Fans im Millerntor-Stadion

Wieder spielen oder nicht? Am 2. Juli wird der FC St. Pauli am Millerntor über die Zukunft der Stadion-Hymne „Das Herz von St. Pauli“ diskutieren. Foto: WITTERS

„Herz von St. Pauli“: Gutachten untermauert „unmissverständlich“ Nazi-Verbindung

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Neue Erkenntnisse, alte Bauchschmerzen – und jetzt die Frage: was nun? Was tun mit der Millerntorstadion-Hymne „Das Herz von St. Pauli“? Die wissenschaftliche Untersuchung der Nazi-Verstrickungen des Texters Josef Ollig ist abgeschlossen. Sie ist sehr aufschlussreich. Auf dieser Basis will der Verein mit seinen Mitgliedern diskutieren. Eine Entscheidung über die braun-weiße Zukunft des lange so beliebten Liedes steht bevor. Und neuer Streit oder eine sachliche Lösung?

Der FC St. Pauli wünscht sich eine „sachliche und fundierte Diskussion“ über den Umgang mit dem „Das Herz von Sankt Pauli“, das er im Frühjahr aus dem Heimspiel-Programm verbannt hatte, nachdem Recherchen des FC St. Pauli-Museums Nazi-Verstrickungen des Komponisten und insbesondere Texters Josef Ollig zu Tage gefördert hatten. Das wiederum hatte für emotionale, hitzige und auch heftig geführte Debatten sowie persönliche verbale Angriffe zur Folge gehabt.

Gutachten zu Texter Josef Ollig veröffentlicht

Sachlich soll am kommenden Mittwoch im Ballsaal des Millerntorstadions diskutiert werden. Basis wird dann das wissenschaftliche Gutachten sein, das die Rolle Olligs in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit beleuchtet. Verfasst wurde es von Celina Albertz, Politik- und Medienwissenschaftlerin sowie Kuratorin des FC St. Pauli-Museums, und von Peter Römer, Historiker und Politikwissenschaftler. 59 Seiten umfasst die sehr umfangreiche Dokumentation. Der FC St. Pauli hat es bereits an diesem Freitag öffentlich gemacht und im Rahmen der Mitteilung zum Gutachten als Link ins Netz gestellt.

Wie groß und wichtig das Thema für den Kiezklub ist, zeigt die Besetzung der Diskussionsveranstaltung. Neben Albertz und Römer werden St. Pauli-Präsident Oke Göttlich und Vize-Präsidentin Luise Gottberg vor Ort und auf dem Podium sein. St. Paulis Sicherheitschef Sven Brux moderiert.

Ollig: Adolf Hitler ein „glückliches Reich“ zu verdanken

Das Gutachten untermauert die NS-Verbindungen und -beteiligung von Ollig, etwa bei der NS-Propaganda, die Ollig sehr aktiv und im Wortlaut unmissverständlich betrieben hat. So schrieb er beispielsweise in einem Kommentar zum Attentat von Georg Elser auf Adolf Hitler, es habe „einen Augenblick lang der Herzschlag des deutschen Volkes gestockt, als es die Kunde vernahm, daß sich gegen den Mann, der uns alles bedeutet, dem wir in Liebe und Vertrauen zugetan, dem wir unsere Größe und ein glückliches Reich verdanken, die Hände gedungener Meuchelmörder erhoben haben.“

Es finden sich auch menschenverachtende Sätze in seinen Kriegsberichten über die sowjetische Soldaten, die er als „Halbwilde“ bezeichnet, denen er „tierhafte Gleichgültigkeit“ und „Primitivität“ bescheinigte. Damit weist das Gutachten Olligs spätere Behauptungen, unpolitisch gewesen zu sein und agiert zu haben, als unwahr aus. Kein Mitläufer war er, sondern aktiver – und so legen es seine Worte und Wortwahl nahe – überzeugter Unterstützer des Nazi-Regimes und dessen Ideologie.

Wie geht der FC St. Pauli mit den Erkenntnissen um?

Die Faktenlage ist erdrückend. So stellt die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte, die das Gutachten vor Veröffentlichung geprüft hat, in einer Stellungnahme fest: „Deutlich hervorgehoben wird, dass Ollig bereits am Ende der Weimarer Republik in wichtiger Funktion für eine republikfeindliche Hamburger Zeitung tätig war, die ab 1930 offen die NSDAP unterstützte. Auch konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass Ollig in seinem Entnazifizierungsverfahren durch Auslassungen und Lügen seine Redaktionstätigkeit während der NS-Zeit als unpolitisch darzustellen versuchte. Sowohl vor dem Krieg als auch als Kriegsberichterstatter unterstützte er deutlich das NS-System.“

Die entscheidende Frage für den FC St. Pauli, seine Miglieder und Fans ist, was daraus folgt. Lässt sich das Werk vom Autor trennen, zumal es sich um die Coverversion einer Punkband handelt, wie nicht wenige Fans im Frühjahr argumentiert hatten? Das Gutachten verstärkt die Zweifel daran, dass „Das Herz von St. Pauli“ noch einmal ein Comeback am Millerntor erlebt und wieder vor Heimspielen erklingt.

Verein und Fans diskutieren: Neue Hymne? Und welche?

Bei der Diskussionsveranstaltung, an der sich Interessierte auch digital beteiligen können, dürfte noch keine Entscheidung fallen, es könnte aber eine Tendenz erkennbar werden. Zudem könnte das Thema Alternativen auf die Tagesordnung kommen. Eine teilweise Umtextung und Neueinspielung des Liedes. Die Komposition einer neuen Hymne von Musikern aus dem St. Pauli-Kosmos. Die Wahl eines Songs über den FC St. Pauli, das Millerntor oder den Stadtteil, den es bereits gibt und den viele Fans schon kennen. Oder aber es bleibt einfach, wie es zuletzt bei den Spieltagen am Millerntor war: Ohne „Herz von St. Pauli“ und ohne Ersatz.

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