Geldbote im Kugelhagel: „Sheriffstern” rettet Hamburger das Leben
Vor 40 Jahren trugen Geldboten der Firma Brink’s Schenker dunkelblaue „US-Pilotenjacken“ mit einem Brustabzeichen aus Metall. Rainer M. war damals dort angestellt und fand sein Outfit und speziell den „Sheriff-Stern“ irgendwie albern. Das änderte sich am 23. Juni 1984. Da rettete das „Shield“ dem 22-Jährigen bei einem Überfall das Leben. Die Spur der Fahnder führte ins Hamburger Rotlicht-Milieu.
- Deutsch (Deutschland)
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Vor 40 Jahren trugen Geldboten der Firma Brink’s Schenker dunkelblaue „US-Pilotenjacken“ mit einem Brustabzeichen aus Metall. Rainer M. war damals dort angestellt und fand sein Outfit und speziell den „Sheriff-Stern“ irgendwie albern. Das änderte sich am 23. Juni 1984. Da rettete das „Shield“ dem 22-Jährigen bei einem Überfall das Leben. Die Spur der Fahnder führte ins Hamburger Rotlicht-Milieu.
An diesem Samstag war wie fast jeden Tag Hochbetrieb im „Divi-Warenhaus“ am Grandkuhlenweg (Lurup). Und im Gegensatz zu heute wurde damals überwiegend mit Bargeld bezahlt. Die Geldscheine landeten in der Hauptkasse des Kaufhauses im 1. Stock.
Und die ist an diesem Tag das Ziel der beiden Geldboten, die mit einem gepanzerten blauen Transporter auf dem Gelände vorfahren und auf dem Behindertenparkplatz stoppen. Ein dritter Mann bleibt aus Sicherheitsgründen die ganze Zeit im Auto.
Rainer M. (22) und sein gleichaltriger Kollege Ralf M. gehen in die Hauptkasse und stopfen 17 „Geldbomben“ in zwei große olivgrüne Leinentaschen. Diese „Geldbomben“ sind massive verschließbare Metallbehälter, in denen die Kassierer in den einzelnen Abteilungen jeweils ihre Einnahmen verstauen. Diesmal befinden sich rund 250.000 Mark (125.000 Euro) Bargeld und Schecks im Wert von 50.000 Mark in diesen röhrenförmigen Behältern.
Hamburg: Geldboten im Kugelhagel
Als nun die beiden Geldboten mit den Einnahmen das Gebäude verlassen und auf den Geldtransporter zugehen, achten sie nicht auf den jungen Mann, der einen hellen Trenchcoat und einen roten Schlapphut trägt. Er hält eine Leinentasche in der Hand, aus der ein Rohr herausragt – der Lauf einer Repetier-Schrotflinte. Zur Tarnung hat der Schlapphut-Träger eine Herrensocke über den Lauf gestülpt.
Plötzlich tritt der Mann hinter die Geldboten und schreit: „Geldsäcke her!“ Ralf M. glaubt an einen dummen Scherz und dreht sich nicht mal um. Doch sein Kollege Rainer M. erfasst den Ernst der Lage und zieht seinen schweren Smith&Wesson-Revolver vom Kaliber 357 Magnum.
Eine Sekunde später reißt ihn eine Schrotladung von den Füßen. Nun zieht auch der zweite Geldbote seinen Revolver und wird sofort vom zweiten Schuss des Gangsters in den linken Arm getroffen. Ralf M. wirft sich daraufhin hinter einem geparkten Auto in Deckung. Seine Beine aber schauen hinter dem Wagen hervor. Nun schießt der Gangster ein drittes Mal und trifft den Fuß des 22-Jährigen. In Todesangst wirft Ralf M. dem Verbrecher seinen Revolver vor die Füße und ruft: „Du hast gewonnen.“
Räuber erbeuten 300.000 Mark in Lurup
Der Verbrecher schnappt sich die Geldsäcke. Unglaublich: Völlig grundlos schießt er dem hilflos und verletzt am Boden liegenden Ralf M. mit der Schrotflinte in den Rücken.
In diesem Moment taucht ein zweiter Räuber auf, bedroht Passanten mit einem schweren Revolver und sichert die Flucht seines Komplizen. Das Gangster-Duo entkommt in einem grünen VW Polo. Die Polizei setzt bei der Fahndung 40 Streifenwagen, den Polizeihubschrauber „Libelle“ und das Mobile Einsatzkommando (MEK) ein. Doch die Beamten entdecken nur den verlassenen Fluchtwagen auf einem Parkplatz in Bahrenfeld. Der VW Polo war von den Verbrechern an der Königstraße in Altona gestohlen worden.
Der Autor
Thomas Hirschbiegel (hier am Tatort Grandkuhlenweg) ist seit 1977 bei der MOPO. Der 62-Jährige war fast 40 Jahre Polizeireporter, schreibt heute als Chefreporter auch über Stadtentwicklung, Autos oder „Lost Places“.
An den Überfall vor 38 Jahren erinnert er sich: „An Geldtransporter wagten sich damals nur Profi-Gangster heran. Immerhin waren ihre Opfer ja mit scharfen Revolvern bewaffnet. Damals war eine Bande am Werk, die bei verschiedenen Taten Beute in Millionenhöhe machte. Später ergaben sich Spuren, die ins Umfeld des St. Pauli-Killers Werner Pinzner führten.“
Die schwer verletzten Geldboten werden ins AK Altona gebracht. Die Männer waren von grobem Schrot, sogenannten „Sauposten“, getroffen worden. Die beiden Verletzten überleben. Aber Ralf M., der von den Kugeln in die Lunge getroffen wurde, bleibt erwerbsunfähig.
Rainer M. dagegen wurde von seinem massiven Abzeichen vor Schlimmerem bewahrt. Zwei von sechs der jeweils rund acht Millimeter großen Schrotkugeln haben das Metall-„Shield“ auf seiner Brust getroffen und es eingedellt. Der 22-Jährige wird wieder ganz gesund und kann erneut als Geldbote arbeiten.
Täter Mitglieder einer Bande – Spur führt ins Hamburger Rotlichtmilieu
Die Polizei gründet eine Sonderkommission. Die Ermittlungen ergeben nach Untersuchung der Patronenhülsen, dass mit demselben Schrotgewehr 1983 bereits Michael Berger (25), Filialleiter eines Aldi-Markts in Dulsberg, erschossen worden war,
Insgesamt verfolgt die Kripo bis 1985 genau 80 Spuren – viele davon führen nach St. Pauli. Es gibt Hinweise, dass die Täter aus dem Rotlicht-Milieu kommen und noch für weitere Verbrechen wie den Überfall auf einen Eurospar-Markt in Eilbek verantwortlich sind. Doch ein konkreter Tatverdacht ergibt sich nicht, die brutalen Gangster werden niemals ermittelt.