„EncroChat“-Ermittlungen: Warum Hamburgs Polizei Personal abzieht – trotz Mega-Erfolg
Die abgefischte Dealer-Korrespondenz der „EncroChat“-Server sorgt für massenweise Verfahren und Verhaftungen in Hamburg. Jan Reinecke, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), erklärt im MOPO-Interview, wieso die Ermittlungen so ein bemerkenswerter Erfolg sind, die Personal-Planung dies aber torpedieren könnte. Und: ob eine Legalisierung von Cannabis der Polizei helfen würde.
MOPO: Die Verdächtigen, die bisher ermittelt wurden – sind das eher kleine oder auch größere Fische?
Reinecke: „Kleine Fische“ gibt es unter den „EncroChat“-Verfahren praktisch gar nicht. Es sind ausschließlich Personen, die vom Kilogramm- bis in den Tonnenbereich mit illegalen Drogen gehandelt haben. Von „kleinen Fischen“ könnte man höchstens bei denjenigen sprechen, die in den festgestellten Fällen den „großen Fischen“ als Handlanger dienten. Viel wichtiger ist: „EncroChat“ half dabei, „Big Playern“, von denen die Strafverfolgung bislang gar nichts wusste, ihr Handeln nachzuweisen. Denen hätte die Polizei ihre Taten niemals nachweisen können, weil sie die Fäden im Hintergrund über ihr „EncroChat“-Handy in der Hand hielten und nicht mehr offen in Erscheinung treten mussten.
Aus welchen Nationen kommen die Dealer? In welchen Stadtteilen wohnen sie?
Die Mitglieder der festgestellten Dealernetzwerke sind multi-ethnischer Herkunft. Bei den hier festgestellten Big Playern – die den Strafverfolgungsbehörden bisher so nicht bekannt waren – handelte es sich um Personen deutscher und albanischer Nationalität. Sie alle handelten stadtweit.
- Deutsch (Deutschland)
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Die abgefischte Dealer-Korrespondenz der „EncroChat“-Server sorgt für massenweise Verfahren und Verhaftungen in Hamburg. Jan Reinecke, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), erklärt im MOPO-Interview, wieso die Ermittlungen so ein bemerkenswerter Erfolg sind, die Personal-Planung dies aber torpedieren könnte. Und: ob eine Legalisierung von Cannabis der Polizei helfen würde.
MOPO: Die Verdächtigen, die bisher ermittelt wurden – sind das eher kleine oder auch größere Fische?
Reinecke: „Kleine Fische“ gibt es unter den „EncroChat“-Verfahren praktisch gar nicht. Es sind ausschließlich Personen, die vom Kilogramm- bis in den Tonnenbereich mit illegalen Drogen gehandelt haben. Von „kleinen Fischen“ könnte man höchstens bei denjenigen sprechen, die in den festgestellten Fällen den „großen Fischen“ als Handlanger dienten. Viel wichtiger ist: „EncroChat“ half dabei, „Big Playern“, von denen die Strafverfolgung bislang gar nichts wusste, ihr Handeln nachzuweisen. Denen hätte die Polizei ihre Taten niemals nachweisen können, weil sie die Fäden im Hintergrund über ihr „EncroChat“-Handy in der Hand hielten und nicht mehr offen in Erscheinung treten mussten.
Aus welchen Nationen kommen die Dealer? In welchen Stadtteilen wohnen sie?
Die Mitglieder der festgestellten Dealernetzwerke sind multi-ethnischer Herkunft. Bei den hier festgestellten Big Playern – die den Strafverfolgungsbehörden bisher so nicht bekannt waren – handelte es sich um Personen deutscher und albanischer Nationalität. Sie alle handelten stadtweit.
Kommt auf jeden verhafteten Dealer ein neuer nach? Wird das Zepter einfach an jemand anderen übergeben, um die Geschäfte am Laufen zu halten?
Nein. Es gab sehr viele sogenannte „Powerseller“, die das Kokain einfach unverändert weiterverkauft haben. Diese Leute haben dann an der Weitergabe von einem Kilo Kokain ungefähr 500 Euro verdient. Solche Täter werden nicht einfach nachbesetzt. Man kauft seine Drogen dann bei einem anderen.
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Ein Beispiel: Auf dem Wochenmarkt gibt es 20 Obsthändler. Nur weil einer vielleicht nicht wiederkommt, rückt nicht unbedingt ein neuer nach. Sondern erstmal wenden sich die Kunden an die verbliebenen 19 Obsthändler. Dann zeigen sich die Kunden untereinander regelmäßig, was sie gekauft haben und verkaufen ihren Einkauf dann wiederum an andere interessierte Kunden mit Preisaufschlag weiter. Irgendwann füllt dann einer dieser Kunden den leergewordenen 20. Platz auf, weil er einen Großhändler gefunden hat, der es ihm ermöglicht, mit seinen Preisen mit dem anderer Großhändler mitzuhalten.
Welchen Einfluss haben die bisherigen Verhaftungen auf den Drogenmarkt und die Organisierte Kriminalität?
Der Preis ist momentan relativ hoch. Vielleicht nicht bei den Endkonsumenten, aber die Handelspreise für Kokain und Marihuana sind gestiegen. Dennoch unterliegt auch dieser Markt immer Schwankungen. Die Verhaftungen der letzten zwei Jahre haben auf jeden Fall erheblichen Einfluss auf die Szene gehabt. Es konnten sehr viele Täter in kurzer Zeitr vom „Markt“ genommen und größtenteils zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden.
Gibt es eine Schätzung, wie viele Menschen in Hamburg mit Drogen dealen?
Nichts seriöses. Aber man kann davon ausgehen, dass circa 1000 Menschen im Kilogrammbereich agieren. Die Kleindealer sind nicht zählbar oder abschätzbar.
Wie schwer sind die Ermittlungen eigentlich? Bei der großen Datenmenge sicherlich nicht einfach, da hinterherzukommen und alle Beschuldigten, die in den Chats auftauchen, zeitnah dingfest zu machen.
Die größte Herausforderung liegt darin, eine ausreichende Anzahl an Ermittlerinnen und Ermittlern für diese Massen an Verfahren von Ihren eigentlichen Aufgaben abzuziehen. Da die Hamburger Kriminalpolizei unter erheblicher Personalnot leidet, ist es bereits so, dass Personal aus der sehr erfolgreich arbeitenden BAO (Besondere Aufbauorganisation, Anm. d. Red.) „HHammer“ abgezogen werden musste, um andere Löcher in der Strafverfolgung zu stopfen. Die Folge: Nicht jeder erfolgversprechenden Spur aus den „EncroChat“-Verfahren kann nachgegangen werden.
Trotzdem ist die Arbeit der BAO eine absolute Erfolgsgeschichte. In Deutschland wäre ein Vorgehen, wie das der französischen Behörden, wohl niemals möglich gewesen. Hierzu sei nur einmal an die nicht nachzuvollziehende politische Diskussion um die längerfristige Speicherung von Verbindungsdaten durch Telekommunikationsanbieter – auch als „Vorratsdatenspeicherung“ bekannt – hingewiesen. Das aktuelle Verbot von Verbindungsdaten und das Fehlen von technischen Überwachungsmöglichkeiten sind der Grund, dass abertausende Straftaten in Deutschland nicht aufgeklärt werden können.
Bei aller Freude über die aktuellen Erfolge: Ist der polizeiliche Kampf gegen Drogen nicht eigentlich aussichtslos?
Diese Frage gilt ja allen Straftaten, denen die Polizei nachgehen muss. Es wird immer Mörder, Betrüger, Diebe und eben auch Drogendealer geben. Die Polizei wird solange dem Handel illegaler Drogen nachgehen, wie es der Gesetzgeber ihr zur Aufgabe macht. Grundsätzlich kann man jedoch sagen, dass der illegale Drogenhandel und die damit einhergehende Gewalt- und Geldwäschekriminalität massiv zu spüren wäre, wenn die Polizei sich dieses Kampfes nicht annehmen würde. Ein Blick in die Niederlande, wo regelmäßig Liquidationen von Seiten der organisierten Kriminalität auf offener Straße vollzogen und nicht selten unbeteiligt schwer verletzt oder getötet werden, zeigt uns doch auf, wohin uns eine zu liberale Drogenpolitik führen kann.
Die Ampel plant die Legalisierung von Cannabis. Würde das den Ermittlern helfen?
Das Problem bei einer Legalisierung von Cannabis ist deren Umsetzung. Wir als BDK fordern seit langem die Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten, so dass zum Beispiel lediglich der Konsum in der Öffentlichkeit – z.B. in der Nähe von Kindergärten, Schulen und Spielplätzen – als Ordnungswidrigkeit mit spürbaren Bußgeldern verfolgt werden würde. Im Umkehrschluss darf dies jedoch nicht bedeuten, dass der illegale Handel im Bereich der organisierten Kriminalität weniger verfolgt werden müsste. Eher im Gegenteil, denn durch eine Legalisierung von Cannabis würden noch mehr Menschen versuchen, schnelles Geld mit dem Handel zu verdienen, auf Grund der geringeren Strafandrohung und -verfolgung.
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Realistisch betrachtet würde die Zukunft nach einer Legalisierung so aussehen, dass diejenigen, die es sich leisten können, ihr Cannabis in den entsprechenden Geschäften erwerben. Der Großteil der Konsumenten würde jedoch weiterhin zu dem Dealer ihres Vertrauens gehen und praktisch keinen Verfolgungsdruck mehr erleben. Die Abgabe an Minderjährige würde nach dem jetzigen Gesetzesentwurf der Ampel nicht einmal mehr ein Verbrechenstatbestand sein, was den geplanten erhöhten Jugendschutz konterkarieren würde.
Von einer Sache kann man sicher ausgehen: Der Rauschgiftbekämpfung würden die ohnehin schon knappen Mittel mit Sicherheit noch weiter gekürzt werden, weil der Cannabishandel aus Sicht der Politik auf Grund der Legalisierung nicht mehr verfolgt werden müsste. Auf Grund der Sog-Wirkung von liberaler Drogenpolitik auf die organisierte Kriminalität kann das in Deutschland, wegen seiner hervorragenden topografischen Lage im Zentrum von Europa, des guten Sozialsystems und der schwachen Geldwäschegesetze mittelfristig zu schlimmeren Strukturen führen, als es die Niederlanden derzeit erleben.