• Viele Hamburger zieht es trotz Corona nach draußen, zum Beispiel an den Elbstrand. Fühlen wir uns zu sicher?
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Angst vor der zweiten Corona-Welle: Wie viel Sorgen müssen wir uns machen?

Hamburg –

Die Infektionszahlen in den USA steigen sprunghaft an, Südkorea und der Iran sehen sich mit einer zweiten Corona-Welle konfrontiert, Israel richtet neue Quarantäne-Zonen ein – und auch in Deutschland nähren diverse „Corona-Hotspots“ die Angst vor einer zweiten Infektionswelle. Wie viel Sorgen müssen wir uns machen?

Man wollte schon fast daran glauben, dass wir die Pandemie im Griff haben. Die geringe Zahl an Neuinfektionen in Deutschland und die schrittweise Lockerung der Kontaktbeschränkungen machten Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zur Normalität. Reisen innerhalb Europas sind wieder möglich, seit Donnerstag ist sogar der Pariser Eiffelturm wieder geöffnet. Ein Blick auf die internationale Entwicklung entlarvt diese Hoffnungen aber als trügerisch.  

WHO: Zahl der Corona-Neuinfektionen erreicht neuen Höchstwert

Die Pandemie wütet weiter, am Sonntag wurde laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit mehr als 183 000 bestätigten Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden sogar ein neuer Spitzenwert erreicht. Unter anderem in den USA ist das Virus erneut außer Kontrolle, nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität vom Mittwoch wurden hier binnen 24 Stunden 35.900 neue Infektionsfälle verzeichnet, fast so viele wie zum bisherigen Höhepunkt der Krise im April.

Aber auch in Israel, das zu den Ländern zählt, die besonders vorbildlich auf die Pandemie reagiert hatten, breitet sich das Virus erneut aus. Die Regierungen Südkoreas und des Iran warnen angesichts steigender Infektionszahlen ebenfalls vor einer zweiten Welle.

Fallzahlen schnellen nach Lockerungen in die Höhe

Die Ursachen für die erneute Ausbreitung des Virus sind verschiedenen Experten zufolge die rasche Lockerung der Maßnahmen zu seiner Eindämmung und das leichtfertige Verhalten der Menschen. In allen derzeit von einer zweiten Welle betroffenen Staaten waren zuvor Kontaktbeschränkungen und Hygienevorschriften gelockert worden. Die USA unter Präsident Donald Trump waren hierbei sehr schnell vorgegangen und hatten die Beschränkungen aufgehoben, bevor die Pandemie erfolgreich eingedämmt war, was sich Kritikern zufolge nun an der hohen Zahl der Neuinfektionen ablesen lässt. Insbesondere in den Südstaaten ist die Lage verheerend, Kliniken sind überlastet.

Donald Trump hatte sich in der Vergangenheit immer wieder geweigert, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen.

Donald Trump hatte sich in der Vergangenheit immer wieder geweigert, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Auch bei einer Wahlkampfversanstaltung in Tulsa trat er ohne Maske auf – ebenso wie die Mehrzahl seiner Anhänger.

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In Südkorea soll der neue Ausbruch auf das Seouler Nachtleben zurückgehen, viele Menschen hatten sich offenbar beim Besuch einer Bar angesteckt. Israels Regierung kritisiert derweil den Leichtsinn der Bevölkerung in Bezug auf die nach wie vor geltenden Abstandsregeln und ermahnt die Bürger, weiterhin Masken zu tragen. „Wenn wir nicht sofort unser Verhalten hinsichtlich Maskenpflicht und Abstandsregeln ändern, werden wir uns gegen unseren Willen neue Sperrmaßnahmen einbrocken“, prophezeite Regierungschef Benjamin Netanjahu angesichts der steigenden Fallzahlen.

Laut WHO zeichnet sich in Europa eine ähnliche Entwicklung ab: 30 Länder in der europäischen Region hätten im Laufe der vergangenen beiden Wochen wieder steigende Infektionszahlen vermeldet, Bulgarien hatte jüngst mit einer Wiedereinführung der Maskenpflicht reagiert.

Gütersloh, Göttingen, Berlin: Angst vor zweiter Corona-Welle in Deutschland

Auch hierzulande wächst die Angst vor einer zweiten Infektionswelle. In Deutschland wurden dem Robert-Koch-Institut zufolge seit Mittwoch 630 neue Corona-Fälle bestätigt, die Reproduktionszahl liege derzeit bei 0,72, also unter dem kritischen Wert von 1. Allerdings gibt es in Deutschland derzeit mehrere sogenannte „Corona-Hotspots“, also Orte oder Regionen, in denen die Zahl der Neuinfektionen stark steigt. Darunter: Schlachtbetriebe in den Kreisen Gütersloh und Oldenburg und Hochhauskomplexe in Göttingen und Berlin.

In Göttingen steht ein gesamter Hochhauskomplex unter Quarantäne.

In Göttingen steht ein gesamter Hochhauskomplex unter Quarantäne.

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Nach dem Corona-Ausbruch in einem Schlachthof der Firma Tönnies im Kreis Gütersloh, der neuen Informationen zufolge auf den Besuch eines Gottesdienstes zurückgehen könnte, finden derzeit freiwillige Massentests in der Region statt, die zeigen sollen, ob die Corona-Infektionen bereits auf andere Bereiche der Gesellschaft übergesprungen sind. Von 2000 Tests sei aber bisher nur einer positiv gewesen, wie der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Donnerstag bekanntgab.

„Die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Welle steigt“

Dennoch: „Die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Welle steigt“, sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am Donnerstag der „Rhein-Neckar-Zeitung“. Lauterbach zeigte sich insbesondere über den Umgang von Teilen der Bevölkerung mit der Corona-Infektionsgefahr besorgt. „Wenn man abends vor allem durch Großstädte geht, hat man den Eindruck, dass vor allem jüngere Menschen sich so verhalten, als hätte es Corona nie gegeben“, so der SPD-Politiker und Gesundheitswissenschaftler. „Wenn wir so weiter machen, werden wir im Herbst steigende Infektionszahlen und neue Infektionsketten erleben – im Herbst wäre dann eine zweite Welle tatsächlich zu erwarten.“

Umfrage: Hamburger befürchten zweite Corona-Welle

Auch rund zwei Drittel der Hamburger (67 Prozent) befürchten einer aktuellen Umfrage zufolge eine zweite Corona-Welle. Sollte es dazu kommen, wären fast drei Viertel der Befragten (73 Prozent) mit Einschränkungen des täglichen Lebens wie bei der ersten Welle einverstanden, heißt es in einer am Donnerstag vorgelegten Befragung des Meinungsforschungsinstituts „pmg – policy matters“ im Auftrag der Körber-Stiftung. Die bislang getroffenen Vorsichtsmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie hielten 77 Prozent der Menschen in der Hansestadt demnach für gerechtfertigt.

In Hamburg sind die Corona-Maßnahmen seit einigen Wochen gelockert, einen neuen Anstieg der Fallzahlen verzeichnet die Hansestadt zumindest derzeit aber noch nicht, im Gegenteil: die Zahlen sind denkbar niedrig, seit Mittwoch ist in Hamburg lediglich ein neuer Corona-Fall bestätigt worden, wie die zuständigen Behörden am Donnerstag mitteilten. Das deutet darauf hin, dass sich die Hamburger zum Großteil noch an die geltenden Regeln halten. Allerdings wird der Leichtsinn auch in der Hansestadt immer deutlicher spürbar, am vergangenen Wochenende musste die Polizei in der Schanze sogar ein Alkoholverbot aussprechen, weil sich Massen an Menschen zum „Cornern“ versammelt hatten.

Mehrere Streifenwagen am Schulterblatt in Hamburg.

In der Schanze tummeln sich am Wochenende viele Feierwütige zum „Cornern“. Zuletzt musste die Hamburger Polizei durchgreifen (Archivbild).

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Für das kommende Wochenende wies die Polizei noch einmal explizit darauf hin, „dass die Maßnahmen zur Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln weiterhin Bestand haben.“ Die Reduzierung von Infektionsketten bleibe trotz aktuell geringer Infektionszahlen weiterhin besonders wichtig. „Sollte es zu großen Menschenansammlungen inklusive des Verzehrs von alkoholischen Getränken kommen, werden im Zweifel erneut Alkoholverkaufsverbote ausgesprochen oder sogar Lokale schließen müssen“, heißt es in der Mitteilung der Polizei.

Christian Drosten: „Das Virus kommt wieder“

Virologe Christian Drosten warnt vor einer zweiten Corona-Infektionswelle. (Archivbild)

Virologe Christian Drosten warnt vor einer zweiten Corona-Infektionswelle. (Archivbild)

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Virologe Drosten hält das Szenario einer zweiten Infektionswelle ebenfalls für überaus wahrscheinlich: Die 50. (und vorerst letzte) Folge seines NDR-Podcasts trägt den Titel „Das Virus kommt wieder“. Ziel müsse es sein, die erneute Ausbreitung zu vermeiden, so der Experte mit Blick auf die Hotspots Gütersloh, Göttingen und Berlin, er sei allerdings „nicht optimistisch“.

Drosten zufolge gebe es bereits erste Anzeichen dafür, dass das Virus in die „Bevölkerung hinausgetragen“ worden sei. Umso wichtiger sei, dass man sich nach wie vor an die Vorgaben der Regierung halte, so Drosten – den aktuellen Zustand bewertet er, ähnlich wie SPD-Politker Lauterbauch, als äußerst kritisch. „Die Leute fühlen sich sicher“, so Drosten. „Wenn es so weitergeht, haben wir in zwei Monaten ein Problem.“ (skö)

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