Dennis R. Sherwood soll nicht umsonst gestorben sein
Die Kälte ist kriechend unangenehm in dieser Winternacht vor dem Hafen von New York. Sprühregen fliegt über die Halbinsel Sandy Hook, der Wind brist weiter auf. Bojen messen im Laufe der Dezembernacht Windgeschwindigkeiten von 55 Knoten, das entspricht Sturm mit zehn Windstärken.
Es ist ein harter, aber kein ungewöhnlicher Arbeitstag für den Lotsen Dennis R. Sherwood, seit 35 Jahren im Job. Tausenden Kapitänen hat er sicher den Weg durch das Revier vor New Jersey gewiesen. Großcontainerfrachter „Maersk Kensington“ wird sein letztes Schiff sein.
Lotsen leben einen gefährlichen Beruf
Das Versetzboot fährt den Lotsen gegen 4.30 Uhr an den knapp dreihundert Meter langen Frachter heran. Die Wellen machen den Überstieg schwierig, doch Sherwood beginnt, die Leiter hinaufzuklettern. Dann verliert er auf Höhe der Einstiegspforte den Halt.
Er fällt rückwärts aus mehreren Metern Höhe und schlägt hart auf das Deck des Lotsenversetzbootes. Der Skipper handelt sofort und steuert die nächstgelegene Landestelle auf Staten Island an. Dennis Sherwood, Familienvater mit drei Kindern, stirbt im Krankenhaus an seinen schweren Verletzungen.
Lotsen haben einen gefährlichen Beruf. Bei fast jedem Wetter steigen sie auf fahrende Schiffe über, klettern Leitern hoch und runter, lassen sich von Hubschraubern abseilen. Ich schrieb mal, dass sie Nautiker mit den Talenten von Stuntmen sein müssen. Jedes Jahr ereignen sich tödliche Unfälle. Zuletzt vor Singapur, vor dem britischen Hull, dem Hafen von Nagasaki und nahe Istanbul.

Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.
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Lotsen sind unglaublich wichtige Rädchen im großen Hafenmotor, auch in Hamburg. Die Verantwortung, die sie tragen: enorm. Doch was ihre Sicherheit anging, tat sich lange wenig – bis zum Unfall von Dennis R. Sherwood.
Als sich bei der Untersuchung herausstellte, dass er über eine zweifelhafte Konstruktion, eine Art Falltür, klettern musste, forderte seine wütende Gewerkschaft American Pilots’ Association (APA) Konsequenzen. Und machte Druck. Zunächst auf nationaler, dann auf internationaler Ebene, bei Behörden wie bei Reedereien.
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Fünfeinhalb Jahre nach dem tödlichen Sturz hat die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) nun neue Vorschriften verabschiedet, die völkerrechtlich verbindlich sind und weltweit bis 2030 auf allen Schiffen umgesetzt werden müssen. Die verschärften Regeln geben unter anderem vor, wie Lotsenleitern beschaffen und gelagert und wann sie erneuert werden müssen. Bestimmte Konstruktionen an der Lukenpforte sind fortan verboten. Die Kennzeichnung des „Pilot Marks“ am Schiffsrumpf, mit einem maximalen Aufstieg von neun Metern, ist verpflichtend. Und Lotsen können die Arbeit verweigern.
Eine traurige, schöne Geschichte. Dennis R. Sherwood soll nicht umsonst gestorben sein.
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