Nach 10 Minuten, 2 Stunden und 3 Tagen: Was bei einem Blackout in Hamburg passiert
Kaum jemand macht sich im Alltag klar, wie abhängig wir vom Strom sind. Doch wenn er großflächig ausfällt, dann verstummen Telefone, Ampeln funktionieren nicht mehr, das Internet ist weg, die Wasserversorgung bricht zusammen, Klospülungen und Heizungen fallen aus. Es wird dunkel, kalt, dreckig – und gefährlich. Obwohl dieser Fall von Experten als höchst unwahrscheinlich eingeschätzt wird, gibt es bei Behörden, Kliniken und Netzbetreibern konkrete Pläne. Die MOPO erklärt, was bei einem Blackout in Hamburg wirklich passieren würde – in den ersten Stunden und nach mehreren Tagen.
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Bei einem Blackout gehen in Hamburg die Lichter aus – und zwar alle. Von der Ampel bis zur Küchenlampe. Kein Internet. Menschen stecken fest: in Fahrstühlen, S- und U-Bahnen – ohne Strom geht nichts. Es wird dunkel, kalt, dreckig – und gefährlich. Obwohl Experten diesen Fall als unwahrscheinlich einschätzen, gibt es bei Behörden, Kliniken und Netzbetreibern konkrete Notfallpläne. Die MOPO erklärt, was bei einem Blackout in Hamburg passieren würde, in den ersten Stunden und nach mehreren Tagen.
Wenn mal der Strom ausfällt, kommt das Alltagsleben für maximal ein paar Stunden zum Erliegen. Anders ist es im Fall eines Blackouts, einem länger anhaltenden, großflächigen Stromausfall: Dann bricht, kurz gesagt, Chaos aus. Wie schlimm würde es in Hamburg werden? Die MOPO hat dafür diverse Behördendokumente ausgewertet und mit Betreibern kritischer Infrastruktur gesprochen.
Blackout: Die ersten zehn Minuten
Die Lichter sind aus, zu Hause, im Supermarkt, im Krankenhaus. In Betrieben und Haushalten gibt es kein Internet. Elektrisch öffnende Türen bleiben zu, S- und U-Bahnen sowie Fahrstühle stecken fest – ohne Strom geht hier nichts. Auf den Straßen kommt es wegen der ausgefallenen Ampeln zu Staus und Unfällen.
Feuerwehr und Polizei werden an allen Ecken gebraucht. Weil direkt nach dem Stromausfall die Notstromaggregate in den Wachen hochgefahren werden, können die Einsatzkräfte uneingeschränkt arbeiten und über Funkgeräte kommunizieren, wie Jan Ole Unger von der Feuerwehr Hamburg der MOPO bestätigt.
Auch in den Krankenhäusern kann der Betrieb erstmal weiterlaufen, unmittelbar nach dem Stromausfall setzt hier die mit Diesel betriebene Notstromversorgung ein, sagt die Sprecherin des Hamburger Agaplesion-Krankenhauses, Ute Schlemmer.
Der Übertragungsnetzbetreiber beginnt sofort mit dem Netzwiederaufbau, doch der kann – je nach Ursache des Stromausfalls – mehrere Tage dauern.
Zwei Stunden nach dem Stromausfall
Sobald klar ist, dass es sich bei dem Stromausfall um einen großflächigen Blackout handelt, beschränken die Krankenhäuser ihren Betrieb auf das Minimum: Nur noch Not-Operationen werden durchgeführt, Patienten auf Intensivstationen werden weiter versorgt und auch Medikamente können weiterhin gekühlt werden. Alles andere entfällt – auch akute, aber nicht lebensbedrohliche Operationen und Untersuchungen, so Ute Schlemmer.
Wer erst ins Krankenhaus gefahren werden muss, hat größere Probleme: Über das Handy einen Krankenwagen zu rufen, wird zunehmend schwierig: Nach 15 Minuten fallen die ersten Funkmasten aus, nach acht Stunden ist das gesamte Netz tot, wie in einem Papier des Büros für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) beim Deutschen Bundestag steht. Und wer Hilfe holen kann, muss mitunter sehr lange warten – auf den Straßen herrscht zu diesem Zeitpunkt schon Chaos.
Von Minute zu Minute gehen immer mehr Notfallmeldungen bei Polizei und Feuerwehr ein. Immerhin: Die Einsatzfahrzeuge können bei einer eigenen und per Notstrom versorgten Tankstelle getankt werden. Die anderen Tankstellen der Stadt sind lahmgelegt.
Währenddessen beginnt der Zentrale Katastrophendienststab der Behörde für Inneres und Sport, die Versorgung der Hamburger zu koordinieren. Denn durch die ausfallenden Heizungen wird es langsam kalt. Und auch die Supermärkte haben wegen des Stromausfalls geschlossen, wie aus einem Arbeitspapier der Berufsfeuerwehr hervorgeht, das der MOPO vorliegt.
Aus den Wasserhähnen fließt es immer spärlicher, weil die Pumpen nicht mehr laufen und der Druck zunehmend nachlässt. Je nachdem, wo man wohnt und in welchem Stock, fällt bei immer mehr Hamburgern die Wasserversorgung aus. „Bestimmte Zonen können für einen Zeitraum von maximal zwei Tagen noch mit Restwasser aus Hochbehältern versorgt werden“, sagt Ole Braukmann von Hamburg Wasser. Bei vielen anderen wird schon jetzt das Trinkwasser knapp, wenn sie nichts zu Hause eingelagert haben.
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Tag 2 des Blackouts
Wer nicht vorgesorgt und kaum Lebensmittel zu Hause hat, bekommt Hunger. Jetzt ist jeder ist nun auf sich allein gestellt, denn „Nahrungsmittel werden für die Bevölkerung nicht vorrätig gehalten“, wie es in einem Dokument der Hamburgischen Bürgerschaft heißt.
Die Sicherheitsbehörden rechnen jetzt schon mit ersten Unruhen und Plünderungen. Wasser gibt es nur noch aus den 87 in der Stadt verteilten Trinkwassernotbrunnen. Die „Bevölkerung kann mit Trinkwasser in einer Menge von 15 Litern pro Person und Tag versorgt werden“, heißt es in einer Stellungnahme der Bürgerschaft. Problematisch wird jetzt auch das Abwasser, denn auch Klospülungen gehen nicht mehr. Das Abwasser kann nicht mehr zum Klärwerk Köhlbrandhöft/Dradenau gepumpt werden, sondern staut sich in den Rohren. Die Toiletten füllen sich.
Tag 3 nach dem Stromausfall
Langsam ist das Abwassersystem überlastet. Das Abwasser wird jetzt ungereinigt in die Gewässer abgelassen, sagt Ole Brauckmann. Da die Toiletten nicht mehr funktionieren, sind die Hamburger gezwungen, sich andere Orte zum Erleichtern zu suchen.
Die Berufsfeuerwehr geht zu diesem Zeitpunkt von „massiven Versorgungsengpässen bei allen Gütern des täglichen Bedarfes, auch in den Haushalten, die Vorsorge getroffen haben“ aus, weil die Lieferketten abgebrochen sind.
Auch den Einrichtungen der kritischen Infrastruktur gehen die Treibstoffvorräte aus. So muss beispielsweise der Tank des Agaplesion-Krankenhauses nach spätestens 48 Stunden für die Notstromversorgung aufgefüllt werden, wie Ute Schlemmer sagt. Auch das UKE braucht Nachschub. Dieser kann jetzt nur noch durch Reserven vom Bund, die der Erdölbevorratungsverband vorhält, geleistet werden. In einem Papier der Hamburgischen Bürgerschaft heißt es: „Der Versorgungszeitraum richtet sich nach dem Verbrauch und der jeweils freigegebenen/verfügbaren Menge und kann zwischen Tagen und Wochen variieren.“
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Stromausfall: Wenn es länger dauert
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein Blackout länger als drei bis vier Tage dauert, gibt es kaum Vorbereitungen. Experten gehen davon aus, dass dann womöglich die öffentliche Ordnung vollständig zusammenbricht.
Drastisch schildert Marc Elsberg in seinem Thriller „Blackout – Morgen ist es zu spät“ dieses Szenario eines langanhaltenden Blackouts infolge eines Hackangriffs. Im Gespräch mit der MOPO betont der Bestsellerautor: „Ein Blackout geht meistens nur länger als vier Tage, wenn die Stromversorgung etwa durch eine terroristische Gruppe oder einen kriegerischen Akt kontrolliert wird.“
Dafür wappnen sich die Spezialkräfte der Bundespolizei – gerade im Hinblick auf den Ukraine-Krieg und die jüngsten Sabotage-Akte gegen Erdgas-Pipelines und Bahnstrecken, wie Olaf Lindner, Präsident der Bundespolizeidirektion 11, sagte. „Es geht zum Beispiel darum, bei einem etwaigen Cyberangriff auf die Stromversorgung in Berlin möglichst lange handlungsfähig zu bleiben.“ Man habe die Durchhaltefähigkeit und die eigenen Reserven noch einmal massiv erhöht.
Wie wahrscheinlich ist ein Blackout in Hamburg?
Die Gefahr eines großflächigen und langfristigen Stromausfalls wird von Experten als unwahrscheinlich eingeschätzt. Ursächlich für einen Blackout können neben Aktionen organisierter Kriminalität und schweren Naturereignissen auch Engpässe in der Stromversorgung sein. Pressesprecherin Renate Pinzke von der Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) sieht Hamburg im bundesweiten Vergleich in dieser Frage im Vorteil, da „das hiesige Netz eng in das deutsche und europäische Stromnetz eingebunden und mitten im erzeugungsstarken Norden gelegen ist.“
Dass Hamburg von dem vielen Windstrom in Schleswig-Holstein und Niedersachsen profitiert, meint auch Prof. Dr. Alfons Kather vom Institut für Energietechnik der Technischen Universität Hamburg. Er sieht das Risiko, dass es nach dem geplanten Abschalten der noch laufenden Atomkraftwerke im Winter bei den gefürchteten „Dunkelflauten“ zu einzelnen Stromabschaltungen kommen wird, nicht aber zu flächendeckenden Blackouts.