Hamburgs Verfassung hat Geburtstag: Was steht da eigentlich drin?
Die Hamburger Verfassung wird 70 – doch nur wenigen Hamburgern dürfte ihr Inhalt bekannt sein. Wozu brauchen wir sie eigentlich und wieso trat sie erst 1952 in Kraft? Die MOPO hat die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengestellt.
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Die Hamburger Verfassung wird 70 – doch nur wenigen Hamburgern dürfte ihr Inhalt bekannt sein. Wozu brauchen wir sie eigentlich und wieso trat sie erst 1952 in Kraft? Die MOPO hat die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengestellt.
Warum hat Hamburg eine eigene Verfassung, es gibt doch das Grundgesetz?
Neben dem Grundgesetz hat jedes Bundesland in Deutschland eine eigene Verfassung. Die Landesverfassungen müssen die Regeln aus dem Grundgesetz beachten, halten aber auch noch landesspezifischere Besonderheiten fest. In der Hamburger Verfassung ist etwa festgehalten, wie die Stadt in den Bezirken organisiert wird bis hin zu den Farben der Landesflagge.
„Jedermann hat die sittliche Pflicht, für das Wohl des Ganzen zu wirken.“
Zu diesem Satz aus der Hamburger Verfassung hat die MOPO Hamburger Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft befragt. Lesen Sie in der Bildergalerie ihre Antworten:
- Peter Tschentscher (56, SPD), Hamburger Bürgermeister:„Dieser Auftrag unserer Verfassung wird jeden Tag mit Leben gefüllt. Das Engagement für das Gemeinwohl hat in Hamburg eine lange Tradition, die bis in die Hansezeit zurückreicht. In unserer Stadt gibt es fast 1.500 Stiftungen, die sich auf vielfältige Weise für die Stadtgesellschaft einsetzen und den sozialen Zusammenhalt fördern. Jeder dritte Hamburger und jede dritte Hamburgerin ist ehrenamtlich aktiv. Der Senat fördert die ehrenamtliche Arbeit und lädt regelmäßig Bürgerinnen und Bürger ins Rathaus ein, um sich für ihren Einsatz zu bedanken.“
- Sun Robert Deutmarg (49), Mitarbeiter der Hamburger Stadtreinigung: Wir Mitarbeiter der Stadtreinigung sind Dienstleister des Gemeinwohls und hängen uns jeden Tag rein, damit unsere Stadt sauber und lebenswert bleibt. Dabei merken wir aber auch: Das kann nur dann richtig gut funktionieren, wenn sich alle ein Stück mitverantwortlich fühlen. Wenn alle mit anpacken, bleibt Hamburg die schönste Stadt der Welt.“
- dpa Carolin Stüdemann, (31), Geschäftsführerin des Viva con Agua de Sankt Pauli e.V.: „Abgesehen davon, dass wir niemanden sittlich verpflichten möchten, unterstütze ich den Gedanken, dass sich alle Hamburger*innen für das ‚Wohl des Ganzen‘ einsetzen sollten. Die Präambel betont das Gemeinschaftsgefühl, die Bedeutung von Engagement und sie passt zu unserem Motto ‚Du bist der Tropfen‘. Denn wenn jede*r einen noch so kleinen Beitrag leistet, stärkt das die Gruppe und erhöht ihre Wirkung –und macht so Veränderung hin zu einer gemeinwohlorientierten Gemeinschaft möglich.“
- hfr Roland Kelm, (61), Krankenpfleger im Gesundheitsmobil für Obdachlose, wohnt in Stellingen: „Für mich bedeutet der Satz, dass jeder Mensch mit Respekt behandelt werden muss. Jeder Mensch hat das Recht zu essen und zu trinken, also auch einen Zugang zu Trinkwasser zu haben. Und jeder hat ein Recht auf Gesundheit und medizinische Versorgung.“
- dpa Ralf Dümmel (55), Unternehmer: „Als Unternehmer sehe ich mich in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass wir Arbeitsplätze schaffen und erhalten. Meinen Teil dazu beizutragen, vielen Menschen aufgrund ihres Jobs Sicherheit zu ermöglichen, bedeutet mir viel. Motivierte und zufriedene Mitarbeiter:innen sind das wertvollste Gut eines Unternehmens. Und eine funktionierende Wirtschaft ist wichtig für eine funktionierende Gesellschaft, denn nur so kann soziale Marktwirtschaft gelebt werden.“
- Quandt Andreas Jöllenbeck, (64), Hochbahn-Busfahrer: „Nach 32 Jahren im öffentlichen Nahverkehr weiß man, was Daseinsvorsorge bedeutet. Unser Job ist es, Menschen sicher und verlässlich durch ihren Alltag zu bringen – und das umweltschonender als die vielen Pkw, die Straßen verstopfen. Wer im Fahrdienst unterwegs ist, ist fürs Klima unterwegs und damit für uns alle. Privat bin ich seit sieben Jahren Schöffe; mein Beitrag zu einer lebensnahen Justiz. Es ist nicht nur Pflicht, sich für die Gesellschaft einzusetzen, es gibt dem Leben Sinn.“
- dpa Oke Göttlich (47), Vereinspräsident des FC St Pauli „„Dieser Satz gilt auch für unseren Verein: Das Wohl und der sportliche Erfolg des FC St. Pauli im Einklang mit unseren Werten ist für uns das höchste Ziel.“
- dpa Bernd Wehmeyer, (70), Club-Manager beim HSV : „Ein schöner Satz, der auf ein wichtiges Element unserer Gesellschaft abzielt: Die Solidarität mit anderen. Eine Gemeinschaft funktioniert nur dann, wenn jeder und jede Einzelne nicht nur das eigene, sondern auch das Wohl der Mitmenschen im Auge behält. Ich glaube fest daran, dass jede und jeder von uns im Alltag durch respektvolles Handeln anderen gegenüber dazu beitragen kann, dass unsere Gesellschaft für alle Menschen in ihr lebenswert ist.“
- Catrin Eichinger Brigitte Engler, GeschäftsführerinCity Management Hamburg: Die Aussage unserer Verfassung stellt für mich die Basis für menschliche Begegnungen und den Umgang mit den Ressourcen unserer Umwelt dar. Die Grundlage meiner persönlichen Wertvorstellungen sind Achtsamkeit, Wertschätzung und Respekt. Ich persönlich wünsche mir, dass wir uns in diesen herausfordernden Zeiten alle noch mehr an dieser Maxime orientieren.
Hamburg als Friedensstifter und Wohltäter
Die Hamburger Verfassung startet mit einer Präambel, also dem Vorwort, in dem die Leitmotive der Verfassung zusammengefasst sind sowie deren Beweggründe. Darin finden sich Sätze, die auch heute noch eine hohe Aktualität haben: Als Welthafenstadt will sich Hamburg für den internationalen Frieden einsetzen. Zudem formuliert die Stadt die Pflicht jedes Hamburgers, sich für das Wohl des Ganzen einzusetzen.
Insgesamt besteht die Verfassung aus 77 Artikeln, die in acht Punkte gegliedert sind: Die Staatlichen Grundlagen, die Bürgerschaft, der Senat, die Gesetzgebung, die Verwaltung, die Rechtsprechung, Haushalts- und Finanzwesen sowie Schluss- und Übergangsbestimmungen.
Die Hamburger Verfassung trat 1952 in Kraft. Warum hat das so lange gedauert?
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist seit dem 23. Mai 1949 gültig. Die Hamburger Verfassung wurde am 6. Juni 1952 verabschiedet und ist am 1. Juli in Kraft getreten. Die Stadt war damit das Letzte der alten Bundesländer, dass sich eine Verfassung gab.
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Lange hatte man um die Inhalte gerungen: Vier Jahre dauerte es von der ersten Vorlage durch den Senat bis zur Freigabe durch das Parlament, unter anderem hatte es Meinungsverschiedenheiten mit der britischen Militärregierung gegeben.
Was ist besonders an der Hamburger Verfassung?
Die Hamburger Verfassung hat einige Besonderheiten, zum Beispiel besitzt sie keinen eigenen Grundrechtsteil. Warum? Es wurde für unnötig befunden. Das Deutsche Grundgesetz war nur wenige Jahre vorher verabschiedet worden und gilt schließlich für alle Bürger:innen.
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Eine weitere Besonderheit: „Die Volksgesetzgebung – also die Möglichkeit, sich als Bürger direkt an der Gesetzgebung zu beteiligen – ist stärker ausgeprägt als anderswo“, sagt Friedrich-Joachim Mehmel im „Zeit“-Interview. Volksinitiativen würden hier zum politischen Alltag gehören. Und Mehmel muss es wissen, immerhin war er bis 2020 Präsident des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts und Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts.