• Etwas gruselig: Der Tunnel wurde schon oft als Film-Kulisse genutzt.
  • Foto: Florian Quandt

„Lost Place“ in Hamburg: Die Unterwelt von Altona beginnt neben dem Bahnhof

Altona –

Altonas Unterwelt fängt gleich neben dem Bahnhof an: An der Präsident-Krahn-Straße befindet sich eine versteckte Rampe, die zu einem massiven Stahltor führt. Ines Hinrichs vom Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer hat den Schlüssel dabei und führt uns in den Schellfischtunnel. Mehr als 100 Jahre war der „Hafenbahntunnel Altona“ die Lebensader, die ganz Deutschland mit Fisch versorgte.    

Doch davon ist nichts mehr zu spüren. Vor 29 Jahren fuhr hier der letzte Zug. Wir starten unsere Tour tief unter der Max-Brauer-Allee. Knapp einen Kilometer sind es bis zum Elbhang und uns präsentiert sich der Tunnel erstaunlich aufgeräumt und sauber. Ines Hinrichs erklärt: „Vor Jahren hat hier die Stadtreinigung einmal ordentlich aufgeräumt und alles sauber gemacht.“

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Die Frau mit dem Schlüssel: Ines Hinrichs am Tunneleingang neben dem Bahnhof Altona.

Foto:

Florian Quandt

Auch Wasser steht kaum im Tunnel. Wir stapfen ins Dunkle, suchen im Schein unserer Taschenlampen vergeblich nach Fledermäusen, Ratten oder wenigstens Spinnweben.  Dann stehen wir plötzlich vor einer hölzernen Trennwand. Sie wurde hier angeblich einmal für Dreharbeiten installiert und dann vergessen. Weiter geht’s. Ein dumpfes Dröhnen erschreckt uns. Das ist die S-Bahn, die unter unserem Tunnel verläuft. In der Ferne dann ein zartes Licht. Wir nähern uns dem Tunnelmund am Elbhang. Auch hier versperrt ein massives Gitter den Zugang. Die Gleise verschwinden im Wildwuchs von Bäumchen und Sträuchern. Eine Wasserfläche hat sich im alten Gleisbett gebildet. Im allerletzten Teil der alten Bahnlinie kampieren Obdachlose.

Die Gleisverbindung vom Tunnel zum Altonaer Bahnhof.

Die Gleisverbindung vom Tunnel zum Altonaer Bahnhof.

Foto:

Florian Quandt

Lost Place Schellfischtunnel: Erste Pläne schon 1845

Erste Pläne für einen Tunnelbau am Elbgang gab es schon 1845. Doch die Kosten schienen zu hoch und  man entschied sich für den Bau  einer Rampe.

Eisenbahnwagen wurden am Kai beladen und dann auf Schlitten gesetzt. Mithilfe eines Pferdegöpelwerks wurden die Waggons dann per Seilwinde nach oben gezogen. 1850 ist eine Dampfmaschine installiert worden. Damals befand sich der Altonaer Bahnhof noch im heutigen Altonaer Rathaus. Und  Altona besaß als erste größere Stadt die Möglichkeit eines direkten Güterumschlags zwischen Schiff und Bahn.

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MOPO-Reporter Thomas Hirschbiegel liebt „Lost Places“ und  war begeistert vom  Schellfischtunnel.

Foto:

Florian Quandt

1868 ergaben Probebohrungen im Geesthang, dass dieser sich hier aus Treibsand und Wasser zusammensetzte. Keine gute Mischung. Es bestand die Gefahr von Erdrutschen. Der Betrieb der Rampe war außerdem veraltet. So entschloss sich die Altonaer-Kieler Eisenbahngesellschaft  zum Bau des Tunnels. Die Stadt Altona trug die Kosten und 1876 fuhr der erste Zug durch das zunächst nur 400 Meter lange Bauwerk. Die Lokomotive schob die Waggons bergauf.

Lost Place Schellfischtunnel in Hamburg-Altona

Die Kommunikation zwischen Bahnhof Altona und  den Kaianlagen erfolgte über elektrische Glockenwerke, später über einen Morsetelegraphen. Bis zu 360 Waggons erreichten so jetzt täglich den Bahnhof. Auf der alten Rampe waren es  oft nur 50 bis 60 gewesen. Vor allem Frischfisch wurde so von den Fisch verarbeitenden Betrieben an den Kais via Tunnel zum Altonaer Bahnhof transportiert. 

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Der Tunneleingang oberhalb der Großen Elbstraße.

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Florian Quandt

Ende des 19. Jahrhunderts entstand dann der Name Schellfischtunnel.  Zu diesem Zeitpunkt war Altona der größte Fischereihafen im Deutschen Reich. 1890 wurde der Altonaer Bahnhof an seinen heutigen  Standort verlegt und der Tunnel musste um 520 Meter verlängert werden.

Lost Place Schellfischtunnel: Bahn-Personal bekam gesundheitliche Probleme 

Obwohl ein Entlüftungsstollen gebaut wurde, bekam das Bahnpersonal durch den Qualm der Dampflokomotiven erhebliche Gesundheitsprobleme. Die Lösung waren feuerlose Lokomotiven. Diese arbeiteten mit Dampf aus einer externen Feuerungsanlage.

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Am Tunnelausgang Fischmarkt breitet sich langsam die Natur aus.

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Florian Quandt

1909 kam es zu einer Elektrifizierung der Linie. Wenige Jahre später  wurden schon fast die Hälfte aller deutschen Fischkonserven in Altona hergestellt. So liefen auch  knapp 80 Prozent des deutschen Heringsfangs über Altona. 1923 lebte schon jeder zehnte Altonaer von  der Fischindustrie. Ordentlich Verkehr also im Schellfischtunnel.  Doch zunehmend wurden  Lastwagen zum Transport eingesetzt. Die durch den Tunnel transportierten Warenmengen sanken. Das blieb so bis zum  Zweiten Weltkrieg. Die  Altonaer suchten ab 1940 dann immer öfter  im Tunnel  Schutz vor den Bomben.

Lost Place Schellfischtunnel: Altonas Fischindustrie

Nach 1945 ging es bergab mit der Altonaer Fischindustrie und auch dem Schellfischtunnel.  Auf modernen Fangschiffen wurde  der Fang noch an Bord eingefrostet und verpackt. Doch noch wurde die Hafenbahn weiter betrieben, ab 1956 mit Dieselloks. Bis 1976 sank die Menge der durch den Tunnel transportierten Waren auf unter 40 000 Tonnen jährlich.  Die Bahn wollte die Strecke schon aufgeben.

Schellfischtunnel Altona: 1992 geschlossen

Aber Hamburg hielt an der Strecke fest und übernahm den Tunnel 1978. Man wollte so den Ruin der verbliebenen Hafenbetriebe verhindern.  Mit der Schließung des letzten größeren Betriebs am Fischmarkt 1989 kam das Ende der Hafenbahn-Strecke. Nur noch zwei bis drei Züge fuhren durch den Tunnel. Letztlich gab es nur noch nostalgische Touren mit dem Schienenbus und 1992 wurde der Tunnel dichtgemacht.

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Es folgten Planungen, einen wasserstoffbetriebenen  Shuttlebus  durch den Tunnel zur Elbe fahren zu lassen.  Außerdem gründete sich ein Verein zur  Rettung der Hafenbahn. Doch alle Ideen scheiterten am Geld. Bleibt nur der Tag des offenen Denkmals. Doch die Touren sind meist schnell ausgebucht. Der Schellfischtunnel scheint einen eigentümlichen Reiz auf die Hamburger auszuüben. Kann man verstehen. So viele Städte mit einem innerörtlichen langen Eisenbahntunnel gibt es in Europa nicht.

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Aus Sicherheitsgründen sind solche Nischen in die Tunnelwand eingelassen.

Foto:

Florian Quandt

Aber schade ist es schon, dass der Tunnel nicht ständig genutzt werden kann. Als Fahrradtunnel zum Beispiel. Unweit von Fulda in der hessischen Rhön ist der knapp 1200 Meter lange und 1890 erbaute  Milseburg-Tunnel zu Deutschlands längstem Fahrradtunnel umgebaut worden. Tausende radeln jährlich begeistert durch den 131 Jahre alten ehemaligen Eisenbahntunnel.   

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