G20 in Hamburg: Dieser jungen Frau brach ein Polizeibeamter das Bein
Wenn Lola Diaz Ramos, Lehrerin an einer Grund- und Stadtteilschule, an den G20-Gipfel vor fünf Jahren denkt, dann läuft es ihr immer noch kalt den Rücken runter. Dann ist ganz schnell die Wut wieder da. Über so viel Ungerechtigkeit. Denn ein Polizist hat ihr das Bein gebrochen – aber er wird sich dafür wohl nie verantworten müssen.
Wenn Lola Diaz Ramos, Lehrerin an einer Grund- und Stadtteilschule, an den G20-Gipfel vor fünf Jahren denkt, dann läuft es ihr immer noch kalt den Rücken runter. Dann ist ganz schnell die Wut wieder da. Über so viel Ungerechtigkeit. Denn ein Polizist hat ihr das Bein gebrochen – aber er wird sich dafür wohl nie verantworten müssen.
Es ist der Samstag nach den schweren Unruhen im Schanzenviertel. „Mit meinem Musikkollektiv bin ich abends losgezogen, weil ich dachte, es wäre vielleicht toll, Musik und gute Laune auf die Straße zu bringen nach all der Gewalt“, sagt die 31-Jährige. Doch daraus wurde dann nichts. „Ohne Vorwarnung rückte eine Polizeieinheit aus Baden-Württemberg an. Es war auf der Feldstraße. Alles ging sehr schnell. Sie sind direkt zu uns gekommen und haben uns zusammengeschlagen und das Soundsystem kaputtgehauen. Und dann, als alles quasi schon vorbei war, hat sich einer der Polizisten umgedreht. Er hatte irgendwie noch nicht genug, hat weitergeschlagen und mir mit seinem Schlagstock das Wadenbein gebrochen.“

Polizist konnte nicht identifiziert werden, weil seine Kollegen schweigen
Das Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) leitete ein Verfahren ein. Und weil es ein Video von dem Vorfall gibt, konnten vier Beamte aus Süddeutschland identifiziert werden, die als Täter infrage kommen. Trotzdem wurde bis heute keine Anklage erhoben. Die Beamten machen von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.
Das könnte Sie vielleicht auch interessieren: G20 – Warum die Polizeitaktik mitverantwortlich für das Desaster war
„Würde man von einer gemeinschaftlichen Tatbegehung ausgehen, würde es nicht darauf ankommen, wer den Schlag ausführte“, so Dieter Magsam, der Rechtsanwalt von Lola Diaz Ramos. „Bei Demonstranten macht die Staatsanwaltschaft das, bei den Polizeibeamten lehnt sie es ab.“ Weil der Einsatzleiter der vier fraglichen Beamten sagt, er könne nicht sagen, wer geschlagen hat, sollte das Verfahren schon zweimal eingestellt werden – der Anwalt hat aber jedesmal Beschwerde eingelegt.
Lola Diaz Ramos ist kein Einzelfall. Es gibt etliche Menschen, die beklagen, Opfer von polizeilichen Übergriffen geworden zu sein – und vergeblich darauf warten, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Insgesamt leitete die Staatsanwaltschaft 169 Verfahren gegen Polizei-Einsatzkräfte ein, darunter 133 wegen Körperverletzung im Amt. Inzwischen sind 147 Verfahren eingestellt. Anklage erhoben wurde – in keinem Fall.
169 Verfahren gegen Polizeibeamte, aber keine Anklage
Wieso nicht? Weil in vielen Fällen die Beschuldigten nicht identifiziert werden konnten – wie im Fall Lola Diaz Ramos. Außerdem gilt: „Polizeibeamte können wegen des Gewaltmonopols des Staates durchaus zur Anwendung unmittelbaren Zwangs berechtigt sein“, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Um eine Straftat anzuklagen, müsse geprüft werden, was das vermeintliche Opfer zuvor getan hat und ob die Gewalt unverhältnismäßig war. „Dies ist oft schwierig, da das vorliegende Bildmaterial immer nur Momentaufnahmen zeigt“, so die Sprecherin. Auch für Polizisten gelte die Unschuldsvermutung.
Der einzige Polizeibeamte, der im Zusammenhang mit G20 vor Gericht stand, war der 35-jährige Oliver D. aus München, der während des Gipfels privat in Hamburg war, an einer Demo teilnahm und die Polizei mit einer Bierdose bewarf – weil er, wie er angab, wütend und entsetzt gewesen sei wegen des brutalen Vorgehens seiner Kollegen. Er habe sich geschämt, Polizist zu sein. D. wurde freigesprochen und hat den Polizeidienst quittiert.

Sehr große Energie verwandten die Ermittler auf die Suche nach den G20-Randalierern. Die 160-köpfige „Soko Schwarzer Block“ leitete die größte Öffentlichkeitsfahndung ein, die es je in Deutschland gegeben hat. Hunderte Fotos von Straftätern – zumeist stammen sie aus Überwachungskameras und aus Polizeivideos – wurden veröffentlicht, um die Identität der Verdächtigen zu ermitteln. Mit großem Erfolg. Die Fahnder spürten Täter in ganz Europa auf.
Soko „Schwarzer Block“ jagte Randalierer: 240 Schuldsprüche
Schon im August 2017 stand der erste G20-Angeklagte vor Gericht: Peike S., ein nicht vorbestrafter 21-jähriger Niederländer, wurde zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt, weil er zwei Flaschen auf einen Polizeibeamten geworfen hatte, ihn am Helm und am Bein traf. Das harte Urteil wurde in der zweiten Instanz zu einer Bewährungsstrafe abgemildert.
Das könnte Sie vielleicht auch interessieren: „Unser Hamburg“ 17 – neue Ausgabe des MOPO-Geschichtsmagazins mit 30 Seiten zum G20-Gipfel
Die härteste Strafe in den G20-Verfahren erging im Dezember 2017 gegen einen damals 30-Jährigen mit zahlreichen Vorstrafen: Er wurde zu drei Jahren und drei Monaten Haft wegen besonders schweren Landfriedensbruchs sowie versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Zwei Randalierer sitzen immer noch im Gefängnis: Ein 23-Jähriger, der an den schweren Krawallen im Schanzenviertel beteiligt war – er verbüßt eine gemeinsame Strafe für diese und weitere Delikte, die er ein Jahr nach dem Gipfel beging. Und ein 42-Jähriger, der sowohl bei „Welcome to Hell“ als auch später im Schanzenviertel mitgemischt hatte. Er sitzt für fünf Fälle von Landfriedensbruch und tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte ein.
Bis heute sind mehr als 950 Verfahren gegen 1300 identifizierte Beschuldigte geführt worden. Es gab laut Innensenator Andy Grote (SPD) mehr als 240 Schuldsprüche u. a. wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung. Abgeschlossen ist die juristische Aufarbeitung aber noch nicht. Dutzende von Beschuldigten warten auf ihren Prozess.