Der Problemlöser von Billstedt: Atilla hat die Halbstarken im Freibad im Griff
Handschlag, Ghettofaust, ein warnender Pfiff: Atilla Yilmaz arbeitet seit 14 Jahren als Bademeister im Schwimmbad in Billstedt – einem Stadtteil, der bei vielen Hamburgern als Problemviertel gilt. Gewalttätige Konflikte wie kürzlich in zwei Berliner Freibädern hat Yilmaz trotzdem noch nie erlebt. Er setzt bei seiner Arbeit auf ein einfaches, aber wirkungsvolles Prinzip.
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Handschlag, Ghettofaust, ein warnender Pfiff: Atilla Yilmaz arbeitet seit 14 Jahren als Bademeister im Schwimmbad in Billstedt – einem Stadtteil, der bei vielen Hamburgern als Problemviertel gilt. Gewalttätige Konflikte wie kürzlich in zwei Berliner Freibädern hat Yilmaz trotzdem noch nie erlebt. Er setzt bei seiner Arbeit auf ein einfaches, aber wirkungsvolles Prinzip.
Es ist kühl, die Wiese nass vom Regen. „Hamburger Sommer“, witzelt Atilla Yilmaz, während er im Freibad des Billstedter Schwimmbades am Beckenrand steht. Der Wind treibt die Wolken vor sich her, nur langsam erobert die Sonne ihren Platz am Himmel. Eine Frau in schwarzem Badeanzug läuft auf das Schwimmerbecken zu. Sie sieht Yilmaz, hebt die Hand. Der Bademeister formt ein Herz: „Sie kommt jeden Tag“, sagt er.
Hamburg: Bademeister kennt Namen der Kinder
Atilla Yilmaz (51), breites Kreuz und Glatze, wohnt in Billstedt, nur zehn Minuten vom Schwimmbad entfernt. Er zeigt auf die Stufen direkt am Becken. Dort machen sich die Jugendlichen immer breit, sagt er. „Da ist Brunftzeit. Eingeölte Jungs, die den Ladies zeigen wollen, wie nice sie sind.“
„Atilla!“ Ein etwa zwölfjähriger Junge streckt den Kopf aus der Tür zum Hallenbad und winkt. „Hallo Kilian“, ruft Yilmaz zurück, dann folgt er ihm ins Hallenbad. Im Wasser planschen etliche Hortkinder. „Hallo Atilla!“ Yilmaz grüßt sie fröhlich zurück. Er kennt viele Namen, manchmal denkt er sich selbst einen aus – so wie bei „Ernst“, einem blonden Kind, das meist schweigend seine Lippen aufeinander presst.
Billstedt: Atilla Yilmaz kann mehrere Sprachen
„Salam Aleikum, mein Bruder“, grüßt er einen Jungen. Er drückt seine Faust kurz gegen die des Kindes. Yilmaz spricht, neben Deutsch und Englisch, vor allem Türkisch – kann aber auch ein paar Sprüche auf Arabisch, Persisch und Polnisch. „Das hilft, die Kinder finden es witzig, es baut Brücken.“
Er möchte eine Bezugsperson sein, sagt Yilmaz. Wie Richie, sein Bademeister aus Kindertagen in Bad Bramstedt (Kreis Segeberg). Der kleine Atilla wollte damals ins Freibad, schwimmen und Pommes essen. Er hatte aber nur zwei Mark. Also krabbelte er unter dem Zaun durch – und lief direkt in die Arme von Richie. „Er gab mir eine Ohrfeige, fragte, warum ich das gemacht habe“, erzählt Yilmaz. Zwei Mark! Schwimmen! Pommes! Der kleine Atilla durfte bleiben, ausnahmsweise.
Yilmaz agiert heute wie früher Richie – nur ohne Schläge. Sein Motto: „Man findet Lösungen und schafft keine Probleme.“ Als ein paar Halbstarke über den Zaun ins Billstedt-Bad kletterten, fing er sie ab. „Was soll das, Jungs?“ Sie hielten ihm 50 Euro hin. Es gehe nicht darum, Eintritt zu sparen, aber die Schlange an der Kasse sei so lang. Die Jungs durften bleiben – mussten aber bezahlen, als die Schlange kürzer war.
Billstedt: Gewalt wie in Berlin habe er noch nie erlebt
„In Billstedt reguliert sich vieles von selbst. Es ist sehr sozial hier, die meisten kennen sich“, sagt er. Gewalt habe er noch nie erlebt, von viel Security hält er nichts: „Ich denke, Polizei und Security im Bad sind kontraproduktiv. Wenn ich eine Mutter wäre und hier Hundertschaften sehen würde, hätte ich Angst, dass es Probleme gibt. Es schafft keine schönen Situationen.“
In erster Linie kämen die Leute her, um Spaß zu haben. Klar, bei hohen Temperaturen liegen die Nerven schon mal blank, aber meist helfe reden, sagt Bademeister Yilmaz, der auch Kickbox-Lehrer ist. Widerworte gebe es heute jedoch häufiger, er müsse mehr diskutieren.
Der Einsatz scheint sich zu lohnen. Sarina B. (21) besucht das Schwimmbad, seit sie vier Jahre alt war. „Atilla hat eine Vorbildfunktion, er hat die nötige Sensibilität für diesen Stadtteil“, sagt sie. Auch Paul (42) und Sohn Dominik (9) kommen seit mehreren Jahren her. „Ich habe hier Seepferdchen und Bronze gemacht“, erzählt Dominik. Hier sei alles gut, sagen auch Andre F. (53) und Tochter Pauline (9). Atilla habe einen wachsamen Blick, sei eine Präsenz im Raum.
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„Kannst du schwimmen?“, fragt Yilmaz einen jungen Mann. Viele Kinder und Jugendliche in Billstedt lernen erst spät, sich über Wasser zu halten. „Denk daran, Bruder, nicht ins Tiefe. Ich rette keine Männer.“ Ein Zwinkern – und er eilt weiter: Er muss ein Schwimmflügel-Kind von der Rutsche pflücken.