„Eine Tragödie“: Der Kampf um Hamburgs stählernes Kiez-Skelett
Was passiert mit der Schilleroper? Das fragen sich viele Hamburgerinnen und Hamburger, wenn sie das Stahlgerüst auf St. Pauli sehen. Welche Vergangenheit hat das Metallskelett von 1889 und was plant der jetzige Eigentümer für die Zukunft?
Was passiert mit der Schilleroper? Das fragen sich viele Hamburgerinnen und Hamburger, wenn sie das Stahlgerüst auf St. Pauli sehen. Welche Vergangenheit hat das Metallskelett von 1889 und was plant der jetzige Eigentümer für die Zukunft?
Einsam, riesengroß und leicht angerostet ragt inmitten eines idyllisch aufgewerteten Wohngebiets ein stählernes Skelett in Richtung Himmel. Gestützt wird es durch ein Metallgerüst. In seiner Form eines zwölfeckigen Rundbaus mit 30 Metern Durchmesser und 24 Metern Höhe, bekrönt von einer Art Laterne, erinnert es an die Struktur eines Zirkus- oder Theaterzelts.
Und richtig: Das, was auf einem umzäunten Areal heute unter dem Namen Schilleroper firmiert, entstand von 1889 bis 1891 für den berühmten Circus Busch als festes Haus. Situiert zwischen den historisch gewachsenen Vergnügungsvierteln von St. Pauli und der Altonaer Schanze.
Schilleroper: Schwere Zerstörung im Zweiten Weltkrieg
Elefanten, Eisbären und Artisten, 1914 auch der später legendäre Ur-Hamburger Hans Albers (1891-1960) sowie Opern und Operetten wurden hier bejubelt. So schildert es auch der Autor Horst Königstein im Buch „Die Schiller-Oper in Altona“ von 1983, für das er noch viele Zeitzeugen befragen konnte. Doch längst ist der Rundbau eher ein trauriger Zankapfel.

Denn nach schwerer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und späterem Großbrand steht die damals hochmoderne Zirkus-Stahlkonstruktion als deutschlandweit einzige ihrer Art seit 2012 unter Denkmalschutz. Und die Wünsche von Stadt, Anwohnern und der Eigentümerin Schilleroper Objekt GmbH sind bislang nicht auf einem Nenner. 2021 mussten auf Anordnung des Bezirksamts Hamburg-Mitte die nicht denkmalgeschützten Anbauten abgerissen werden, da ihr Einsturz drohte.
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St. Lustig – so nannte man die vor den westlichen Toren der Hansestadt gelegene Gegend, die von Napoleons Truppen niedergebrannt worden war. Ab den 1840er-Jahren florierten dort Kaffeehäuser und Bierlokale, Varietés und Zirkusse. In diesem Dunstkreis erwarb Paul Busch (1850-1927), Sohn eines Weinhändlers, ein Stück Land. Er ließ vom Altonaer Zimmermeister Wilhelm Völckers den 38.000 Mark teuren, mit Wellblech verkleideten Zirkusbau errichten und pachtete diesen für 15.500 Mark jährlich bei freiem Eintritt für Völckers. Gut 3000 Zuschauer passten in das 1891 eröffnete Gebäude.
Der Direktor bot seinem sensationshungrigen Publikum Spektakel, die geschickt Tierdressuren mit Theaterelementen verknüpften. Der Laden war oft proppenvoll, aber finanziell ein Minusgeschäft, wie Königstein schreibt. Bald darauf kaufte Busch einen Konkurrenten auf und verließ seinen alten Standort. Ein Neustart ging erst 1904 über die Bühne. Für 120.000 Mark verwandelte Ernst Michaelis den Zirkus in ein Theater. Am 20. April des Schiller-Jahres 1905 eröffnete das Schiller-Theater mit einer Vorstellung von „Wilhelm Tell“.
Hamburg: 1932 entstand der Name „Schilleroper“
Über die formulierte der Theaterkenner Paul Möhring: „Es war eine schaurig-schöne Aufführung, unwürdig von der ersten Szene bis zum letzten Fall des Vorhangs.“ Von da an scheinen sich die Ereignisse, auch vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs und folgender oft schlechter Zeiten, förmlich überschlagen zu haben.
yLos ging es mit Tragödien und Opern, flotten Revuen und schlüpfrigen „Sittenstücken“. Auch die Stummfilmstars Asta Nielsen und Lupu Pick waren hier live zu erleben. In den politisch bewegten 1920ern sah man Anspruchsvolles wie Marieluise Fleißers „Pioniere in Ingolstadt“ und Brecht/Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Nach einem weiteren Umbau 1932 im Stil der Neuen Sachlichkeit entstand der heutige Name.

„Unter all diesen Orten war die Schilleroper so ein bisschen die Flohkiste unter den Tingeltangels“, sagt die Historikerin und Kiez-Kennerin Eva Decker. „Diejenigen, die sie betrieben haben, waren nicht unbedingt Theaterleute.“ Dazu gehörten die Juden Max Ellen und Benno Fränkel, die zur Nazi-Zeit auswanderten. In jenen Jahren erlebte auch das Drama „Der Wanderer“ seine Aufführung. Autor: der Reichspropagandaminister und promovierte Germanist Joseph Goebbels (1897-1945). 1939 wurde das Haus wegen nicht vorhandener Luftschutzräume geschlossen.
Das Ende kam 1943 mit einer Brandbombe bei der „Operation Gomorrha“. Spätere Stationen beim langen Abstieg der Schilleroper: Autowerkstatt und Internierungslager, Fernfahrerhotel und Zwangsversteigerung, Motorradartistik und Werftarbeiterasyl, Club- und Gastronomiebetrieb.
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Wie soll es nun aber weitergehen? Immer wieder meldet sich eine Anwohnerinitiative kritisch zu Wort. Die Eigentümerin, die Schilleroper Objekt GmbH, will sich auf Anfrage nicht äußern, verweist lediglich auf ihre Internetseite. Dort ist zu lesen, die Firma plane auf dem Areal sozialen Wohnraum. Auch kleine Läden, Büros, Restaurants, ein Fitness-Center.
Zukunft für die Schilleroper: bisher liegt kein Bauantrag vor
Unter dem runden Stahlgerüst solle ein großer Platz für alle entstehen. Dem Bezirksamt liegt allerdings nach Angaben einer Sprecherin noch kein Bauantrag vor. Die Eigentümerin hatte jahrelang gegen die Stadt geklagt, weil sie mit der Unterschutzstellung nicht einverstanden war.
Ein Sprecher der Kulturbehörde äußert sicheher allgemein: „Grundsätzlich ist es immer schön, wenn ein Denkmal möglichst weit in seiner Ursprungsform erhalten bleibt“, sagt Enno Isermann. „Das ist hier natürlich eine besondere Situation, da ja ‚nur‘ das Stahlgerüst unter Schutz steht.“ Man könne erst anhand konkreter Pläne besprechen, wie die Konstruktion in eine Neubebauung integriert werden könne. Man sei im Austausch mit der Eigentümerin.

Kritik kommt von der Opposition. „Anscheinend spielt die Eigentümerin weiterhin auf Zeit“, sagt die Bürgerschaftsabgeordnete der Linken, Heike Sudmann. „Denn je länger das Stahlgerüst ungeschützt da steht, desto größer ist die Gefahr, dass es zusammenbricht. Und dann wäre der Denkmalschutz weg.“ Nach Sudmanns Auffassung wären die Pläne des Unternehmens nur umzusetzen, wenn die Rotunde entweder verrückt oder – von außen dann nicht sichtbar – umbaut würde.
Kiez-Historikerin: Schilleroper soll „ein Ort der Begegnung“ werden
„Eine Tragödie“ nennt die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Anke Frieling, die Entwicklungen rund um die Schilleroper. „In anderen Städten Europas werden denkmalgeschützte Gebäude in moderne Architektur integriert. Das muss auch in Hamburg möglich sein“, fordert die Abgeordnete. Und was erhofft sich die Kiez-Historikerin? „Man kann wohl nicht an die alte Nutzung anknüpfen – weil die ganze Ecke nach Abrissen in den 70er-Jahren anders geworden ist“, sagt Decker. „Aber ich würde mir wünschen, dass Spuren erhalten bleiben. Eine Art Marktplatz wäre wohl etwas Gutes – ein neuer Ort der Begegnung.“ (dpa/mp)