Nach 80 Jahren zurück in der Familie: Das furchtbare Geheimnis dieses Armbands
Es ist gar nicht so leicht, sich in diese Situation hineinzuversetzen. Stellen Sie sich vor: Bei Ihnen klingelt das Telefon und Sie erhalten die Mitteilung, dass vor 80 Jahren acht ihrer Vorfahren im Nazi-KZ ermordet wurden – davon wussten sie nichts, hatten nicht einmal eine Ahnung. Und dann wird ihnen auch noch ein Armband überreicht, das einem Ihrer Vorfahren gehörte.
Genau so ist es jetzt der Familie Franz aus Brake in Niedersachsen ergangen. Pünktlich zum Europäischen Holocaust-Gedenktag der Sinti und Roma am 2. August erhielten sie Besuch von Vertretern der Arolsen Archives aus Bad Arolsen. Das ist das weltgrößte Archiv zu den Verbrechen der Nationalsozialisten.
Unter den Dingen, die dort aufbewahrt werden, gehören persönliche Gegenstände, die KZ-Insassen bei ihrer Inhaftierung abgeben mussten – und meist nicht zurückerhielten: Uhren, Eheringe, Kämme, Familienfotos. Und manchmal eben auch Armbänder.
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Es ist gar nicht so leicht, sich in diese Situation hineinzuversetzen. Stellen Sie sich vor: Bei Ihnen klingelt das Telefon und Sie erhalten die Mitteilung, dass vor 80 Jahren acht ihrer Vorfahren im Nazi-KZ ermordet wurden – davon wussten sie nichts, hatten nicht einmal eine Ahnung. Und dann wird ihnen auch noch ein Armband überreicht, das einem Ihrer Vorfahren gehörte.
Genau so ist es jetzt der Familie Franz aus Brake in Niedersachsen ergangen. Pünktlich zum Europäischen Holocaust-Gedenktag der Sinti und Roma am 2. August erhielten sie Besuch von Vertretern der Arolsen Archives aus Bad Arolsen. Das ist das weltgrößte Archiv zu den Verbrechen der Nationalsozialisten.
Unter den Dingen, die dort aufbewahrt werden, gehören persönliche Gegenstände, die KZ-Insassen bei ihrer Inhaftierung abgeben mussten – und meist nicht zurückerhielten: Uhren, Eheringe, Kämme, Familienfotos. Und manchmal eben auch Armbänder.
Das Armband gehörte Johann Franz – die SS nahm es ihm in Auschwitz ab
Seit geraumer Zeit versuchen die Arolsen Archives, die wahren Eigentümer ausfindig zu machen – in der Regel die Nachfahren. Gar kein leichtes Unterfangen nach so langer Zeit. Aber bei diesem goldfarbenen Armband aus Metall – Materialwert gleich null, der ideelle Wert dagegen unschätzbar – wurden sie fündig.
Die Übergabe war ein sehr bewegender Moment. „Es ist schön und berührend, etwas in der Hand zu halten, das meinem Uropa etwas bedeutet hat und das er schon vor der Zeit im KZ besaß“, sagte Thomas Franz, der Urenkel. Er sei sehr überrascht, dass ein persönlicher Gegenstand von seiner Familie aus der Zeit vor der Verfolgung noch erhalten ist. „Wir haben sonst nichts. Die Nazis haben meiner Familie alles genommen.“
Johann Franz und zwei Kinder überlebten. Seine Frau und sieben Kinder wurden ermordet
Das Armband gehörte dem 1908 im westpreußischen Bromberg geborenen Johann Franz, der 1941 nach Auschwitz deportiert wurde. 20 338 – das war die Häftlingsnummer, die ihm in den Arm tätowiert wurde. Im März 1943 wurde er zur Zwangsarbeit in das KZ Neuengamme transportiert. Die SS in Auschwitz schickte bei dem Transport die persönlichen Gegenstände als sogenannte „Effekten“ mit. Nach der Befreiung des KZ Neuengamme durch die britische Armee wurden die Besitztümer sichergestellt und gelangten so Jahrzehnte später in die Arolsen Archives.
Johann Franz‘ Frau Ida und neun Kinder des Schaustellers kamen im April 1944 nach Auschwitz. Die Mutter und sieben der Kinder kamen dort ums Leben. Nur Johann Franz selbst, sein Sohn Oskar und Frieda, seine Tochter, überlebten den Nationalsozialismus.
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Sie ließen sich nach ihrer Befreiung in Brake bei Bremen nieder und kämpften nach dem Krieg lange vergebens um Entschädigung. Wann Johann Franz starb, ist nicht bekannt.
Die Nachkommen hatten keine Ahnung, dass acht ihrer Vorfahren ermordet worden sind
Sohn Oskar lebte noch bis 2016. Er hat fast nichts über die NS-Zeit erzählt, wollte seine Kinder nicht mit diesen Geschichten belasten. Die Familie wusste zwar, dass Oskar als Kind in Auschwitz war. Aber von seiner ermordeten Mutter und den sieben ermordeten Geschwistern habe er nie gesprochen.
Deshalb war es für die Nachfahren ein großer Schock, nun die Namen der toten Familienmitglieder im Gefangenen-Hauptbuch des „Zigeunerlagers“ von Auschwitz zu sehen. Eine Kopie davon hatten die Vertreter aus Arolsen dabei.
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Familie Franz war tief bewegt. Nun das Armband des Uropas zurückzuerhalten, da schließe sich ein Kreis, „von dem wir nicht mal wussten, dass es ihn überhaupt gibt“, sagte Joachim Franz. „Wenn dieses Armband sprechen könnte, es hätte uns viel zu erzählen.“
Jahrzehntelang leugnete die Bundesrepublik den Völkermord an den Sinti und Roma
Auch für die Arolsen Archives war die Übergabe etwas ganz Außergewöhnliches. „Wir haben kaum Gegenstände von verfolgten Sinti und Roma in unserem Archiv“, erklärt Floriane Azoulay, Direktorin des Archivs. Der Grund: „Sie wurden in aller Regel in die Vernichtungslager im besetzten Polen und in Belarus deportiert, in den meisten Fällen dort ermordet und ihr Besitz verwertet.“
Die Nationalsozialisten töteten während des Krieges mehr als 500.000 Sinti und Roma aus ganz Europa. Die junge Bundesrepublik weigerte sich viele Jahrzehnte lang, verfolgte Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus anzuerkennen und Entschädigungszahlungen zu leisten. Erst im März 1982 änderte die Bundesregierung ihre Haltung – nach massivem öffentlichem Druck.