So kam es zum Platzsturm – und das brüllten die HSV-Helden bei der Tribünenparty
Es war zu erwarten, dass die HSV-Fans dem Wunsch von Christian Stübinger nicht entsprechen würden. „Kein Sicherheitshinweis, sondern eine Bitte“, hatte der Stadionsprecher um 22.18 Uhr gesagt, als der HSV bereits mit 5:1 führte – und der Aufstieg nur noch wenige Minuten entfernt war. „Es wäre am schönsten, wenn ihr auf den Plätzen feiert und die Jungs auf dem Rasen.“ Doch so kam es nicht. Und das war kein Wunder. Das Gros des Anhangs stürmte mit dem Abpfiff den Rasen – und die Mega-Party war nach dem 6:1-Heimsieg gestartet.
Sie wussten alle nicht, wohin mit ihren Gefühlen. Aber die HSV-Profis konnten sich bereits wenige Minuten vor dem Ende der Partie gegen den SSV Ulm darauf einstellen, dass gleich tausende Fans um sie herum auftauchen würden. Tatsächlich hatten sich schon nach dem vorentscheidenden 5:1 von Ransford Königsdörffer (62.) die ersten Fans in den unteren Bereich ihrer Blöcke begeben, um mit dem Abpfiff die ersten zu sein, die durch die Pforten stürmen.
HSV-Fans versammelten sich schon vorm Abpfiff am Platz
Bis kurz vor Schluss konnten die Ordner die Massen noch hinter den Absperrungen halten, spätestens nach dem 6:1 durch Daniel Elfadli (86.) aber begannen viele Stadion-Besucher, von den Tribünen herunterzuspringen, um sich direkt am Spielfeld zu positionieren. Vor allem im unteren Bereich der Westseite der Arena wurde es unübersichtlich, als noch wenige Minuten zu spielen waren – und dann bildete sich auch auf Höhe der Eckfahne vor der Nordtribüne ein Pulk aus Zuschauern. Sie ließen die LED-Banden hinter sich, einige wurden vorsorglich von Ordnern abgebaut.
Die Befürchtung der Polizei und der HSV-Verantwortlichen, dass die Anhänger schon vor dem Abpfiff in Massen auf den Platz stürmen würden, bewahrheitete sich zum Glück nicht. Aber mit dem Spielende und der Gewissheit, dass der HSV zurück in der Bundesliga ist, gab es dann kein Halten mehr. Die Helden des HSV fielen sich in die Arme – und hatten binnen weniger Sekunden hunderte von Fans um sich. Es wurde voller und voller. Der Platzsturm, von dem ohnehin auszugehen war, wurde Realität. Keeper Daniel Heuer Fernandes wurde von den Fans auf den Händen getragen, einige Profis wie Otto Stange kletterten auf die Auswechselbank – und viele Anhänger taten selbiges.

Die Tore wurden abgebaut, Teile des Rasens herausgeschnitten – das Übliche. Was aber gefährlich war: Direkt vor dem Spielertunnel, der als Verbindungsstück zwischen Innenraum und Mixed Zone gilt, bildete sich ein riesiger Pulk, in dem minütlich mehr gedrängelt wurde. Die Ordner hatten Probleme, die Zuschauermenge vorm Eindringen in die Katakomben abzuhalten. Erst als Polizeibeamte einschritten, entspannte sich die Situation. Da hatte Robert Glatzel vorm Tunnel bereits „2. Liga – nie mehr, nie mehr, nie mehr“ angestimmt. Talent Stange brüllte den beliebten Fan-Song „Scheiß auf Schule und Arbeit“ ins Mikrofon. Und der Rest? Das war schwer zu durchblicken. Immanuel Pherai zückte sein Smartphone, Ransford Königsdörffer war dicht bei den Fans, viele anderen feierten schon in der Kabine.
„Wir wollen den Trainer sehen“: Polzin ist jetzt HSV-Held
Merlin Polzin erfüllte seine Pflicht bei den übertragenden TV-Sendern, wurde auf dem Weg vom Spielfeldrand in Richtung Spielertunnel von dutzenden Hamburger Anhängern umarmt und abgelichtet. Nachdem er es irgendwie und irgendwann ins Innere geschafft hatte, stimmten die Massen draußen an: „Wir wollen den Trainer sehen.“ Es passierte überall etwas. Die Ulmer Fans blieben noch etwas in ihrem Block, feierten ihre Mannschaft. Der Kern der Hamburger Fanszene blieb auf der Nordtribüne, sang die klassischen Lieder zu Getrommel und Pyrotechnik. Jeder genoss die Momente des Triumphs auf seine Art und Weise. Es gab aber auch unschöne Dinge: Da viele Menschen von den Rängen heruntergesprungen waren, um auf das Grün zu gelangen, gab es viele Behandlungen und auch Verletzte. Einer der Stadionsprecher berichtete um 22.56 Uhr von Knochenbrüchen auf der Südseite des Stadions.

Die Fans wollten nicht gehen, die entsprechenden Bitten verpufften. Durch die Arenalautsprecher gab es Hinweise, welche Ausgänge offen sind, das aber schien die meisten, vor Glück beseelten Besucher nicht zu interessieren. Um 23.03 Uhr brach dann erneut Jubel aus – denn da kündigte Stübinger an, dass sich die Mannschaft noch mal gemeinsam auf der Osttribüne blicken lassen würde. Und so kam es dann auch, nachdem die ersten Feierlichkeiten in Kabine, Mixed Zone und Co. durch waren. Um 23.11 Uhr betrat Davie Selke als einer der ersten Profis den Bereich vor einer VIP-Loge. Und der Stürmer war es dann auch, der sich das Mikrofon als erstes griff, um etwas zu sagen.
HSV-Stürmer Selke auf der Tribüne: „Mir fehlen die Worte“
„Mir fehlen die Worte – und das ist nicht oft der Fall“, schrie Selke der Masse, die zu ihm und seinen Teamkollegen sowie dem ganzen Staff aufschaute, entgegen. „Schaut euch mal um!“, forderte der 30-Jährige voller Erstaunen und brüllte bereits heiser: „Der Verein ist endlich wieder da, wo er hingehört.“ Gejubel brach aus. Erneut. Und dann noch mal Selke: „Nie mehr, nie mehr, 2. Liga, nie mehr, nie mehr.“ Danach gab er das Mikrofon an Ludovit Reis weiter, der schon ein paar Schlücke aus seiner Bierflasche genommen hatte. „Ey Jungs, HSV ist Erste Liga!“, hielt der Kapitän fest und lobte: „Die ganze Saison – die HSV-Familie war immer da für uns. Wir haben alles gemacht, um das zu schaffen. Jetzt, nach sieben Jahren, sind wir da. Wir lieben euch.“ Dann stimmte Reis noch „Vuskovic“-Gesänge an für den gesperrten Kroaten, der am Samstagabend im Volkspark war – und später mittendrin in den Feierlichkeiten.

Es folgte die Ansprache von Merlin Polzin. „Die letzten Jahre haben wir verdammt viel auf die Fresse bekommen“, schrie der HSV-Trainer. „Diese Mannschaft hat alles, jeden einzelnen Tag, dafür gegeben, dass wir diesen Moment erleben. Wir haben es getan für uns – aber vor allem für euch. Weil der HSV der geilste Verein ist.“ Wieder Gebrüll. Und Polzin legte nach: „Der HSV ist der geilste Verein in Deutschland – und vor allem in dieser Stadt.“ Dann stimmte er „Der HSV ist wieder da“ an – und gab das Mikro weiter an Elfmeter-Held Heuer Fernandes. „Für diesen Scheiß machen wir das alles“, hatte der HSV-Torwart zu sagen, ehe der gesperrte Sebastian Schonlau an der Reihe war.
„Unglaublich“: HSV-Kapitän Schonlau schwärmt von Fans
„Was ihr dieses Jahr abgerissen habt, was wir zusammen abgerissen haben, ist unglaublich“, schwärmte Schonlau. „Wir haben viel gelitten. Die letzten Jahre waren nicht leicht – aber ihr wart immer da. Dafür können wir euch nur danken.“ Die Fans applaudierten – noch mehr, als Schonlau hinzufügte: „Jetzt sind wir wieder da, wo wir hingehören. Also lasst uns das genießen, lasst uns feiern. Vollgas! Nur der HSV!“ Selke stimmte dann noch für Robert Glatzel an („einer, der die letzten Jahre alles geopfert hat für diesen Verein“), Glatzel selbst für Jonas Meffert und Vuskovic.
Noah Katterbach initiierte „Humba – Tätärä“, Daniel Elfadli feierte Bakery Jatta ab – und der sagte mit stotternder Stimme nur: „Wir haben sieben Jahre gekämpft für diesen Erfolg – und heute sind wir da. Ich danke euch für eure super Unterstützung.“ Der verletzte Gambier zeigte sich „fassungslos“ – ehe Polzin sagte: „Einen haben wir noch.“

Der HSV-Trainer forderte die Fans auf dem Rasen auf, die Schals in die Höhe zu halten. „Wir singen das jetzt alle gemeinsam“, brüllte Polzin und fing an zu „singen“: „Ich hab’ ’nen harten Tag gehabt …“ Mannschaft, Staff und Fans sangen gemeinsam „Mein Hamburg lieb’ ich sehr“ von „Abschlach!“ – den HSV-Song, der bereits im Mai 2018 im Volksparkstadion erklungen war, als der HSV sein bis dato letztes Bundesliga-Spiel gegen Gladbach bestritten hatte (2:1). Im August wird das nächste folgen. Denn der HSV ist zurück in der Bundesliga. Und passend dazu lief gegen Ende der Tribünenparty dann erstmals der neue Aufstiegssong von Abschlach! im Stadion: „Willkommen zu Hause“.
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