen Fantasie-Kostüme (Kostüme: Sibylle Wallum) zitieren viel naturhafte Herbst-Symbolik. Gräfin Olivia trägt am Ende eine Art Vulva-Kostüm. Riesiges Plüschobst fällt als sinnliche Anspielung auf die Bühne. Im Ausnahmezustand einer turbulenten Nacht mischen sich schließlich Begehren und Intrigen unter den Figuren.

Und die Regisseurin spart auch die dunklen Seiten der Begierde bei Shakespeare nicht aus. Vor allem die Nebenfiguren, Olivias Angestellte Maria (Oda Thormeyer), Olivias Nichte Iggy (Rosa Thormeyer) und ihre Freundin Poppy (Nina Sarita Balthasar) sowie der Narr (Tim Porath) sorgen für manch überdrehte Klamauk-Szene.

Fragen von Liebe und Identität am Ende auf die Spitze getrieben

Die Figur von Olivias Haushofmeister Malvolio, furios biegsam und selbstverliebt gespielt von Jeremy Mockridge, hat Anne Lenk dagegen zu einem modernen Spießer – mit Erfahrungen bei der Jungen Union – ausgebaut. Er ist eine Spaßbremse, die eine nächtliche Neue-Deutsche-Welle-Party abwürgt.

Doch die lasterhafte Säufertruppe um Maria, Iggy und Poppy rächt sich mit einer fiesen Liebesfalle. Im Glauben, von Olivia begehrt zu werden, macht er sich vollends lächerlich und landet in einem Verlies mit sich selbst.

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Am Ende werden Fragen von Liebe und Identität auf die Spitze getrieben. Anne Lenk mischt die Paare, die sich am Ende bilden, neu und da lieben Männer vor allem Männer und Frauen lieben Frauen. Das wirkt nicht unbedingt immer glaubhaft, liefert aber einen schönen, zeitgemäßen Kommentar zum Thema Geschlechtervielfalt. (dpa)

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