Verdacht auf Beihilfe zur Untreue: Ermittlungen gegen Hamburger Ex-Kassenärzte-Chef
Sein Rückzug kam wie aus heiterem Himmel: Nach 17 Jahren im Vorstand der mächtigen Kassenärztlichen Vereinigung in Hamburg hatte dessen Chef im Mai vergangenen Jahres seinen Abschied verkündet. Anfang April schied Walter Plassmann dann endgültig aus dem Amt – drei Jahre vor dem regulären Ende seines Vertrages. Jetzt kommt heraus: Der frühere Vorstandsvorsitzende ist möglicherweise in den AOK-Abrechnungsskandal verwickelt!
„Tschüs, Walter Plassmann“ – so lautet der Titel des frisch gedruckten Journals der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, das am 1. April erschienen ist. Darin enthalten sind zahlreiche lobende Artikel prominenter
Persönlichkeiten von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bis hin zu Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die Plassmann für sein Engagement danken.
Er sei stets „ein verlässlicher Partner“ gewesen, schreibt beispielsweise der Bürgermeister. Doch war Plassmann das wirklich? Sein Rückzug läßt zumindest viele Fragen offen: Warum gibt jemand mit einem Jahresgrundgehalt von 276.223 Euro vorzeitig sein Amt auf, wenn er diese Summe noch drei weitere Jahre beziehen könnte?
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Sein Rückzug kam wie aus heiterem Himmel: Nach 17 Jahren im Vorstand der mächtigen Kassenärztlichen Vereinigung in Hamburg hatte dessen Chef im Mai vergangenen Jahres seinen Abschied verkündet. Anfang April schied Walter Plassmann dann endgültig aus dem Amt – drei Jahre vor dem regulären Ende seines Vertrages. Jetzt kommt heraus: Der frühere Vorstandsvorsitzende ist möglicherweise in den AOK-Abrechnungsskandal verwickelt!
„Tschüs, Walter Plassmann“ – so lautet der Titel des frisch gedruckten Journals der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, das am 1. April erschienen ist. Darin enthalten sind zahlreiche lobende Artikel prominenter Persönlichkeiten von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bis hin zu Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die Plassmann für sein Engagement danken.
Warum zog Plassmann sich trotz eines Jahresgrundgehalts von 276.223 Euro vorzeitig zurück?
Er sei stets „ein verlässlicher Partner“ gewesen, schreibt beispielsweise der Bürgermeister. Doch war Plassmann das wirklich?
Sein Rückzug läßt zumindest viele Fragen offen: Warum gibt jemand mit einem Jahresgrundgehalt von 276.223 Euro vorzeitig sein Amt auf, wenn er diese Summe noch drei weitere Jahre beziehen könnte? Zwar ist Plassmann 67 Jahre alt und damit im Rentenalter. Doch der KV-Chef hatte ausdrücklich betont, dass sein Rückzug weder politische noch gesundheitliche Gründe habe. Vielmehr wolle er Platz machen für die nächste Generation, da mit dem bevorstehenden Ende der Corona-Pandemie eine neue Zeit für die KV Hamburg anbrechen werde.
Staatsanwaltschaft Hamburg hat Anklage wegen Untreue erhoben
Wirklich überzeugend war das nicht. Zumal Plassmann nach Ausbruch der Pandemie in gewohnt hochaktiver Manier als Krisenmanager auftrat, das Impfzentrum in den Messehallen organisierte und für die Einrichtung des Arztrufs 116117 sorgte. MOPO-Recherchen zufolge könnte der Grund für Plassmanns vorzeitigen Abgang seine mögliche Verwicklung in den AOK-Abrechnungsskandal sein.
Erst im Januar hatte die Hamburger Staatsanwaltschaft Anklage gegen mehrere Vorstandsmitglieder der AOK Rheinland/Hamburg erhoben. Sie sollen zwischen 2011 und 2016 Daten von Patienten und ihren Diagnosen nachträglich geändert und beim Bundesverwaltungsamt eingereicht haben, mit dem Ziel, der Krankenkasse höhere Ausgleichszahlungen aus dem Gesundheitsfonds zukommen zu lassen. Dabei beriefen sie sich auf den sogenannten morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). Heißt: Je kränker die Mitglieder einer Krankenkasse, desto mehr Geld erhält diese.
Abrechnungsbetrug: KV-Chef soll Beihilfe geleistet haben
Jetzt kommt heraus: Zu den Beschuldigten zählt auch Walter Plassmann. Wie ein Gerichtssprecher gegenüber der MOPO bestätigte, betrifft der Vorwurf der Untreue zum Nachteil anderer Krankenkassen nicht nur die Verantwortlichen der AOK Rheinland/Hamburg. „Hierzu soll der damalige Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg Beihilfe geleistet haben“, so der Sprecher.
Konkret soll die KV Hamburg Ärzte dazu angehalten haben, Diagnosen von Patienten nachträglich zu ändern bzw. zu ergänzen. „Darin liege nicht nur ein Verstoß gegen den Sozialdatenschutz, sondern auch eine finanzielle Schädigung der anderen am Morbi-RSA beteiligten Krankenkassen“, erklärte der Sprecher.
„Kein Zusammenhang“: Plassmann weist Vorwürfe zurück
Noch ist das Hauptverfahren nicht eröffnet. Das Gericht prüft aktuell, ob ein hinreichender Tatverdacht gegen die Angeschuldigten besteht. Dabei wird Plassmann und den AOK-Vorständen die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Fristen dazu laufen noch.
Gegenüber der MOPO erklärt der ehemalige KV-Chef: „Zum Zeitpunkt der Ankündigung meines Rückzuges aus dem KV-Vorsitz (Mai 2021) hatte die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft noch gar nicht vorgelegen. Die Ermittlungen können schon aus diesem Grund nicht ursächlich für meine Entscheidung gewesen sein. Es besteht keinerlei Zusammenhang.“ Hinsichtlich des Beihilfe-Vorwurfs erklärte Plassmann, solange die Klage noch nicht zugelassen sei, werde er öffentlich keine Stellung dazu nehmen.
Kassenärztliche Vereinigung stellt sich hinter früheren Chef
Was Plassmann nicht sagt: Die Studie der Techniker Krankenkasse, die Anlass für die Ermittlungen im Abrechnungsskandal gab, wurde 2019 veröffentlicht. Dass es zu Ermittlungen kommen könnte, lag auf der Hand. Dennoch erklärt auch Plassmanns früherer Arbeitgeber: „Für die KV Hamburg besteht keine Veranlassung, an den von Herrn Plassmann angegebenen Gründen für seinen Rückzug zu zweifeln“, so ein Sprecher.
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Die AOK Rheinland/Hamburg hatte die Vorwürfe der Anklage zurückgewiesen: Grundlage des Verfahrens sei ein bereits 2016 beigelegter Rechtsstreit zwischen der Krankenkasse und dem Bundesversicherungsamt, dem heutigen Bundesamt für Soziale Sicherung. „Die aktuell in den Medien geäußerten Vorwürfe, es habe vorsätzliche Falschabrechnungen zulasten des Gesundheitsfonds gegeben, sind haltlos“, so der Vorstand der AOK Rheinland/Hamburg.
Am Ende wird das Gerichtsverfahren zeigen, ob sich der Betrugsvorwurf erhärten lässt oder nicht. Das Urteil entscheidet.