Was den Senator im Theater zum Weinen bringt
Rund 50 Theater hat die Stadt. Kultursenator Carsten Brosda ist für sie alle zuständig. Darüber hinaus ist er auch noch Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Was ihn auf der Bühne zutiefst berührt hat, wie er reagiert, wenn ein Stück mal nervt: Der MOPO hat er‘s verraten.
Rund 50 Theater hat die Stadt. Kultursenator Carsten Brosda (SPD) ist für sie alle zuständig. Darüber hinaus ist er auch noch Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Was ihn auf der Bühne zutiefst berührt hat, wie er reagiert, wenn ein Stück mal nervt: Der MOPO hat er’s verraten.
MOPO: Meine einzige Rolle im Theater war die eines Zyklopen in der „Odyssee” in der 5. Klasse. Wie war es bei Ihnen?
Carsten Brosda: Bei den Pfadfindern. Ich glaube Robin Hood. Ich wollte nicht spielen, deswegen hatte ich mir die Souffleur-Position gesichert. Und als dann ein Darsteller ausfiel, musste ich ran. Ich hab verdrängt, welche Rolle das war.
Der Sheriff von Nottingham?
So schlimm war‘s nicht. Bruder Tuck wäre nicht unplausibel … Meine einzige Schauspiel-Erfahrung. Andere waren talentierter. Und ich zu faul zum auswendig lernen.
Waren Sie denn Theater-Fan, bevor Sie beruflich dazu wurden?
Los ging‘s bei mir über Besuche mit der Schule. Irgendwann habe ich angefangen, mir mein Studium durch freie Mitarbeit bei einer Zeitung zu finanzieren. Und was macht man als freier Mitarbeiter? Abendtermine, auf die Redakteure keine Lust haben. Oft im Theater. (lacht)
Haben Sie auch rezensiert?
Ja, manchmal schon. Dabei zugucken, wie da jeden Abend Leute auf dem Drahtseil stehen – das mochte ich. Denn das kann ja furchtbar schief gehen. Und das tut‘s gelegentlich auch. Aber meistens ist es ungeheuer beglückend, der Kunst beim Entstehen zuzuschauen. Das hat man in der Unmittelbarkeit in keinem anderen Genre.
Ein Stück, das Sie so richtig emotional gepackt hat?
Eine Inszenierung des „Theatermachers“ von Thomas Bernhard in Oberhausen war unvergesslich. Traugott Buhre war als Schauspieler eine Naturgewalt. Als Kind ist man im Theater ja beeindruckt, weil man das da auf der Bühne für bare Münze nimmt. Hier war ich erstmals als Erwachsener zutiefst berührt. Eine Kraft, wie aktuell bei Lina Beckmann als Richard am Schauspielhaus.
Sie waren zu Tränen gerührt?
Ich kann im Kino wie im Theater relativ bedingungslos weinen. Da braucht es wenig.
Wann das letzte Mal?
Puh. Bei „Brilka“ im Thalia hatte ich Tränen in den Augen. Die Frage ist aber auch eher: wann nicht? (lacht)
Wann hat Theater mal konkret genervt oder gelangweilt?
Auch das gehört dazu. Da sitzt man mal da und denkt: „Diese Idee geht offensichtlich nicht auf. Warum zieht ihr das trotzdem durch?“ Ich bleibe aber aus Respekt vor den Künstlern. Und wenn die schlechte Idee vier Stunden dauert, dann bleibe ich vier Stunden. Ein Aspekt von Kunst ist für mich auch, dass sie scheitern kann. Wer das nicht so anlegt, der versucht nicht, was Großes zu machen.
Konkrete Hamburger Beispiele?
„Lulu“ an der Oper, Inszenierung von Marthaler, Nagano am Pult. Keine einfache Musik, nicht kurz, da haben die an das Stück hinten dran noch das Violinenkonzert von Berg gepackt. Wenn man das in der Ankündigung liest, denkt man: Muss das sein? Und dann bist du da drin und denkst: Großartig! Ich saß da unfassbar beglückt. So kann es gehen. Dann greift alles ineinander.
Theater sind in der Krise. Viele einstige Besucher setzen offenbar nach Jahren der Pandemie auf Netflix und Co. als Ersatzdroge. Was entgeht denen?
Ganz viel. Aber ich bin gar nicht so sicher, ob’s den Theatern so schlecht geht.
Nicht?
Natürlich kämpfen alle darum, ihr Publikum zurückzuholen. Wir haben mit all den Regeln der Pandemie einen Hindernis-Parcours aufbauen müssen, anstatt Türen aufzureißen und zu sagen: Hast du Lust? Komm rein! Das geht jetzt aber wieder. Klar, hinzu kommt die Klebekraft der Couch: Man muss einmal den Schweinehund überwinden, um wieder zu entdecken, was man verpasst hat. Und ja, dann wird noch alles teurer … Sicher, das ist eine schwierige Melange. Andererseits brauchen wir gerade jetzt Orientierung. Was macht uns aus? Wie geht‘s weiter? Da kann Theater Antworten geben.
Netflix auch …
Stimmt. Aber Theater kann das in Gemeinschaft. Und es hat eine Unmittelbarkeit, die frappierend sein kann. Ich erinnere mich an den ersten Theaterabend nach dem Lockdown im Schmidts. Was für ein Fest. Oder kurz danach ein Hölderlin-Abend mit Jens Harzer. Das war berührend, weil man merkte, wie sehr sich alle vor Ort daran erfreuten, einander wieder zu haben. Das war wie ein langes Telefonat zwischen Teenagern, bei denen sich beide ihrer Liebe versichern und keiner auflegen will. Wir sind Herdentiere. Und im Theater gemeinsam zu sein, das ist etwas anderes, als im kalten blauen Licht allein vor der Kiste. Es tut uns gut zurzeit. Und es hilft auch, mal in so einen Saal einzutauchen und für zwei Stunden die Welt da draußen zu vergessen.
Eskapismus?
Klar. Nicht immer nur erklären und deuten. Kommt her und lasst euch unterhalten! Lasst euch fallen. Träumt mal zwei, drei Stunden mit uns. Eines der Theater heißt „Ohnsorg“. Was für ein Versprechen!
Die Hälfte aller Menschen geht nie in öffentlich geförderte Kultureinrichtungen …
Wenn die sagen: Kino, Games, ich lade mich anders kulturell auf – fein. Niemand muss, auch wenn’s schade ist. Denjenigen aber, die sagen: „Mich wollen die da nicht. Ich bin damit nicht gemeint. Ich habe nicht das Richtige anzuziehen“, denen sage ich: Kommt vorbei. Wenn ihr erstmal drin seid, merkt ihr, mit Jeans und T-Shirt kann man sich da hinsetzen und keiner guckt schräg. Und man braucht auch keine vier Semester Germanistik, um zu verstehen, was da auf der Bühne passiert. Mach dir deinen eigenen Reim. Wenn‘s nicht funkt, okay, dann hat man‘s ausprobiert und findet sicher was anderes.
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Einsteiger-Tipps für Theater-Banausen wie mich?
Das Thalia Theater hat‘s wieder aufs Tablett gehoben: „Das achte Leben (Für Brilka)“. Auch so ein Ding: fünfeinhalb Stunden …
Fünfeinhalb Stunden? DAS ist Ihr Einsteiger-Tipp?
Ja! Ich hab‘s inzwischen dreimal gesehen, und ich erinnere mich genau ans erste Mal. Ich wollte nicht. Samstagabend, fünfeinhalb Stunden: Nee. Und dann dachte ich: „Du bist Kultursenator, du gehst!“ Das war mit das süffigste Stück, das ich je gesehen hab. Als ich rauskam, traf ich eine Freundin und wir sahen uns an und sagten: „Nochmal!“ Es ist wirklich toll. Wer’s kürzer will, geht ins Opernloft. Keine Oper über 90 Minuten. Super!
Noch eine Empfehlung?
Ich mag sehr den „Macbeth“ im Schauspielhaus. Es zeigt die ganze Kraft eines Schauspielers. Kristof Van Boven – super! Nicht so, wie man das aus der Schule kennt, aber toll. Ansonsten: Kammerspiele, Ernst-Deutsch-Theater, Lichthof, Fundus – probiert‘s aus, es ist für jeden was dabei. Man kann mit 1600 Zuschauern ‘ne Nabucco-Inszenierung an der Staatsoper gucken, mit hoher aktueller Dringlichkeit. Da singen zwischen den Akten Geflüchtete syrische Lieder, was durch die Geschehnisse im Iran neue Aktualität hat. Und man kann mit 20 Leuten auf 30 Quadratmetern im Theater „Das Zimmer“ in Horn sitzen, und dabei sein, wenn sich drei Leute auf der Bühne die Seele auswringen. Theater ist so vielfältig, so bunt, ich kann mir nicht vorstellen, dass da jemand sagt: Da finde ich nichts für mich.