Disney Dream“

Aus dem „Traum“ auf der „Disney Dream“ wurde schnell ein ziemlicher Albtraum. Foto: IMAGO/ZUMA Press Wire

Ein Albtraum auf der „Disney Dream“

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Von einem Moment auf den anderen hätte Leben eine andere Abzweigung nehmen können an Bord der Göteborg-Fähre. Wir lagen noch fest an der Pier im Hafen von Kiel, die Sonne schien aufs Oberdeck, ich nippte am Kaltgetränk. Mir fiel auf, dass sich ein Kind, vielleicht drei oder vier Jahre alt, vom Nebentisch über die Reling lehnte.

Immer weiter schob sich der Junge vor, Zentimeter für Zentimeter ragten Kopf und Oberkörper über den Handlauf. Doch die Eltern, beschäftigt mit ihren Handys, nahmen davon keine Notiz. Als ich hinsprang, erwischte ich das Kind eben noch so am Hosenbund, bevor es das Gleichgewicht verlor. Es wäre knapp 25 Meter tief ins Hafenbecken gestürzt.

Mir war kurzzeitig übel. Die Eltern quittierten die Aktion mit einem stummen Kopfnicken und einem genervten: „Felix, du sollst doch nicht…“. Dann verschwanden sie im Schiffsinneren. Ich sah sie nicht wieder.

Ein Albtraum vor den Augen der Eltern

An den Moment erinnerte ich mich, als ich von der Rettung eines kleinen Mädchens in der Karibik las. Sie war von Bord des Kreuzfahrtschiffs „Disney Dream“ ins Meer gefallen, das sich auf dem Rückweg nach Fort Lauderdale in Florida befand. Was für ein Albtraum vor den Augen der Eltern.

Der Vater zögerte nicht und sprang sofort hinterher. Es gelang ihm, das Mädchen zu erreichen und knapp zehn Minuten lang über Wasser zu halten. Videos in den sozialen Netzwerken zeigen, dass die Crew des schwimmenden Freizeitparks (339 Meter lang, 37 Meter breit, 4000 Reisende) ein Beiboot aussetzt und die Schiffbrüchigen unter dem Jubel der Passagiere einsammelt. Der Vater signalisiert: „Daumen hoch“.


Stefan Kruecken hfr
Stefan Krücken

Der Autor: Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie „Max“, „Stern“ und „GQ“ von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“ gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop. Weitere Bücher gibt es im Ankerherz-Shop – zum Beispiel „Das kleine Buch vom Meer – Helden“ oder „Mayday – Seenotretter über ihre dramatischsten Einsätze“.

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Während euphorische amerikanische Kreuzfahrer den „Hero Dad“ feiern, sieht der Unfallhergang nach weiteren Zeugenaussagen nicht mehr ganz so heldenhaft aus. Demnach soll ein Fotoversuch Schuld gewesen sein. Niemand fällt durch Zufall von Bord eines amerikanischen Kreuzfahrtschiffs, auf denen jeder Sicherheitsaspekt bis ins Detail durchdacht ist, schon aus Furcht vor Millionenklagen. Vor allem kein Kind. 

Der Begriff „Held“ wird ohnehin häufig strapaziert, aber wenn ihn jemand verdient, dann der Kapitän der „Disney Dream“. Ein so gewaltiges Schiff innerhalb weniger Minuten zu stoppen, zu wenden und ein Beiboot auszusetzen: Das spricht für eine gute Seemannschaft und regelmäßige Crew-Übungsdrills.

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Vater und Tochter haben ihr Leben aber nicht nur dem Kapitän, sondern auch motivierten Schutzengeln zu verdanken. Dass sie den Fall von Deck vier überstanden und nicht in Sog und Schiffschraube gerieten: bemerkenswert. Die Wahrscheinlichkeit, ein solches Unglück zu überleben, liegt statistisch bei knapp 25 Prozent.

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