Heumilch und Speeddating: Das ist der ungewöhnlichste Kuhstall im Norden
Bei Sven Ole und Jennifer Johansson im Landkreis Harburg gibt's Ladys Nights und Speeddating mitten im Kuhstall – direkt bei den Rindern. An einem sogenannten Futtertisch wechseln sich die Gesprächspartner nach circa sieben Minuten ab, gegebenenfalls gibt es ein positives Herz auf einer Liste der Kandidaten. Sind beide voneinander angetan – ein sogenanntes Match –, gibt Johansson beiden gegenseitig die Telefonnummer. „Es sind schon einige Treffen hinterher zustande gekommen“, sagt die gebürtige Hamburgerin.
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Heumilch und -käse ist vielen aus dem Allgäu bekannt. Ein junges Paar aus Tangendorf (Landkreis Harburg) prescht in diese Marktlücke im Norden. Die Produkte sind fetthaltiger als gewöhnliche Milchprodukte und schmecken intensiv. Aus ihrem Kuhstall haben Sven Ole und Jennifer Johansson außerdem eine echte Event-Location gemacht – mit Kindergeburtstagen und Ladys Nights.
Ein Urlaub im Allgäu hat Sven Ole Johansson zu der Idee inspiriert, seine Kühe nur noch mit Heu zu füttern. Sommer wie Winter, zusätzlich zum Weidegang. Keine Gras- und Maissilage, kein Soja, stattdessen wird das Gras auf dem Hof in Tangendorf in der Gemeinde Toppenstedt im Landkreis Harburg getrocknet. „Wer diese Milch getrunken hat, findet sie saulecker“, sagt Ehefrau Jennifer Johansson. „Wir haben mehr Umsatz als vorher mit konventioneller Milch“. Die 53 Kühe geben allerdings seit der rigorosen Futterumstellung im vergangenen Jahr auch nur noch halb so viel Milch.
Landkreis Harburg: Heumilch aus Norddeutschland
Während die durchschnittliche Menge früher bei 28 bis 30 Litern am Tag lag, fließen jetzt nur 14 Liter in die Behälter. Sie sind eine Milch-Fleischkreuzung und nicht auf Höchstleistung ausgerichtet. Dafür werden sie überdurchschnittlich alt. Während normalerweise die Hörner früh gekappt werden, damit sie sich im Streit um Futter nicht verletzen und den Landwirt nicht gefährden, dürfen die Kälber sie behalten. „Wir beobachten das, bisher geht es ganz gut“, sagt Jennifer Johansson. Die Heumilch schmeckt intensiv und reichhaltig, weil sie einen Fettanteil von fast fünf Prozent hat. Die Wiesen werden später gemäht, durch die vielen verschiedenen Arten an Gräsern ist der Geschmack stärker.
Haltbar ist die Milch sieben Tage und kostet 2,39 Euro pro Liter. Weniger als ein Prozent der Betriebe in Norddeutschland produzieren Heumilch, schätzt Steffen Döring, Berater Ökolandbau bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. „Das ist ein Riesenschritt für einen Betrieb, die Vermarktung ist das A und O“, sagt er. „Ich bin überzeugt von der Heumilch, für das Tier ist das die natürlichere Art der Ernährung.“ Am deutlichsten würde man den Geschmacksunterschied bei der Frischmilch bemerken. Inzwischen beliefern die Johanssons einige Einzelhändler, Restaurants und Cafés, Kindergärten bekommen ihre Milch unterstützt über das EU-Schulprogramm Niedersachsen. Der Betrieb hat auch das EU-Siegel für Heumilch bekommen.
„Wir möchten nicht mehr von den großen Molkereien abhängig sein und uns mit Niedrigpreisen zufrieden geben“, erzählt Sven Ole Johansson. Als er den Hof vor zwei Jahren nach eigenen Angaben verschuldet von seinem Vater übernahm, hat er sich überlegt, wegen der vielen neuen Hofläden im Umkreis ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen. „Viele Betriebe gehen in Eigenvermarktung, haben eine Milchtankstelle, wir wollten uns abheben“, erzählt der 27-Jährige, der die Produktion direkt an der A7 in vierter Generation fortführt. Wegen der hohen Kredite und Kosten, die derzeit explodieren, muss der Landwirt noch dazuverdienen – zweimal die Woche fährt er von Hamburg aus Nachtschichten im Lkw für eine Spedition. Und muss sich beim Nachhausekommen gleich wieder um die Kühe kümmern, dafür klingelt der Wecker normalerweise um 4.30 Uhr.
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„Existenzängste darf man dabei nicht haben“, meint er. Angestellte können sie sich noch nicht leisten, nur der Schwiegervater kommt in Teilzeit frühmorgens aus Hamburg, um die Milch auszufahren. Jennifer Johansson versucht trotz zweier kleiner Kinder Zusatzeinnahmen über Events zu generieren. So veranstaltet sie Kindergeburtstage, Märchenvorlesungen und Bauernhof-Vorführungen wie „vom Kalb bis zur Butter“ ab vier Jahren. Gefragt sind die Ladys Nights und das Speeddating mitten im Kuhstall – direkt bei den Rindern. „Für einige Altersgruppen gibt es eine Warteliste, bei den älteren Semestern sind noch Männer gesucht“, erzählt sie. An einem sogenannten Futtertisch wechseln sich die Gesprächspartner nach circa sieben Minuten ab, gegebenenfalls gibt es ein positives Herz auf einer Liste der Kandidaten. Sind beide voneinander angetan – ein sogenanntes Match –, gibt Johansson beiden gegenseitig die Telefonnummer. „Es sind schon einige Treffen hinterher zustande gekommen“, weiß die gebürtige Hamburgerin. Der Liebe wegen ist Jennifer Johansson von St. Pauli aufs Land gezogen.