In Hamburg gibt’s die größte Flaschenpost-Sammlung der Welt
Wer das Wort „Flaschenpost“ hört, denkt an Seeabenteuer, an den Hilferuf eines Schiffbrüchigen, den es auf eine einsame Insel verschlagen hat. Oder an Botschaften von Verliebten. Dass es mit der Zustellung dauern kann und dass der Brief, wenn überhaupt, erst nach langer Zeit von irgendeinem Unbekannten durch Zufall gefunden wird, macht gerade die Faszination dieser Form der Nachrichtenübermittlung aus. „Message in a bottle“, das ist Romantik pur. Zumindest empfinden Laien es so. Dabei war dies mal eine wichtige Forschungsmethode.
Wer das Wort „Flaschenpost“ hört, denkt an Seeabenteuer, an den Hilferuf eines Schiffbrüchigen, den es auf eine einsame Insel verschlagen hat. Oder an Botschaften von Verliebten. „Message in a bottle“, das ist Romantik pur. So empfinden wir es jedenfalls. Vor 150 Jahren ssh das noch ganz anders: Damals warfen Forscher die Buddeln über Bord – weil sie sich davon spannende wissenschaftliche Erkenntnisse erhofften.
Er zum Beispiel: Georg Balthasar von Neumayer (1826-1909), der heute weitgehend vergessen ist, aber im 19. Jahrhundert einer der bedeutendsten Geografen, Ozeanografen, Hydrografen und Südpolarforscher war. Der gebürtige Bayern leitete von 1875 bis 1903 die Deutsche Seewarte in Hamburg, den Vorläufer des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH).

Dank Georg von Neumayer lagert heute in der Bibliothek des BSH an der Bernhard-Nocht-Straße (St. Pauli) die größte Flaschenpost-Sammlung der Welt. Exakt 662 Stück umfasst sie. Vier icke schwarze Ordner sind voll damit. Liebesgrüße sind nicht darunter. Auch keine Hilferufe. Es handelt sich vielmehr um inzwischen zwar ziemlich vergilbte, aber ansonsten sehr nüchterne Formulare. Nur selten sind persönliche Nachrichten darauf zu finden.
Bereits in der Antike sind kluge Menschen auf die Idee gekommen, wasserdichte, unsinkbare Gefäße ins Meer zu werfen und abzuwarten, wohin die Strömung sie treibt. Neumayer hat die Methode also nicht erfunden, aber er hat sie perfektioniert. Denn er sorgte dafür, dass nicht nur ein paar, sondern gleich mehr als 5000 Flaschen systematisch in den Weltmeeren landeten. 1864 startete er das Projekt. Bis 1933 – da war Neumayer längst tot – wurde es fortgeführt.
Neumayers ehrgeiziges Ziel: die Enträtselung der Meere
Ziel Neumayers war es, mehr zu erfahren über die Strömungsverhältnisse auf den Weltmeeren, denn außer den Erfahrungswerten der Kapitäne gab es dazu im 19. Jahrhundert noch keine Erkenntnisse. Neumayer wollte sie genau studieren: jene „großen Adern, die den Ocean nach allen Richtungen durchziehen und Bewegung und Leben in der unendlichen Wassermasse erzeugen“. Der Wissenschaftler hatte sich dem größten Projekt des 19. Jahrhunderts verschrieben: der Enträtselung der Meere.

Und so funktionierte das Langzeit-Experiment: Passagiere, Kapitäne oder Schiffsoffiziere deutscher Handelsschiffe wurden mit leeren Flaschen und einem Stoß gedruckter Formulare ausgestattet und hatten die Anweisung, an einer genau festgelegten Stelle die Flaschenpost über Bord zu werfen. Wenn dann Hafenarbeiter, Fischer oder Spaziergänger Tage, Wochen, Monate oder Jahre später am anderen Ende der Welt darauf stießen, zogen sie den Korken raus und entrollten das Papier. Die Finder des gläsernen Treibguts wurden „ergebenst ersucht“, den Inhalt an die Seewarte zurückzusenden – unter Angabe von Datum und Fundort. Und manch einer tat das. So kamen rund zehn Prozent wieder zurück.
Erst nach 132 Jahre tauchte diese Flaschenpost wieder auf

Das Projekt startete exakt am 14. Juli 1864 an Bord des Schiffes „Norfolk“. Auf einer Reise von Melbourne nach London warf ein Mitarbeiter Neumayers, Eduard Brinkmann, in der Nähe von Kap Hoorn mehr als 60 Flaschen über Bord – eine davon wurde drei Jahre später, am 10. Juni 1867, gefunden, und zwar in etwa dort, wo die „Norfolk“ in See gestochen war: an der australischen Küste, 300 Kilometer westlich von Melbourne. Die Flasche ist allerdings nicht einfach zurückgeschwommen, sondern hat unter dem Einfluss diverser Meeresströmungen eine Reise rund um die Welt angetreten. Die wahrscheinlichste Route von Kap Hoorn bis zum Fundort hat eine Länge von 8532 Seemeilen (knapp 16.000 Kilometer). Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit pro Tag: acht Seemeilen.

Bei so mancher Neumayer’schen Flaschenpost hat es Jahrzehnte gedauert, bevor sie gefunden wurde. Am längsten war diejenige unterwegs, die am 12. Juni 1886 von Bord des Hamburger Forschungsschiffs „Paula“ in den Indischen Ozean geworfen wurde. Erst nach 132 Jahren tauchte sie wieder auf: Die Australierin Tonya Illman, eine Fotografin, war am 21. Januar 2018 am Strand von Wedge Island nördlich von Perth unterwegs, als sie auf die altertümlich wirkende Flasche aufmerksam wurde. Anfangs hielt die Australierin das Ding für Müll. „Dann dachte ich, das könnte gut in mein Bücherregal passen.“ Erst beim näheren Hinsehen entdeckte sie darin ein zusammengerolltes Formular in deutscher Sprache.
Vermutlich ist die Flasche höchstens ein Jahr im Meer geschwommen, bevor sie an Land gespült wurde. Wahrscheinlich war sie seit Jahrzehnten im Sand vergraben und wurde darum so spät entdeckt. Das würde auch erklären, warum Flasche und Papier so gut erhalten sind. Heute sind Buddel und Begleitschreiben ausgestellt im Australian Western Museum in Perth. Wenn Sie mal in der Nähe sind, werfen Sie einen Blick drauf!
Und so funktioniert die moderne „Flaschenpost“

Die moderne Flaschenpost ist gut anderthalb Meter hoch, aus gelb lackiertem Aluminium und stromert zumeist in 2000 Metern unter dem Meeresspiegel herum. Die Nachfolger der altehrwürdigen Flaschenpost nennen sich „Floating Drifter“. Sie leiten exakte Messdaten automatisch über Satellit an Datenzentren weiter.
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Für das globale Ozeanbeobachtungs-Programm ARGO sind in den Meeren weltweit rund 3300 dieser mit modernsten Mess- und Sendeinstrumenten ausgerüsteten Geräte unterwegs. Die Treibkörper sinken nach dem Aussetzen auf fast 2000 Meter Tiefe hinab und treiben 14 Tage auf diesem Tiefenniveau. Dann steigen sie an die Meeresoberfläche hinauf und messen während des Aufstiegs die Temperatur- und Salzgehaltsverteilung in der Wassersäule. Mithilfe der Positionsdaten können die Strömungsverhältnisse berechnet werden. Der weltweit freie Datenzugang hilft, ein flächendeckendes 3-D-Strömungsmodell der Ozeane bis in 2000 Meter Tiefe abzubilden.