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St. Pauli-Legende Thomforde schwärmt von U21-Europameistern

Wenn Sie beschließen, sich einen Rehpinscher zuzulegen, wird ebenjener nicht zwingend zu einem gefürchteten Wachhund, nur weil Sie ihn „Killer“, „Satan“ oder „Terror“ taufen. Ähnlich verhält es sich mit PR-Aktionen, die Qualitäten suggerieren, deren Existenz erst noch unter Beweis gestellt gehört, und die komplett nach hinten losgehen, wenn das dann nicht gelingt. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Und wie man das auf perfekte Weise darbietet, hat die deutsche U21-Fußball-Nationalmannschaft bei ihrem Titelgewinn bei der Europameisterschaft demonstriert.

Anno 2015 kamen der Deutsche Fußball-Bund und Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff auf die Idee, die A-Auswahl künftig als „Die Mannschaft“ zu verkaufen. „Die Mannschaft“, ein im Grunde einfacher Begriff. Und doch ein großes Wort, das weiß jeder Mensch, der mal im Teamsport unterwegs war. Es steht für eine verschworene Einheit, einer für alle, alle für einen, niemals aufgeben, füreinander kämpfen, bis die Krämpfe kommen. Dumm nur, wenn – wie im Fall von Jogi Löws Mannen – gefühlt nichts davon in die Tat umgesetzt wird und der Erfolg ausbleibt. Dann ist es ein kurzer Weg bis zu Hohn und Spott.

St. Paulis Ex-Kultkeeper Klaus Thomforde mitten in der Party

Man muss sich nicht „Die Mannschaft“ nennen, um zu zeigen, dass man eine ist. Die Erkenntnis war auch für Klaus Thomforde nicht neu, doch das einstige „Tier im Tor“ des FC St. Pauli ist als Torwarttrainer im Trainerstab von U21-Coach Stefan Kuntz diesbezüglich um eine Erfahrung reicher. Die Geringschätzung der deutschen Mannschaft „war im Vorfeld überall zu lesen, zu sehen und zu hören“, sagte der 58-Jährige, den die MOPO nach durchfeierter Nacht am Montagvormittag in Ljubljana erreichte, dem Ort des 1:0-Final-Triumphs gegen Portugal.

St. Pauli-Legende Thomforde über die Extra-Motivation der Jungs

Als Maßstab galten die heute leider Gottes so omnipräsenten Marktwerte, und da wirkte die DFB-Auswahl im Vergleich zu den Jungstars aus Frankreich oder den Niederlanden wie ein Discounter im Duell mit Delikatessenläden. „Das ist an den Jungs nicht spurlos vorbeigegangen“, sagte Thomforde, „das hat sie aus meiner Sicht noch mehr motiviert. Als Underdog stehen dir Tür und Tor offen, wenn du alles gibst.“

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Sie gaben alles. Und noch mehr. Sie ließen literweise Schweiß, alle Kraft und ihr Herz auf dem Platz. Sie schafften es, die von Super-League-Plänen entsetzten und von kranken Ablösesummen genervten Fußball-Fans vorm TV so mitzureißen, als stünden sie in der Kurve im Stadion.

Klaus Thomforde schwärmt: „Ein eingeschworener Haufen“

„Der Spirit hat sich in der Mannschaft, aber auch im Funktionsteam toll entwickelt“, freute sich Thomforde, „das war ein eingeschworener Haufen. Man hat auf dem Platz gespürt, wie alle füreinander gelaufen sind und Fehler des Kollegen ausbügeln wollten, wie sich die Spieler nach Erfolgen im Defensivverhalten abgeklatscht haben.“ Das sei außergewöhnlich, „es wirkt auch auf den Gegner“.

U21-Helden hatten nicht einmal eine Prämie ausgehandelt

Und auf alle, die mitfieberten. Da passt es doch wie Gesäß auf Eimer, dass die Nachwuchshelden für den am Ende verletzt fehlenden HSV-Verteidiger Josha Vagnoman nicht einmal eine Prämie ausgehandelt haben sollen, was wohl erst auf Initiative des Verbandes geschehen ist. Auf der Beliebtheitsskala sind die frischgebackenen Europameister, die sich auch im Feiern durchaus titelwürdig zeigten (Thomforde: „Bei mir war es 3.15 Uhr, damit war ich noch einer der Früheren“), durch die Decke geschossen.

Erfolgstrainer Stefan Kuntz: „Du musst Vertrauen geben“

Fehlt noch die Eloge auf den Trainer. Abseits der längst erwiesenen fachlichen und empathischen Kompetenz ist vor allem ein Satz von Stefan Kuntz kleben geblieben: „Du musst den Jungs Vertrauen geben.“ Ein Vorgehen, komplett aus der Mode gekommen. In der Politik, wo bündelweise entmündigende Direktiven die Pandemie-Zeiten bestimmen, und auch im Fußball, wo Sprinttempo, Passquote oder die Anzahl intensiver Läufe zu priorisierten Parametern geworden sind. Kuntz’ Kunst beschreibt Thomforde mit vier Worten: „Er nimmt alle mit.“

Hoffentlich auch die A-Nationalspieler in Bezug auf ihre bevorstehende EM. Sie sollten registriert haben, was alles möglich ist, wenn man nicht nur „Die Mannschaft“ heißt, sondern wirklich eine ist.

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