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Ulla Hahn, Schriftstellerin, steht nach einem Interview zu ihrem neuen Roman „Tage in Vitopia“ in ihrem Garten.
  • Ulla Hahn, Schriftstellerin, steht nach einem Interview zu ihrem neuen Roman „Tage in Vitopia“ in ihrem Garten.
  • Foto: picture alliance/dpa/Georg Wendt

Rettung der Erde: Hamburger Schriftstellerin schreibt Öko-Roman

Die Folgen des Klimawandels sind unser täglicher Begleiter – aber es muss nicht immer eine Demonstration sein, um auf Lösungen des Problems aufmerksam zu machen. In dem neuen Roman „Tage in Vitopia“ wirbt Ulla Hahn mit skurrilem Witz für einen gemeinsamen friedlichen Kampf zur Rettung der Erde.

In ihrem Roman „Tage in Vitopia“ („Wir werden erwartet“) der am Mittwoch (31. August) bei Penguin in München erscheint, nutzt die Schriftstellerin Ulla Hahn, die mit dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi verheiratet ist, scheinbar völlig aus der Zeit gefallene Stilmittel: Skurrilen Witz, charmante Fabulierlust und tiefgründige Leichtigkeit.

Und das, um ihr Lesepublikum zu erfreuen und idealerweise zu einer unverkrampften Generaloffensive für ein Miteinander von Menschen, Tieren und sogar Wesen Künstlicher Intelligenz zu mobilisieren.

Der wahre Autor: Ein Eichhörnchen

Dabei betont die vielfach preisgekrönte 77-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in ihrer Wohnung mit Blick in ihren kleinen verwilderten Garten nahe der Hamburger Außenalster, dass gar nicht sie das 247 Seiten starke Werk verfasst habe. Sondern ein Eichhörnchen – Sciurus vulgaris.

Das habe auf ihrer Schulter gesessen und diktiert – sie habe bloß aufgeschrieben. „Ich habe eben die besten Beziehungen“, erklärt Hahn und lacht. „Es war ganz wunderbar, so einen Vorschreiber zu haben. Das verschafft mir eine ungeheure Leichtigkeit.“ Tatsächlich statten ihr solch kleine Pelztiere regelmäßig einen Besuch im Haus ab. Und so ist der Ich-Erzähler der Geschichte – ein Eichhorn.

Eichhorn bläst zum Marsch in Hambacher Forst

Das Kerlchen, Wendelin Kretzschnuss, residiert mit Gattin Muzzli samt Anhang in einem Park, der verdächtig an die Grünfläche nahe dem Haus erinnert, in dem Hahn mit ihrem Ehemann, dem früheren SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi, lebt.

Und weil Wendelin ein aufmerksamer und kluger Zeitgenosse ist, wird er zum Agitator. Bläst zum Marsch in den teils schon abgeholzten Hambacher Forst. Um dort – wie politisch fortschrittliche Menschen anno 1832 – ein Hambacher Fest zu feiern. Diesmal ist die Utopie aber kein geeintes, demokratischeres Deutschland. Sondern eine konzertierte Aktion zur Rettung der Erde mit ihrer Naturzerstörung, ihren Kriegen und sozialen Ungerechtigkeiten.

Alle vereinen sich: Von Marx bis zum Biobauern

Und alle, alle kommen. Hahn – pardon, das Eichhorn – hat in „Tage in Vitopia“ in knubbeliger Eichhorn-Tonart und gespickt mit viel klassischer Bildung ein wahres Wimmelbuch geschaffen. Tiere und Menschen, lebende wie tote, uralte Götter und moderne Cyborgs vereinen sich, um dem großen Ziel zu dienen. Unmöglich, sie alle aufzuzählen.

Die menschlich-tierische Konferenz veranstalten Thomas Morus und Karl Marx. Florence Nightingale und Mutter Teresa machen ebenso mit wie Biobauern und Naturwissenschaftler – so Charles Darwin samt Großvater sowie ein Hofflock genannter Ökologe.

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Franz Schubert spielt beim Öko-Fest sein Forellen-Quintett. Überhaupt ist, neben anderen Künsten, die Musik wichtig – von Beethoven über Louis Armstrong bis zu den Bläck Fööss mit ihrem „Buuredanz“. Bob Dylan bringt mit Friedrich Schiller einen Stein ins Rollen. Fische werden per Video zugeschaltet. Auch Kalif Storch und Kater Murr sind mit von der Partie.

Schatzhauser, der Wünsche erfüllende Waldgeist aus Hauffs romantischem Märchen „Das kalte Herz“. Und dann sind da noch die jüngsten Kunstgeschöpfe – die potenziell nützlichen Cyborgs. Alle diskutieren und spüren, trotz ihrer Sorgen „Zuversicht und Fröhlichkeit im Herzen.“

Die Rettung hängt von jedem einzelnen ab

Der Klang der Zukunft ist bald zu hören. Der Göttin Gaia – Mutter Erde – in Dankbarkeit und Demut gedenken, das Gute bewahren und dem Krieg abschwören, Liebe und Frieden: Darum geht es. Fürchtet Euch nicht. Wir schaffen das. Die Losung, die alle mit zurücknehmen: „Die Rettung der Welt hängt von jedem einzelnen ab, der sie bewahrt.“

Denn alles hängt ja mit allem zusammen – das weiß der von Hahn so geliebte alte Grieche Heraklit. „Ich wollte auch zeigen, wie groß ist unsere Welt. Wie unendlich viele Möglichkeiten wir haben“, sagt die Autorin über den fabelhaften Fülle-Mix des „diese Rangordnungen und Unterschiede – die wollte ich verwischen. Die mag ich nicht.“

So hält sie denn den Menschen nicht für die Krone der Schöpfung. Sondern höchstens für das Geschöpf, das am meisten Verantwortung trägt.

„Mit Besorgtheit hat man noch nie etwas gerettet“

„Die Tiere als Ansporn waren schon sehr wichtig. Denn wer weiß, ob ich nicht als besorgte Bundesbürgerin wieder in diesen Besorgtheitston verfallen wäre. Doch damit hat man noch nie etwas gerettet“, sagt die im Gespräch liebenswürdige und lustige gebürtige Rheinländerin.

„Zuversicht ist eine Vokabel, die mir sehr gut gefällt. Man muss natürlich erkennen, was in die falsche Richtung läuft. Aber wie man das darstellt – macht man damit Mut, etwas zu unternehmen, oder sagt man, um Gottes Willen, es ist sowieso alles zu spät, zu kompliziert? Das gilt in hohem Maße auch für unseren Umgang mit KI.“

Doch es gibt auch Zweifel

Dennoch gebe es etwas, was ihre Haltung erschüttert habe. „Der Krieg in der Ukraine hat mich zweifeln, aber nicht verzweifeln lassen an meiner Zuversicht“, bekennt Hahn. „Dass die Klimafrage dadurch ganz massiv in den Hintergrund gerückt ist – das finde ich ganz grauenvoll. Dass statt Frieden das Wort Waffen dominiert.“

Doch Trost und Hoffnung ließen sich auch in der Schönheit der Form finden – in der Literatur wie in der Natur. „Eine blaue Wegwarte mitten in der Stadt – da geht einem doch das Herz auf“, sagt Hahn. Und letztlich sei ja alles durchdrungen von ein und derselben Materie. „Wir sind alle aus Sternenstaub. Und irgendwann trampelt einer über uns rüber. Das ist doch eine tolle Vorstellung, wenn man sie zu Ende denkt“, sinniert die Autorin. (dpa/mp)

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