Von Horror bis Heiterkeit: „Die Abweichlerin“ am Schauspielhaus
Am Anfang wissen wir schon, dass Lise (Lina Beckmann) sich am Schluss umbringen wird. Diese Geschichte eines angekündigten Suizids ist gespickt mit vielen kleinen häuslichen und seelischen Dramen, die Lise in die Lebenssackgasse führen.
Der Mann ist weg und hat eine Neue, selbstverständlich Jüngere. Lise stillt den Schmerz mit Tabletten und – reichlich exzentrisch – mit einer Annonce in der Zeitung ihres Mannes, in der sie ebenfalls ein neues „Modell“ sucht, Hauptsache, der Typ kann Auto fahren. So einer tritt dann auch auf, wenngleich er Lise keinen Lebensmehrwert verschafft. Sie kommt in die Psychiatrie, und schließlich geht sie zum allerletzten Mal in den Wald …
Gefeierte Theaterschauspielerin Lina Beckmann in der Hauptrolle
Schrecklich? Schrecklich! Das Stück „Die Abweichlerin“ beruht auf „Vilhelms Zimmer“, einem Roman der dänischen Autorin Tove Ditlevsen (1917-1976), der stark autobiografische Züge trägt. Der Handlungsbogen ist düster und deprimierend, mit wenigen lichten Momenten. Aber diese erhellen die Inszenierung von Regisseurin Karin Henkel am Schauspielhaus ganz besonders. So bespielt das Stück die ganze Klaviatur menschlicher Gefühle – vom Horror bis zur Heiterkeit.

Das Kraftfeld auf der Bühne ist „Schauspielerin des Jahres“ Lina Beckmann als Lise, als Erzählerin und Alter Ego der Autorin (außerdem in einer wunderbaren kleinen Nebenrolle als ein älterer Herr, der sich in einen Fernsehdetektiv verwandelt). Drum herum gesellen sich die weiteren Akteur:innen des starken Ensembles: Mirco Kreibich, Daniel Hoevels, Matti Krause, Liina Magnea und Linn Reusse sind weit mehr als nur Planeten, die den Star umkreisen. Ihr nuanciertes, expressives Spiel vervollständigt die Figur Lise und ihre Risse erst. Dazu sorgen junge Tänzerinnen für schwungvoll-unheimliche Momente.
Schrecklich intensives Theaterglück
So servieren Henkel und ihr Team dem Publikum eine gut zweistündige Theatererfahrung, die nicht auf glatte Oberfläche und schnelle Effekte setzt, sondern eine spannende Tiefenbohrung einer zerrütteten Person unternimmt. Das zu erleben, ist ein großes Theaterglück. Nicht nur weil Lina Beckmann die aufregendste Akteurin auf Hamburgs Bühnen ist.
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Am vergangenen Sonntag wurde die 43-Jährige im Ernst-Deutsch-Theater mit dem Gustaf-Gründgens-Preis ausgezeichnet. „Lina Beckmann ist eine herausragende Theaterpersönlichkeit unserer Zeit. (…) Sie verausgabt sich für ihre Figuren schonungslos, körperlich und emotional. Dabei ist das Grundmotiv ihres Theaterspiels die Empathie. Es geht ihr immer um den Menschen, um jeden Einzelnen von uns“, hieß es in der Begründung der Jury.
Schauspielhaus: 16./30.4., 10.5., diverse Zeiten, 12-59 Euro, Tel. 248713, schauspielhaus.de

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