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  • Foto: picture alliance/dpa

Kindesmissbrauch vertuscht?: Hamburger Erzbischof in Bedrängnis

Der Kölner Kardinal Woelki hat den Umgang seines Bistums mit Missbrauchsvorwürfen von unabhängigen Juristen untersuchen lassen. Nun sickern die Ergebnisse durch – und bringen einen der höchsten katholischen Würdenträger in Erklärungsnot: den Hamburger Erzbischof Stefan Heße. 

Die katholische Kirche in Deutschland hat jahrzehntelang den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester vertuscht. Dennoch ist bisher kein einziger Bischof zurückgetreten. Die vor zwei Jahren veröffentlichte Studie der Deutschen Bischofskonferenz wurde zwar von vielen als wichtiger Schritt zur Aufarbeitung gewürdigt, nannte jedoch keine Namen. Jetzt aber steht erstmals ein konkreter Oberhirte unter Druck: der Hamburger Erzbischof Stefan Heße.

Missbrauchsvorwürfe: Heße wechselte 2015 als Erzbischof nach Hamburg

Heße, ein gebürtiger Kölner, hat in seinem Heimatbistum Karriere gemacht. Er war dort Personalchef und Generalvikar, bevor er 2015 als Erzbischof nach Hamburg wechselte. In Erklärungsnot bringt ihn nun ein Gutachten, das der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki bei einer Münchner Anwaltskanzlei in Auftrag gegeben hat. Die Juristen sollten den Umgang des Erzbistums mit sexualisierter Gewalt untersuchen – und zwar völlig unabhängig. Und: Sie sollten auch die Namen derjenigen nennen, die dafür verantwortlich waren, „dass Vorfälle von sexuellem Missbrauch gegebenenfalls vertuscht oder nicht konsequent geahndet wurden“. Das hat Woelki ausdrücklich versprochen.

Rückzieher im März: Gutachten der Anwaltskanzlei noch nicht veröffentlicht

Im März sollte das Gutachten der Presse vorgestellt werden. Doch kurz vor dem angekündigten Termin machte Woelki einen Rückzieher: Die „identifizierbare Nennung der früheren Verantwortungsträger“ sei nicht in all ihren Rechtsaspekten „abschließend geklärt“, hieß es. Zuvor, so ist zu hören, hatten einige dieser „Verantwortungsträger“ mit Gegenmaßnahmen gedroht. Inzwischen ist rund ein halbes Jahr vergangen, aber einen neuen Termin für die Veröffentlichung des Gutachtens gibt es immer noch nicht. Und nun sickern die Ergebnisse nach und nach auf inoffiziellem Weg durch.

Hamburger Priester im Fokus: Anwälte finden Brisantes

Offenkundig ist, dass die Münchner Anwälte durchaus Brisantes aus den Archiven des größten deutschen Bistums zutage gefördert haben – und einer derjenigen, die das betrifft, ist Erzbischof Heße. Es geht dabei um den Fall eines heute 69 Jahre alten Priesters, der in den 90er Jahren seine minderjährigen Nichten über Jahre hinweg schwer sexuell missbraucht haben soll. In diesem Sommer hat die Staatsanwaltschaft Köln Anklage gegen den Geistlichen erhoben.

Die „Bild”-Zeitung hat nun enthüllt, dass die Münchner Anwälte bei ihren Nachforschungen auf einen brisanten Aktenvermerk gestoßen sind. Das Erzbistum Hamburg hat den Text mittlerweile wie folgt bestätigt: „Aus einer Gesprächsnotiz über ein Telefongespräch geht hervor, dass Pfarrer U. im Generalvikariat in einem Gespräch alles erzählt hatte. Es sollte über dieses Gespräch jedoch bewusst kein Protokoll angefertigt werden, weil befürchtet wurde, dass dies dann beschlagnahmefähig wäre. Aus diesem Grund sollten nur handschriftliche Notizen existieren, die notfalls vernichtet werden könnten. Herr Prälat Dr. Heße gibt zu diesem Vorgehen sein Einverständnis.“

Hamburger Bischof: „Habe nach besten Wissen und Gewissen gehandelt“

War es also so, dass der Pfarrer den Missbrauch intern zugegeben hatte, aber dann entschieden wurde, darüber den Mantel des Schweigens zu breiten und möglichst keine Spuren zu hinterlassen? Heße bestreitet das entschieden: „Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, um jedem Fall gerecht zu werden“, sagte er im vergangenen Monat in einem Interview mit der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“. Zu dem Vermerk teilt er der Deutschen Presse-Agentur mit: „Es handelte sich um eine Telefonnotiz meiner Sekretärin. Es ist also nicht etwas, was ich gesagt habe, auch nicht etwas, was mir gesagt wurde, sondern etwas, das aufgeschrieben worden und mir vorgelegt worden ist, und das wirft einige Fragen auf.“ Er sei an einer vollständigen Aufklärung interessiert.

Hamburger Priester wurde schon 2019 angeklagt

Fest steht, dass der Priester schon 2010 angezeigt worden war. Doch dann wurde die Anzeige wieder zurückgezogen. Machte die Kirche da Druck? 2019 nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen erneut auf, was dieses Jahr zur Anklage führte. Die Missbrauchsopfer – heute erwachsen – sollen jetzt aussagebereit sein. Der Priester war nach dem erstmaligen Bekanntwerden der Vorwürfe noch lange für das Kölner Erzbistum tätig. Von 2002 bis 2016 war er Krankenhauspfarrer in Wuppertal, von 2016 bis 2019 Pfarrvikar im Kreisdekanat Euskirchen. Auch beteiligte sich das Erzbistum an seinen Anwaltskosten.

Was wird jetzt geschehen? Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“ sagte in der vergangenen Woche der „Augsburger Allgemeinen“: „Für mich kann Erzbischof Stefan Heße sein Amt nicht mehr glaubwürdig ausfüllen – weder im Umgang mit den Betroffenen noch mit Blick auf die Aufarbeitung. Ich denke, dass er über kurz oder lang zurücktreten wird müssen.“

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Der Fall zeigt der katholischen Kirche in jedem Fall: Allgemeine Schuldbekenntnisse sind das eine, persönliche Verantwortung und damit verbundene Konsequenzen das andere. Möglicherweise ist dies Woelki nicht in seiner vollen Tragweite bewusst gewesen, als er das Gutachten in Auftrag gab. (dpa/mp)

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