Coming Out: „Die Ängste der Jugendlichen haben sich nicht geändert“
„Come as you are!“ Das Motto des Junglesbenzentrums (Jule) in Hamburg steht in bunter Farbe an der Wand des Clubraums. Hier sind alle willkommen, die sich als Frauen identifizieren, nicht älter als 25 Jahre alt sind und der queeren Community angehören. Mit der MOPO haben die Leiterinnen des Projekts über die Themen in der Beratung gesprochen – und was ihre Tipps beim Coming Out sind.
Mitten im Karoviertel gibt es etwas, was die Leiterinnen Vanessa Lamm (44) und Gila Rosenberg (46) einen „Schutzraum für Frauen“ nennen: Hier stehen bequeme Sofas, Stühle, ein Tischkicker, und die Wände sind beklebt mit Postern, Aufschriften und Regenbogenflaggen. Das Jule existiert seit 24 Jahren, der Lesbenverein „Intervention“, der das Projekt organisiert, sogar schon seit über 40 Jahren.
Jule Hamburg: Beratung und Treffpunkt für queere Frauen
Einmal in der Woche findet hier ein Treff statt, bei dem sich die Besucherinnen austauschen und kennen lernen können. „Unser Herzstück!“, betont Lamm stolz. „Wir kochen, wir kickern, wir essen zusammen.“ Außerdem bieten sie eine Beratung an, zu der sich die Frauen entweder telefonisch oder per Instagram anmelden können. „Dieses Angebot ist aber auch für Eltern, Lehrer:innen und alle, die Fragen bezüglich geschlechtlicher Identität haben“, sagt Rosenberg.
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Was wird dort besprochen? „Alles, was an Problemen im Alter zwischen 14 und 26 so auftauchen kann“, sagt die 46-Jährige und sieht zu ihrer Kollegin hinüber. Die ergänzt: „Liebe, Sex und Zärtlichkeit, Elternprobleme, Umgang mit Gewalt und Trauma. Wir sind zwar auf Letzteres nicht spezialisiert, aber können eine erste Anlaufstelle sein und vermitteln dann weiter.“
Beratung beim Jule: Häufig Ängste beim Coming Out
Am häufigsten drehten sich die Gespräche allerdings ums Coming Out und die Sorgen, die damit einhergingen. „In den letzten 50 Jahren hat sich viel an der Lebenssituation der Jugendlichen geändert – an den Ängsten vor einem Coming Out aber nicht wirklich“, erzählt Rosenberg. „Werde ich akzeptiert? Was sagen meine Freund:innen? Meine Eltern? Wie sage ich das am besten? Wie reagiere ich, wenn die Reaktion nicht ausfällt, wie gewünscht?“
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Als eine positive Entwicklung bewerten die beiden Diplom-Pädagoginnen die erhöhte Sichtbarkeit der queeren Community in der Gesellschaft. „Es ist nicht mehr so fremd“, sagt Lamm. „Mitunter sind die Reaktionen dadurch positiver.“ Trotzdem brauche die Zeit zwischen dem inneren und dem äußeren Coming Out immer noch mehrere Jahre. Die 44-Jährige warnt: „Es kann aber auch immer sein, dass du Freund:innen verlierst oder deine Eltern, du kannst Stress im Job bekommen oder sogar in Gefahr geraten.“
Hass gegen queere Community hat deutlich zugenommen
Zwar seien Coming Outs immer sehr individuell, einen allgemeinen Tipp haben die beiden dann aber doch: „Gib deinem Gegenüber Zeit,“, sagt Rosenberg. „Die erste Reaktion war vielleicht nicht so wie gewünscht, aber bei dir selbst hat der Prozess vielleicht auch Jahre gebraucht. Deshalb hilft oft Geduld.“
Doch obwohl die Reaktionen zunehmend positiver werden, gibt es mit der zunehmenden Sichtbarkeit der queeren Community auch mehr Hass. Zweimal ist das Zentrum in den vergangenen zwei Jahren bereits Ziel von Anfeindungen geworden. Und auch die Besucher:innen berichteten immer öfter von Angriffen. „Solange dieser Hass und diese Gewaltbereitschaft zunehmen, brauchen wir dringend weitere Schutzräume für Frauen“, betont Rosenberg.