• St. Paulis Ryo Miyaichi und Tim Leibold vom HSV kämpfen heute um mehr als nur drei Punkte.
  • Foto: WITTERS

Unter Druck: In diesem Derby geht es um mehr als die Stadtmeisterschaft

Über allem steht die Besteigung des Throns – oder doch nicht? Natürlich geht es im Derby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli am Sonnabend auch um den Hamburger Titel, keine Frage. Aber allein die Tatsache, dass beide Trainer dem jeweils anderen Team die größere Drucksituation bescheinigen, zeigt, dass hinter dem Duell viel mehr steht als eine reine Stadtmeisterschaft: Die einen wollen hoch, die anderen den kompletten Absturz vermeiden. Und dann ist da noch der emotionale Fan-Faktor.

HSV: Was ein verlorenes Derby nach sich zieht, hat Dieter Hecking im vergangenen September selbst erlebt. „Das brauche ich kein zweites Mal“, sagte der HSV-Coach in Bezug auf das 0:2 am Millerntor. Er geht freilich davon aus, dass das nicht passieren wird.

Derby in Hamburg: Das sagt HSV-Trainer Hecking zum Spiel

Vielmehr erklärte er optimistisch: „Bei einem positiven Ausgang wäre es genau der richtige Zeitpunkt, um im Kampf um die Spitze noch mehr Schwung aufzunehmen.“ Tatsächlich würde sich der HSV mit dem vierten Sieg im fünften Spiel 2020 weiter dort festbeißen, wo er auch im Mai stehen will: in den Aufstiegsrängen: „Wir können mit einem Derbysieg unsere Ansprüche untermauern“, sagte Hecking.

Andererseits hat man aber auch mehr zu verlieren als nur ein Spiel. Mal abgesehen davon, dass der HSV im Fall einer Niederlage auf Relegationsplatz drei zurückzufallen droht: Der Anhang würde den Profis eine zweite Schmach gegen den Ortsrivalen nicht verzeihen. Mit einem Schlag könnte die Stimmung radikal kippen, zumal vergangene Woche offenbar wurde, dass für einen Teil der Fans selbst ein Last-Minute-Remis bei Hannover 96 wider der Erwartungshaltung ist.

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Plötzlich wäre die in dieser Saison so beliebte „Mentalitätsfrage“ – man erkundige sich in Dortmund – auch im Volkspark aktuell, das Szenario von einer möglichen dritten Saison im Unterhaus würde aus der Schublade geholt werden. Kein schöner Gedanke für die Protagonisten.

Ein Unentschieden hätte zwar kaum merkbaren Einfluss aufs Tableau, die Stimmungslage wäre aber vermutlich ähnlich negativ wie bei einer Niederlage. Dafür ist das Selbstverständnis, die klare Nummer eins der Stadt zu sein, zu ausgeprägt. Im Fan-Lager, aber auch in der Führungsetage um Bernd Hoffmann.

FC St. Pauli: Jos Luhukay versprüht reichlich Vorfreude auf das Spiel, weiß aber auch: „Natürlich ist die Partie hinsichtlich der Saisonziele von großer Bedeutung.“ Keine Widerrede. Denn die Kiezkicker blieben im bisherigen Serienverlauf weit hinter den eigenen Erwartungen zurück, sind in 2020 noch sieglos und haben vor allem auswärts seit einem Jahr nicht mehr gewonnen. In der Summe bedeutet das: Rang 14 und die Gefahr, schon an diesem Spieltag in die Abstiegszone abzurutschen!

FC St. Pauli-Trainer Luhukay: Spiel hat große Bedeutung

Es rumort zwar ob der spärlichen sportlichen Ausbeute, aber noch verhindern Nebengeräusche einen möglichen Ausbruch: gute, wenngleich einigermaßen fruchtlose Auftritte gegen Stuttgart (1:1) und Dresden (0:0), die Fan-Ausschreitungen beim Dynamo-Duell, auch das gewonnene Derby-Hinspiel.

Geht das Match heute aber in die Binsen, ist vermutlich final Schluss mit der Schonzeit – und zwar für alle: für die zunehmend kritisch hinterfragten sportlich Verantwortlichen, Trainer Luhukay und Sportchef Andreas Bornemann, aber auch für Präsident Oke Göttlich. Dessen Mantra-artig wiederholte Thesen, dass man auf dem absolut richtigen Weg sei, attraktiven Fußball böte und mit der Zeit auch der Erfolg käme, werden vielerorts bereits jetzt mit großen Zweifeln wahrgenommen.

FC St. Pauli: Sieg gegen den HSV würde sie ins Mittelfeld bringen

Sie würden aber vermutlich aller Kritik Stand halten, gelänge heute ein Triumph im „Feindesland“. Ein Sieg beim HSV, der zweite in Serie, das Gesicht mehr als nur gewahrt, den Anhang dauerhaft mit breiter Brust ausgestattet – damit kann man mal hausieren gehen. Zudem würde St. Pauli mit einem Dreier im Volkspark tabellarisch zum Mittelfeld aufschließen und hätte mit dem kommenden Heimspiel gegen den VfL Osnabrück gar die Chance, die Drittliga-Phobien weitestgehend zu vertreiben.

Auch mit einem Punkt könnte St. Pauli hervorragend leben, jedenfalls von der innerstädtischen Reputation her. Tabellarisch und von der allgemeinen Stimmungslage her würde ein Remis bedeuten: aufgeschoben, aber nicht aufgehoben.

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