Derby-Geheimnisse des HSV: So brachte Walter St. Pauli zu Fall
Was nun am Ende wirklich wichtiger ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Die drei Zähler für den Aufstiegskampf oder doch das unvergleichliche Gefühl eines Sieges im Stadtderby? Für viele Fans des HSV wohl eher letzteres. Monatelang mussten sie mitansehen, wie der Rivale vom Millerntor die Liga dominierte. Nun befindet sich der HSV wieder auf Augenhöhe. Ein Werk, an dem Tim Walter fast ein halbes Jahr lang bastelte.
Was nun am Ende wirklich wichtiger ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Die drei Zähler für den Aufstiegskampf oder doch das unvergleichliche Gefühl eines Sieges im Stadtderby? Für viele Fans des HSV wohl eher letzteres. Monatelang mussten sie mitansehen, wie der Rivale vom Millerntor die Liga dominierte. Nun befindet sich der HSV wieder auf Augenhöhe. Ein Werk, an dem Tim Walter fast ein halbes Jahr lang bastelte.
Das Gefühl des Erfolges genoss er rund 600 Kilometer entfernt, am anderen Ende der Republik. Am Samstag jettete Walter zu seiner Familie nach München und holte sich die Glückwünsche seiner Frau Katrin und der drei Kinder ab. Am Montag kommt er zurück in die Stadt, in der er als erster HSV-Trainer seit fast drei Jahren mal wieder ein Stadtduell gewann. Und mit dem Hunger nach mehr.
Der Mut des HSV wird belohnt
Klar, der HSV rangiert noch immer hinter St. Pauli. Daran konnte das 2:1 vom Freitag nichts ändern. Doch der Vorsprung des Anfang Dezember noch auf neun Zähler enteilten Kiezklubs ist auf drei Punkte zusammengeschmolzen. Kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis harter Arbeit, die Walters Handschrift trägt. Die MOPO erklärt die Erfolgsfaktoren.
Mut: Die von Walter gewählte Marschroute mit seinem Keeper als erstem Aufbauspieler wird in der Liga diskutiert und als möglicher Schwachpunkt des HSV bezeichnet. Doch die Fehler, die sich die Gegner durch frühes Pressen erhoffen, halten sich weiter in Grenzen. Seit Saisonbeginn predigt Walter gebetsmühlenartig, dass seine Profis auch unter Druck nicht den Kopf verlieren, sondern an ihrer Spielidee festhalten sollen. Die Botschaft ist angekommen. Gegen St. Pauli leitete Keeper Daniel Heuer Fernandes sogar das 2:1 mit ein, weil er den Ball 40 Meter weit vor dem Tor abfing und einen schnellen Gegenangriff begünstigte.
Walters Gespräche im Trainingslager kamen gut an
Kommunikation: Walters wohl größte Stärke liegt in seiner Ansprache. Während jeder Trainingseinheit ist er lautstark bei der Sache, vor dem Abmarsch in die Kabine versammelt er seine Profis im Kreis und bespricht, was ihm gefallen hat und was nicht. Aus den Katakomben wird berichtet, Walter lasse sich sehr oft im Kraftraum blicken, um Einzelgespräche zu führen. In Abwesenheit des verletzten Tim Leibold (Kreuzbandriss) sind vor allem Kapitän Sebastian Schonlau, Sonny Kittel und Heuer Fernandes seine wichtigsten Ansprechpartner.
Was den Profis gut gefiel: Im Winter-Trainingslager in Andalusien setzte Walter einen Gesprächskreis mit jedem einzelnen Spieler an, um zu erfahren, wie es um die Zufriedenheit bestellt ist und woran es den Akteuren in der Arbeit mangelt.
Leidenschaft: Walter tobt und schimpft am Spielfeldrand wie kein anderer Trainer der Liga, sah in dieser Saison bereits drei Gelbe Karten (zwei in der Liga, dazu im Pokal in Köln). Auch wenn er dabei hin und wieder über das Ziel hinaus schießt, dient sein Auftreten einem klaren Zweck: Er will seinen Profis auch von außen totale Hingabe demonstrieren. Die gleiche Gier fordert er von ihnen ein.
Der HSV holt sich das Spielglück zurück
Mentalität: Seit der Hinspielpleite am Millerntor verlor der HSV von 17 Ligaspielen nur eines (Anfang Dezember in Hannover). Insgesamt stehen ganze zwei Saisonpleiten zu Buche, kein anderer deutscher Profiklub verlor seltener (sogar die Bayern schon dreimal). Der HSV hat das Verlieren (fast) verlernt. Allerdings: Bereits zehn Remis sind im Aufstiegskampf weiterhin zu viel, allein Drittligist Zwickau (elf) hat noch mehr auf dem Konto.
Zielvorgabe: So sehr Walter auch gelockt wird – er rückt nicht von seiner Sprachregelung ab. „Entwicklung“, lautet sein Zauberwort. Er spricht nicht über den Aufstieg, sagt stattdessen Woche für Woche: „Wir gehen den Weg der Entwicklung. Das braucht Zeit, aber wir sind auf einem sehr guten Weg. Die Jungs machen ständig Fortschritte. Alles andere interessiert mich nicht.“ Worte, die den Druck in Sachen Aufstiegskampf mindern. Das kommt in der Mannschaft gut an und wird als leistungsfördernd empfunden.
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Spielglück: Auch das gehört zu einem Derbysieg dazu. Den HSV-Profis stockte der Atem, als Faride Alidou am Freitag beim Stand von 0:1 Sebastian Ohlsson im Strafraum berührte und der Kiezkicker zu Fall ging. Bange Sekunden folgten, doch nach einer Video-Überprüfung gab es keinen Strafstoß und die Gefahr des möglichen 0:2-Rückstandes. Eine Szene, die an das 2:3 im Hinspiel erinnerte, als HSV-Stürmer Bakery Jatta in ähnlicher Situation keinen Strafstoß erhielt. Vorm Rückspiel sagte Walter: „Im Hinspiel fehlte uns ein wenig das Glück, das holen wir uns nun zurück.“
Viele Zutaten des Trainers für einen neuen, erfolgreichen HSV-Brei. Und als Ertrag ein Erlebnis, nach dem sich die Fans lange gesehnt haben.