Schön bunt: Ein neugestalteter Aufgang zur Haupttribüne des Millerntorstadions.

Schön bunt: Ein neugestalteter Aufgang zur Haupttribüne des Millerntorstadions. Foto: Nils Weber

„Unser 18. Heimspiel“: Die Magie der Millerntor Gallery – und warum sie bedroht ist

kommentar icon
arrow down

Richtig rund geht es während der Saison im Millerntor, wenn der Ball rollt und die Kiezkicker Punkte jagen. Richtig bunt wird es ab Donnerstag, wenn die beliebte Millerntor Gallery für vier Tage ihre Pforten öffnet und das Stadion wieder einmal zur spektakulären und außergewöhnlichen Bühne für Kunst und Musik wird. Längst ist die Veranstaltung eine feste und besondere Größe im Hamburger Kultur-Sommer und zugleich ein lebendiges Leuchtturm-Event für den Verein, der seine Arena zur Verfügung stellt. Cooltur. Etabliert und doch bedroht. Ausgerechnet bei ihrer 13. Ausgabe steht die Gallery am Scheideweg und muss hart um ihre Zukunft kämpfen. Alles andere als ein Kunststück. Übernimmt der FC St. Pauli?

Endspurt. Es wird gehämmert, geschraubt und natürlich hier und dort noch gemalt, gesprayt, geklebt in den Katakomben, aber auch hier und dort im Innenraum des Millerntors. Finalisierungsmodus. Alles soll möglichst perfekt sein. Die Kunstwerke. Und auch ihr Rahmen. Vor allem aber: es soll fertig sein, wenn die Gallery am Mittwoch mit dem Pre-Opening für geladene Gäste und am Donnerstag um 18 Uhr für das Publikum startet.

„Die Millerntor Gallery ist wie unser 18. Heimspiel“, sagt St. Pauli-Präsident Oke Göttlich im Gespräch mit der MOPO. „Die Veranstaltung liegt uns sehr am Herzen und sie passt mit ihrer Vielfalt und Diversität und als kulturelle und kreative Begegnungsstätte absolut zu unserem Verein.“ Und sie verpasst ihm – wortwörtlich – einen anderen Anstrich.

Die Millerntor Gallery sorgt dafür, dass das Stadion einmal im Jahr sein Aussehen wechselt – und zwar für ein ganz Jahr. Denn die großflächigen und farbenprächtigen Wandbilder im Streetart-Stil (Murals) in den Umläufen und Aufgängen der Haupt- und Südtribüne bleiben. Ein Stadion-Chamäleon. Das macht das Millerntor weltweit einzigartig. Es sei immer wieder „magisch“, wenn das Organisations-Team rund vier Wochen vor Beginn der Veranstaltung vom Verein die Schlüssel ausgehändigt bekommt und dann die kreative Umgestaltung beginnt, beschreibt Festivaldirektorin Agnes Fritz das besondere Gefühl. „Die Millerntor Gallery ist ein Gesamtkunstwerk.“ Auch aus den Menschen, die die Kunst machen und die sie anschauen und erleben.

Stadion des FC St. Pauli wird zur Kunst-Meile

Mehr als 120 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt sind in diesem Jahr vertreten. Wie Mari Pavanelli aus Brasilien. „Es ist für mich etwas ganz besonderes meine Kunst in einem Fußballstadion kreieren und ausstellen zu können. Das ist eine Ehre“, sagt die Frau aus Sao Paulo, deren farbenprächtige Frauenportraits mehrere Meter einer Betonwand unter der Haupttribüne zieren, zur MOPO. „Und es ist großartig, hier so viele andere Artists zu treffen.“

Kunst zum Anschauen – aber auch zum Anfassen. Wie bei der Hamburger Künstlerin, die sich „Marambolage“ nennt. Ihr Projekt: Eine kunterbunt-pastellige „Humanity Station“, bei der man beide Hände an die Wand drücken kann, um dann quasi aufzutanken: Menschenrechte beispielsweise, Liebe, Demut oder das Feuer, um andere zu inspirieren. Zwischen Mitmach- und Nachdenk-Kunst. Lustig-schräg und sehr ernst zugleich. Es passt in die Zeit.

Musik: Konzerte von Mine, Betterov und Deine Cousine

Hochkarätig ist in diesem Jahr das Musik-Programm mit Künstlerinnen und Künstlern wie Mine, Betterov, Deine Cousine, Kafvka oder Querbeat. Auf dem Musik-Booking lag einer der Schwerpunkte der diesjährigen Ausgabe und das vielfältige und ausgesuchte Programm könnte auch Menschen ins Stadion locken, die in erster Linie an Konzerten interessiert sind.

Ein hoher Zuspruch ist wichtig und nötig. Mehr denn je ist die Millerntor Gallery, die an den vier Tagen auf mindestens 17.000 Gäste hofft, auf Einnahmen durch den Ticketverkauf sowie Spenden und Sponsoren angewiesen. Es wird immer schwieriger, die Veranstaltung auf die Beine zu stellen, insbesondere nach Corona.

„Ich glaube fest daran, dass es eine Zukunft gibt“, sagt Agnes Fritz von Veranstalter Viva con Agua ARTS. „Aber es gibt Schwierigkeiten, weil die Kosten steigen.“ Die gesamte Kultur- und vor allem Veranstaltungsbranche hat Probleme. „Wir wollen Wege finden, es neu zu gestalten.“ Es gibt Gespräche mit dem Kiezklub.

Wird das Konzept der Gallery deutlich verändert? Gibt es sie 2026 gar nicht? Alles denkbar. Göttlich, dessen Verein auch in diesem Jahr das Stadion kostenlos zur Verfügung stellt, spricht von der Möglichkeit einer „Pause“, im gleichen Atemzug aber auch von der Option, dass der Verein bei einer nochmaligen Überbrückung hilft. Per Finanzspritze? Denkbar ist, dass St. Pauli künftig auch Veranstalter wird oder sich zumindest auch an der Organisation und Durchführung beteiligt. Sponsoren und Partner des Vereins könnten eingebunden werden. Aber ist das überhaupt gewünscht? Und im Sinne der Erfinder? Wichtige Fragen, die geklärt werden müssen, wenn die diesjährige Ausgabe vorbei ist und hoffentlich ein Erfolg war.

Bereits am Dienstag findet die Auktion statt, bei der auch Werke von Kunst-Weltstars wie Gerhard Richter oder David Hockney versteigert werden – zu Gunsten der Trinkwasser-Projekte von Viva con Agua. Denn, das gerät bei dem bunten Treiben manchmal in Vergessenheit, bei der Millerntor Gallery geht es vor allem um das Motto „Art creates Water“. Apropos Wasser. Die Wettervorhersage für die Gallery-Tage sieht vergleichsweise gut aus.

Das könnte Sie auch interessieren: „Machen einen guten Eindruck“: Zwei Kiezklub-Talente setzen erste Akzente

Das Festivalticket für alle vier Tage (49 Euro) sowie Tagestickets (ab 19 Euro für den Donnerstag und 25 Euro für die anderen drei Tage, bei denen das Programm schon ab 12 Uhr beginnt) gibt es vor Ort oder unter www.millerntorgallery.org

Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp
test