Annica Gehlen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) arbeitet zu, Arbeitsmarkt und zur Rente. Den Boomer-Soli“ hat sie mitentwickelt.

Annica Gehlen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) arbeitet zu, Arbeitsmarkt und zur Rente. Den Boomer-Soli“ hat sie mitentwickelt. Foto: DIW Berlin/Florian Schuh

Boomer-Soli: „Umverteilung gibt es jetzt schon – von Jung zu Alt“

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Bringt ein „Boomer-Soli“ in der Rente mehr Gerechtigkeit oder eher weniger? Die MOPO fragte bei Annica Gehlen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) nach, die das Konzept mit entwickelt hat.

MOPO: Sie haben den sogenannten „Boomer-Soli“ vorgeschlagen, mit dem reiche Rentner ärmere unterstützen sollen. Warum haben Sie überhaupt einen solchen Vorschlag gemacht?

Annica Gehlen: Das Finanzierungsproblem der Rente verschärft sich durch den Eintritt der geburtenstarken Kohorte der „Babyboomer“ in das Rentensystem erheblich. Der Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen hatte deshalb unter anderem vorgeschlagen, Rentenpunkte innerhalb der gesetzlichen Rente umzugewichten. Das wäre aber nicht progressiv, da reichere Rentner häufig andere Einkommensquellen als die gesetzliche Rente beziehen, zum Beispiel Beamtenpensionen, betriebliche Renten und private Renten. Dabei würden hohe Alterseinkünfte also nicht wirklich belastet. Wir wollten einen Ansatz wählen, der alle Systeme mit berücksichtigt. Und nicht zuletzt ist unser auf Steuern basierender Vorschlag vermutlich einfacher und schneller umzusetzen, als in der gesetzlichen Rente selbst Änderungen vorzunehmen.

Verschiedene Stellschrauben stehen zur Verfügung

Was ist die Idee hinter dem „Boomer-Soli“?

Wenn das Rentensystem unterfinanziert ist, gibt es mehrere Stellschrauben: Man kann das Rentenniveau senken – dies soll aber, politisch gewollt, erst mal bei 48 Prozent des jeweils aktuellen Durchschnittsverdienstes festgeschrieben werden. Man kann das Rentenalter erhöhen, was unpopulär ist. Die weiteren Möglichkeiten sind die Erhöhung der Rentenbeiträge oder die Erhöhung der Steuerzuschüsse, die bereits heute etwa ein Viertel des Bundeshaushaltes ausmachen. Die letzten beiden Stellschrauben belasten vor allem die erwerbstätige Bevölkerung. Der „Boomer-Soli“ ist dazu gedacht, auch die ältere Bevölkerung an der Lösung dieses Problem zu beteiligen. 

Wie viele Rentner würden von Ihrem Konzept profitieren, wie viele müssten mehr zahlen?

Das käme auf die genaue politische Ausgestaltung an. Durch den Freibetrag kann man steuern, wie stark die Wohlsituierten belastet werden. In unserer Beispielrechnung würden die 20 Prozent der Rentner mit dem höchsten Nettoeinkommen belastet – mit 4 Prozent. Die ärmsten 20 Prozent der Rentner hätten dann 10 bis 11 Prozent mehr Rente. 

Heute läge der Freibetrag eher bei 1300 Euro

Für große Irritationen sorgt der von Ihnen genannte Freibetrag von 1048 Euro. Ist man mit z. B. 1100 Euro im Monat aus Ihrer Sicht schon ein reicher Rentner?

Unsere Beispielrechnung ging von Zahlen aus dem Jahr 2019 aus. Auf 2025 hochgerechnet läge der Freibetrag eher bei 1300 Euro. In der Öffentlichkeit ist teilweise aber auch ein falscher Eindruck erweckt worden: Es wird häufig vergessen, dass in unserer Simulation auch alles wieder ausgezahlt wird. Auf einen Single-Haushalt bezogen würden 2025 im Schnitt Rentner bis zu einem Einkommen von 2000 Euro netto profitieren. Wer darüber liegt, hätte im Schnitt 0,5 bis 4 Prozent weniger netto, wobei die höchste Belastung im reichsten Fünftel liegt. Um es noch einmal klar zu sagen: Niemand von uns glaubt, dass man mit 1100 Euro Rente reich ist. Der ermittelte Freibetrag diente auch dazu, um eine Vergleichbarkeit mit dem Vorschlag der Wirtschaftsweisen herstellen zu können.

Alleinerziehende werden im System eher benachteiligt

Ganz unabhängig von den Zahlen sagen viele Menschen, dieser Plan sei eine Umverteilung von den Fleißigen hin zu den Faulen. Was entgegnen Sie solcher Kritik? 

Es ist natürlich eine politisch-philosophische Frage, wie man grundsätzlich zum Thema Umverteilung steht. Die Frage ist aber auch, ob man Menschen so einfach in „faul“ und „fleißig“ einteilen kann. Zu den Menschen mit niedriger Rente gehören beispielsweise oft Frauen, die Kinder großgezogen haben, oder Alleinerziehende, die z. ​B. aufgrund von viel Teilzeitarbeit nicht gut vorsorgen konnten. Solche Menschen werden im aktuellen System eher benachteiligt. Und Umverteilung gibt es sowieso – nur dass im Moment von Jung zu Alt umverteilt wird. Die kommenden finanziellen Bürden werden, Stand jetzt, ausschließlich von den jüngeren Generationen getragen. Die können aber nun wirklich nichts für mögliche Fehler der Vergangenheit.

Beispielsweise der Sozialverband VdK lehnt Ihren Vorschlag ab und fordert stattdessen, eine Vermögensabgabe und eine höhere Erbschaftssteuer zur Finanzierung der Rente heranzuziehen. Ein guter Vorschlag?

Vermögensabgaben werden schon lange diskutiert, leider mit wenig Fortschritt. Eine Sonderabgabe auf Alterseinkünfte wie der „Boomer-Soli“ steht nicht zwingend in Konkurrenz zu solchen Vorschlägen. Vergleichsweise ließe er sich womöglich leichter und schneller einführen. Generell ist es gut, sich in Anbetracht der demografischen Herausforderung über verschiedene kurz- und langfristige Lösungsansätze Gedanken zu machen. Klar ist: Solche Maßnahmen ersetzen auf Dauer nicht notwendige grundsätzliche Reformen im System.

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