Bedrohungen, Schlägereien, Sexualdelikte: Immer mehr Gewalt an Hamburgs Schulen
Körperverletzung, Raub, Erpressung oder Sexualdelikte – die Zahl der Gewalttaten an Hamburgs Schulen ist deutlich gestiegen. Den größten Anstieg verzeichnen die Kleinsten: An den Grundschulen haben die Zahlen stark zugenommen. Die MOPO hat mit dem Verband der Schulleiter gesprochen und Hamburgs Politiker gefragt, wie sie die Zahlen einordnen.
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Körperverletzung, Raub, Erpressung oder Sexualdelikte – die Zahl der Gewalttaten an Hamburgs Schulen ist deutlich gestiegen. Den größten Anstieg verzeichnen die Kleinsten: An den Grundschulen haben die Zahlen stark zugenommen. Die MOPO hat mit dem Verband der Schulleiter gesprochen und Hamburgs Politiker gefragt, wie sie die Zahlen einordnen.
Bei knapp 260.000 Schülerinnen und Schülern des Schuljahres 2022/23 wurden insgesamt 261 Kinder, Jugendliche und Beschäftigte an Schulen Opfer einer bei der Polizei gemeldeten Gewalttat. Das sagte die Schulbehörde auf Nachfrage. Die Zahl der mutmaßlichen Täter lag demnach bei 296.
Im Vergleich zur Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler in Hamburg liegen die Zahlen auf einem vergleichsweise sehr niedrigen Niveau. Allerdings lohnt es sich trotzdem, genauer hinzusehen: Im Vergleich zum Schuljahr 2021/22 stieg die Zahl um 23 Prozent, im Vergleich zum letzten vollständigen Vor-Corona-Schuljahr 2018/19 sogar um 84 Prozent.
Zahl der Gewalttaten an Schulen gestiegen
Manche dieser Fälle gingen durch die Medien. Vor nicht einmal einem halben Jahr bedrohten mehrere Jugendliche an einer Stadtteilschule in Blankenese und einer Schule in Bahrenfeld Lehrkräfte mit einer Art Schusswaffe. Andere Fälle blieben Zahlen in der Statistik. Die MOPO stieß bei der Recherche auf weitere Erzählungen, wie etwa die von zwei Achtklässlerinnen, die sich an einer Stadtteilschule in Wilhelmsburg so heftig prügelten, dass auch der Lehrer noch etwas abbekam, als er dazwischen ging.
Die Zahl der gefährlichen Körperverletzungen erhöhte sich im Vergleich zum Schuljahr 2021/22 um 16 Prozent beziehungsweise um etwa 91 Prozent im Vergleich zum Schuljahr 2018/19. Bei den Sexualstraftaten kletterten die Werte um 16 beziehungsweise 106 Prozent. Als Ursache macht die Beratungsstelle Gewaltprävention der Schulbehörde vor allem die Folgen der Corona-Pandemie aus.
Es habe neun Monate kein Präsenzleben in der Schule und damit auch kaum ein soziales Lernen mit Gleichaltrigen und schulischem Personal gegeben. „Bei der Rückkehr in die Schulen agierten viele Kinder und Jugendliche aufgrund dieser Defizite mit körperlichen Auseinandersetzungen und Gewalt”, erklärte die Beratungsstelle. Sie gehe aber davon aus, dass die Zahlen in den kommenden Jahren wieder sinken würden. Auf MOPO-Anfrage konnte die Schulbehörde aufgrund der Schulferien am Montag keine aktuellere Auskunft geben.
Schulleiter: „Vorfälle nehmen in den letzten Jahren zu“
Knapp die Hälfte aller Gewalttaten registrierten Hamburgs Stadtteilschulen, obwohl dort nur 27 Prozent aller Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Danach folgten mit gut einem Drittel die Grundschulen, die den Angaben zufolge den größten Anstieg an Gewalttaten verzeichneten und 29 Prozent der Schülerschaft stellten.
„Natürlich kann man feststellen, dass Vorfälle gerade in den letzten Jahren zunehmen. Aber letztendlich ist die Schule nichts anderes als ein Spiegel der Gesellschaft“, sagt Sascha Luhn vom Verband der Hamburger Schulleitungen zur MOPO. Er ist Leiter der Grundschule Wildschwanbrook in Rahlstedt. Vielen Kindern, die ihre frühkindliche Prägung während der Pandemie hatten, fehle es an sozialer Erfahrung, sagt Luhn.
„Was wir auch feststellen ist: Wenn wir Eltern nahelegen, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, fehlen da die Kapazitäten“, sagt Luhn. Er habe aber Hoffnung, dass sich der Trend in ein paar Jahren wieder mit der nächsten Generation von Kindern ohne Lockdown-Erfahrungen revidiert.
Linke: „Probleme waren schon vorher da“
Diese Hoffnung hat auch Nils Hansen, Schulexperte der SPD-Fraktion. „Die aktuellen Zahlen zeigen, dass die Zeit der Pandemie nicht spurlos an Hamburgs Kindern vorbeigegangen ist“, sagt er. Er sei aber zuversichtlich, dass es mit fortschreitendem Abstand zur Pandemiezeit und mithilfe von Unterstützungsangeboten zur Gewaltprävention gut gelinge, das Problem in den Griff zu bekommen. „Unabhängig davon werden wir die Lage weiter im Blick behalten und mit den Schulen im engen Austausch bleiben“, so Hansen.
Ivy May Müller, Schulexpertin der Grünen-Fraktion, sieht ebenfalls die Pandemie als einen wesentlichen Faktor. „Wir müssen soziale Lernräume in der Schule schaffen, in denen Kinder und Jugendliche eigenständig Konflikte erkennen und gemeinsam lösen“, sagt sie.
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„Die Zahlen wundern mich nicht. Ich finde es tragisch und es macht mich wütend“, sagt Sabine Boeddinghaus, Schulexpertin der Linken. Sie bewertet die Situation anders: „Die Probleme haben sich durch die Pandemie nur verstärkt, sie waren vorher schon da.“
Es brauche zum Beispiel kleinere Klassen und mehr Schulpsychologen, um das alles aufzufangen. „Es muss vor Ort Entlastung geschaffen werden“, so Boeddinghaus.