Sturmflut 1962: „Die Bomben waren nicht so schlimm wie das Wasser“
„Ich fuhr mit dem Sturmboot in eine tote Stadt. Aus dem Katastrophengebiet Kirchdorf in das noch schlimmer verwüstete Wilhelmsburg. Die Dove-Elbe hinunter über den Ernst-August-Kanal bis zum Spreehafen. Hier brach Freitag Nacht der Deich. Es ist der gleiche Weg, den die Hauptflutwelle nahm. Unvorstellbar, dass in den Siedlungen, Kolonien und Steinhäusern einmal Menschen lebten.“
Der MOPO-Reporter Volker Bredenberg ist bei der Sturmflut 1962 in Hamburg einer der ersten Journalisten im Überflutungsgebiet. Diese Reportage aus seiner Feder erscheint in der Ausgabe vom 20. Februar 1962.
„Mit hoher Bugwelle schießt unser Boot über das trübe, trümmerübersäte Wasser hinweg. Zwischen den Häuser- und Laubenruinen aufgedunsene Tierleiber, wie von Geisterhand übereinandergewürfelte Personenwagen, vor uns im Wasser Hausrat, Möbel, in Zellophan verpackte Lebensmittel.“
Der MOPO-Reporter Volker Bredenberg ist bei der Sturmflut 1962 in Hamburg einer der ersten Journalisten im Überflutungsgebiet. Diese Reportage aus seiner Feder erscheint in der Ausgabe vom 20. Februar 1962:
Ich fuhr mit dem Sturmboot in eine tote Stadt. Aus dem Katastrophengebiet Kirchdorf in das noch schlimmer verwüstete Wilhelmsburg. Die Dove-Elbe hinunter über den Ernst-August-Kanal bis zum Spreehafen. Hier brach Freitag Nacht der Deich. Es ist der gleiche Weg, den die Hauptflutwelle nahm. Unvorstellbar, dass in den Siedlungen, Kolonien und Steinhäusern einmal Menschen lebten.

Mit hoher Bugwelle schießt unser Boot über das trübe, trümmerübersäte Wasser hinweg. Zwischen den Häuser- und Laubenruinen aufgedunsene Tierleiber, wie von Geisterhand übereinandergewürfelte Personenwagen, vor uns im Wasser Hausrat, Möbel, in Zellophan verpackte Lebensmittel.
28 Tote haben sie allein in der Kolonie Brummerkaten gefunden
Pionier Backmann lenkt unser Boot. Seine Einheit ist in Minden stationiert. Seit Sonnabend sind die Pioniere im Einsatz. Die erste Nacht schliefen sie in ihrem Lastkraftwagen. Bis gestern Mittag holten sie alleine aus der Kolonie Brummerkaten 28 Tote heraus.
Gott sei Dank steht das Wasser nicht mehr so hoch wie am Sonntag. An acht verschiedenen Stellen haben britische Pioniere den Deich gesprengt. Der Wasserspiegel ist mindestens um 1,5 Meter gesunken. Aber noch immer reicht das Wasser an vielen Stellen bis zu den Dachrinnen der stehen gebliebenen Häuser.

Vor uns und neben uns flitzen die Sturmboote über das Wasser. Über uns Hubschrauber. Sie bringen Trinkwasser, Lebensmittel und Bekleidung. Wir fahren ans Ufer heran. Sofort bin ich von Menschen umringt. Seit Freitagnacht haben sie kein Radio mehr gehört. Seit Freitagnacht gehen die Nachrichten von Mund zu Mund. „Die Bomben waren nicht so schlimm wie das Wasser“, meinen sie. Nach ihren Schätzungen sollen es noch mindestens 30.000 Menschen sein, die vom Wasser eingeschlossen sind.
Tod und Leben sind dicht beieinander. In dieser toten Stadt
Vorbei an Wohnbooten, deren Aufbauten der Sturm zerfetzte und deren Bewohner dick vermummt sich weigerten, ihre armselige Behausung zu verlassen, biegen wir aus dem Ernst-August-Kanal in eine Straße ein. Wie sie heißt, weiß ich nicht. Kein Schild ist da. Es ist auch egal. So wie hier sieht es überall aus. Wo einmal Gardinen die Fenster schmückten, starren mir jetzt kahle Löcher entgegen.
Tod und Leben sind dicht beieinander. In dieser toten Stadt.