Zwei Wochen U-Haft mit nur einer Unterhose? Anwalt prangert Zustände in Hamburg an
Keine frische Unterwäsche, nur einmal Duschen pro Woche, 23 Stunden Einschluss ohne Beschäftigung, viele Suizidversuche: In Hamburgs Untersuchungshaftsanstalt herrschen auf der Corona-Quarantänestation „teilweise Bedingungen wie in Nord-Mazedonien“, so der Strafverteidiger Matthias Wisbar. Er will sich nun an an ein EU-Komitee wenden, das sich mit Folter und unmenschlicher Behandlung befasst. Die Justizbehörde weist die Vorwürfe zurück.
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Keine frische Unterwäsche, nur einmal Duschen pro Woche, 23 Stunden Einschluss ohne Beschäftigung, viele Suizidversuche: In Hamburgs Untersuchungshaftanstalt herrschen auf der Corona-Quarantänestation „teilweise Bedingungen wie in Nord-Mazedonien“, so der Strafverteidiger Matthias Wisbar. Er will sich nun an an ein EU-Komitee wenden, das sich mit Folter und unmenschlicher Behandlung befasst. Die Justizbehörde weist die Vorwürfe zurück. Der NDR hatte zuerst berichtet.
Rund 3000 Menschen kommen im Jahr in die U-Haftanstalt am Holstenglacis (Neustadt), warten dort auf ihre Prozesse. Elf von ihnen haben 2020 versucht, sich dort das Leben zu nehmen, vier Insassen starben, wie der Senat auf Anfrage der Linken bekannt gab. Im Jahr 2018, vor Corona, gab es drei Suizidversuche, die Betroffenen überlebten.
Fest steht: Corona hat die ohnehin berüchtigten Bedingungen in der U-Haft härter gemacht. Seit Pandemiebeginn müssen alle Neuzugänge in Quarantäne. Geimpfte für sieben, Ungeimpfte (was statistisch auf jeden Dritten zutrifft) für 14 Tage. Sie seien, so Anwalt Wisbar, Zuständen ausgesetzt, die gegen die Menschenwürde verstoßen. So müssten ungeimpfte U-Häftlinge zwei Wochen mit der Unterhose auskommen, die sie bei ihrer Ankunft getragen haben. „Zwei meiner Mandanten wurden zuhause verhaftet, die hatten sich extra frische Wäsche eingepackt, die ihnen aber erst nach der Quarantäne ausgehändigt wurde“, sagt er.
Es gebe Kollegen, so Wisbar, die „sagen ihren Mandanten, dass sie drei Unterhosen übereinander tragen sollen, damit sie in der U-Haft was zum Wechseln haben.“
Anwalt prangert Zustände in Hamburger U-Haft an
Der Strafverteidiger will sich nun an das „Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung“ wenden, das eigentlich die Lage in möglichen EU-Beitrittsländern überprüft. Wisbar: „Was die in Nordmazedonien festgestellt haben, gibt es teilweise auch in Hamburg.“
Zwei Wochen U-Haft mit nur einer Unterhose? Dennis Sulzmann, Sprecher der Justizbehörde, bestreitet diese Praxis: „Um der derzeitigen Lage Rechnung zu tragen, bietet die U-Haftanstalt einmal wöchentlich Angehörigen und Freunden die Möglichkeit, ohne Termin zeitnah zur Inhaftierung, aber auch danach, Wäsche in der Anstalt abzugeben.“ Diese Privatwäsche würde den Gefangenen schnell ausgehändigt.
Allerdings räumt der Sprecher ein: „In Einzelfällen ist es in der Vergangenheit zu Verzögerungen gekommen.“ Die Häftlinge hätten aber „selbstverständlich“ auch die Möglichkeit, Anstaltsunterwäsche zu beantragen.
Ein weiterer Kritikpunkt des Verteidigers: Während der Quarantäne in U-Haft dürfen die Insassen nur einmal pro Woche duschen, dann aber würden mehrere zusammen dicht an dicht stehen, was den Hygieneauflagen widerspreche. So hätten es ihm Mandanten geschildert. Auch diesen Vorwurf weist die Behörde teilweise zurück. Tatsächlich ist derzeit wegen der Pandemie nur einmal Duschen pro Woche und Häftling vorgesehen, weil jedes Mal die Räume desinfiziert werden müssen.
Die von Häftlingen beschriebenen Gruppentermine gebe es aber nicht. „Das Duschen findet aktuell grundsätzlich als Einzelduschen statt“, so Sulzmann zur MOPO. Für die tägliche Körperpflege, so der Behördensprecher, gäbe es Waschbecken in den Zellen. Außerdem gäbe es Waschwannen für die Handwäsche. „Mindestens drei Mal pro Woche haben die Gefangenen die Möglichkeit, heißes Wasser sowie Waschpulver für ihre Waschwannen zu erhalten.“
Justizbehörde weist Kritik an Haftbedingungen zurück
Neben den Problemen mit der Reinlichkeit prangert der Anwalt auch die teilweise lange Isolation der Häftlinge an: „23 Stunden Einschluss ohne Beschäftigung, das ist nicht rechtmäßig.“ Tatsächlich sei es wichtig, eine Ausbreitung des Virus in den Haftanstalten unbedingt zu vermeiden, aber: „Corona dient auch als Handhabe, alle Gruppenaktivitäten abzulehnen“, so Wisbar. Tatsächlich wurden Sportaktivitäten, gemeinsames Fernsehen und sogar Gottesdienste abgesagt.
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Gegen die quälende Langeweile auf der Quarantänestation sollen alle U-Häftlinge nun gratis Fernseher in ihre Zellen bekommen, teilt der Behördensprecher mit. „Gefangene, die sich nach Einschätzung des Psychologischen Fachdienstes in einer besonders schwierigen Situation befinden und nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen, können diese Leihgeräte bereits seit Längerem kostenfrei erhalten.“
Und die vielen Suizidversuche in der U-Haft? Matthias Wisbar schildert den Fall eines 16-jährigen Mandanten, den die Anstaltsleitung als suizidgefährdet eingestuft hatte. „Er wurde in eine Sicherungszelle gesperrt, ohne Ablenkung, immer beleuchtet, und regelmäßig wurde kontrolliert. Es wurde nur dafür gesorgt, dass ein Suizid technisch unmöglich war, eine psychologische Betreuung fand nicht statt.“
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Dazu erklärt die Behörde, dass sich in der langjährigen Statistik kein Anstieg von Suizidversuchen feststellen lasse. Viele Gefangene seien gesundheitlich angeschlagen, bei Einschränkungen gehe die Haftanstalt „mit Augenmaß“ vor. Aktuell habe Hamburg eine Studie in Auftrag gegeben, wie Suizide besser verhindert werden können.