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  • Selfie von Matthias Böing vor einem Berg Plastiksäcke.
  • Foto: In The Same Boat

Plastik statt Porsche: Wieso dieser Manager seinen Job geschmissen hat

Köln –

P-L-A-S-T-I-K. Diese sieben Buchstaben sind aus dem Alltag kaum wegzudenken. Zwischen den Jahren 1950 und 2015 wurden – laut Plastik-Atlas 2019 – weltweit 8,3 Milliarden Tonnen Plastik produziert.

Pro Mensch, der auf der Erde lebt also mehr als eine Tonne. Den allergrößten Anteil machen Verpackungen und Einwegprodukte aus. Matthias Böing aus Dorsten im Ruhrgebiet hat mit Plastikmüll derzeit täglich zu tun.

Der 29-Jährige hat seinen letzten Manager-Job bei Porsche geschmissen, befreit stattdessen für die Nichtregierungsorganisation (NGO) „In The Same Boat“ norwegische Strände von angeschwemmten Müll. Ein Gespräch über Plastik, Recylcling-Optionen und Verantwortung.

Matthias, wieso hast Du Deinen gut bezahlten Job aufgegeben, um Müll zu sammeln?
Matthias Böing: Ich habe lange Zeit als oberste Priorität gehabt, Karriere zu machen. Das hat auch wunderbar geklappt. Irgendwann musste ich jedoch gegen meine Werte und mein Verständnis von Arbeit ankämpfen. Ich habe mich immer häufiger mit der Sinnfrage beschäftigt, so dass in mir die Überlegung reifte, neue Erfahrungen machen zu wollen, um mich weiterzuentwickeln.

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Zum Beispiel?
Matthias Böing: Ich bin in den paar Monaten mit Menschen in Kontakt gekommen, die ich zuvor nie in meiner Blase gesehen oder gesprochen hätte. Ich habe gelernt, andere Blickwinkel zu verstehen und sie einnehmen zu können.

Es gab sicher nicht wenige, die Dir ungläubig den Vogel gezeigt haben…
Böing: Die meisten Freunde oder auch Arbeitskollegen haben positiv reagiert. Zudem habe ich das Gefühl, dass viele Menschen unglücklich in ihrem Job sind. Die Arbeitswelt steht allein schon wegen der Digitalisierung vor großen Veränderungen. Die Unzufriedenheit wird wachsen. Da nützt auch ein Dienstwagen nichts.

Wie war Dein erster Tag vor Ort in Norwegen?
Matthias Böing: Sehr aufregend. Ich hatte mich über ein paar Dinge via Instagram informiert, aber wusste trotzdem nicht, was mich im Detail erwartet. Damals ging es direkt nach meiner Ankunft im nördlichen Polarkreis mit einem kleinen Segelboot los zu einer kleinen Insel… Das war erschreckend.

Wieso?
Böing: Wir sind in zwei Zweier-Teams von Bord und haben keine zwei Sekunden benötigt, um Plastik zu finden. Die unfassbar schöne Natur steht im starken Kontrast zu ihrer Verschmutzung. Dieser Eindruck bleibt.

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Wie groß ist das Plastik-Problem? Muss man Plastik verteufeln?
Böing: Nein, um Gottes Willen. Plastik hat viele, viele Vorteile gegenüber anderen Verpackungsmaterialen. Das Problem ist, wie wir Menschen damit umgehen. 

Plastikmüll im Norwegen In The Same Boat

Plastikmüll auf einer Insel in Norwegen.

Foto:

In The Same Boat

Woher kommt das meiste Plastik, das ihr findet?
Böing: Fast 70 Prozent kommt aus der Fisch-Industrie und ist trotz der öffentlichen Diskussion eben nicht der Plastikstrohhalm oder die Kapsel aus der Kaffeemaschine. In Norwegen spielt die Fischerei eine große Rolle, stellt vor allem im Norden sehr viele und nachhaltige Arbeitsplätze. Was ich paradox finde: Die Fischer fischen in Gewässern, die sie selbst verunreinigen.

Lösungsansätze für das Plastik-Problem

Welche Möglichkeiten siehst Du, um das Plastik-Problem zu lösen?
Böing: Wir benötigen Pfandsysteme, die so gut gebaut sind, dass sie für Firmen und Kunden einen Anreiz schaffen, Plastik zurückzubringen und nicht – wie in Norwegen – über Bord zu werfen. Mit den Plastik-Getränkeflaschen klappt das, aber z.B. mit Ketchup-Flaschen wiederum nicht.

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Teils traumhafte Ausblicke haben die NGO-Mitarbeiter in Norwegen.

Foto:

In The Same Boat

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Weil eine Ketchup-Flasche im Vergleich zu einer Wasserflasche schwieriger zu reinigen ist…
Böing: Genau. Deshalb muss es ein allumfassendes Recycling-System sein, bei dem es egal ist, um welche Art von Plastik es sich handelt. Dann wird über Kilogramm abgerechnet. Das ist technisch nicht ganz so einfach, wäre aber eine Möglichkeit, die Leute zu belohnen, die Ketchup-Flasche eben nicht am Strand liegen zu lassen.

Ist Verzicht nicht auch eine Lösung?
Böing: Grundsätzlich ja. Es gibt alternative Stoffe, die derzeit im Vergleich zu Plastik aber teurer sind. Da kommt dann der Kapitalismus ins Spiel, weswegen ich nicht davon ausgehe, dass die Menschheit von heute auf Morgen auf Plastik verzichten wird… Aber wie gesagt: Statt eines Verbots spielt die Möglichkeit des Recyclings eine deutlich größere Rolle.

In The Same Boat Plastikmüll

Mit diesem Boot fahren die freiwilligen Helfer aufs Meer und zu den Inselstränden, um Plastik zu sammeln.

Foto:

In The Same Boat

Wieso?
Böing: Weil ein persönlicher Verzicht auf Plastik, zwar löblich, der Effekt aber sehr, sehr überschaubar ist. Ziel muss es sein, die Industrie über politische Maßnahmen dazu zu zwingen, sich um den Müll zu kümmern, den sie produziert.

Die Industrie wird nicht begeistert sein…
Böing: Ist sie auch nicht. Wir haben mal 200 Ketchup-Flaschen, die wir auf den Inseln gefunden haben, nach Oslo zum Hersteller gebracht und hochgerechnet, dass bei 150.000 Inseln wahrscheinlich auch 150.000 Flaschen am Strand angeschwemmt sind. Für „Orkla Foods“ war klar, dass der Consumer schuld ist. Der Consumer wiederum möchte natürlich viel lieber eine Glasflasche, die er aber nicht gekauft hat.

Dann wird eben die Glas- statt der Plastikflasche über Bord geworfen…
Böing: Da sind wir wieder beim Recycling- bzw. Pfandsystem. Denn am Ende darf nichts über Bord geworfen werden. Das geht nur über eine geteilte Verantwortung. Es muss Schluss sein mit dem Anschuldigungsspiel.

Was kostet es, eine Plastikflasche aus dem Meer zu fischen?
Böing: Das lässt sich so einfach nicht sagen, sind wahrscheinlich Cent-Beträge. Wichtig ist, dass diese Kosten zwischen Plastikproduzenten, den Supermärkten, die die Ketchup-Flasche anbieten, dem Hersteller und dem Verbraucher aufgeteilt werden. Ziel muss aber sein, dass die Flasche nicht mehr im Meer landet.

„Klimawandel hört nicht an der Grenze zu Frankreich auf“

Was kann Deutschland aus dem Norwegen-Beispiel lernen?
Böing: Die Vermüllung der Meere ist durch die unterschiedlichen Strömungen ein internationales Problem. Insofern müssen die Gegenmaßnahmen grenzübergreifend sein. Es ist wie beim Klimawandel, der Klimawandel hört ja leider auch nicht an der Grenze zu Frankreich auf…

Lebst Du selbst plastikfrei?
Böing: Nein. Komplett ohne Plastik geht es kaum. Die Bürde ist sehr hoch, darauf zu verzichten. Daher geht es nur über Gesetze. Nur sehr intrinsisch motivierte Menschen machen das. Das ist so ähnlich wie beim Vergleich zwischen Bahn und Flugzeug.

Inwiefern?
Böing: Ich wollte ursprünglich mit der Bahn von Stuttgart aus nach Norwegen fahren. Keine Chance. Es wäre deutlich teurer gewesen, hätte mit vier Umstiegen und ohne Nachtzug zwischen 25 und 27 Stunden gedauert, und das auch nur, wenn alle Züge pünktlich gewesen wären. Also bin ich geflogen. Es ist wichtig, dass die Politik durch Gesetze dafür sorgt, dass Menschen den Wandel mitgehen müssen.

Klimawandel stoppen: „Handeln wir im Krieg“

Tragen die Menschen als Privatpersonen keine Verantwortung?
Böing: Doch. Aber wie schon gesagt, der Effekt ist zu gering. Wir benötigten eine Massenbewegung, damit es klappt. Der ehemalige US-Außenminister John Kerry hat die Initiative „World War Zero“ gegründet und will US-Bürger „wie im Krieg“ für den Kampf gegen den Klimawandel mobilisieren. So krass es klingt, aber an der Metapher ist etwas dran. Wir müssen handeln als wären wir im Krieg: Schnell, zielstrebig, genau – und in den Maßnahmen radikal.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) würde auf solche Vorschläge entgegnen, dass Rücksicht auf den Wohlstand und die Arbeitsplätze genommen werden muss…
Böing: Das muss er in seiner Funktion vielleicht sagen. Ich wiederum sage: Was nützt uns eine gesunde Ökonomie, wenn die Ökologie im Eimer ist? Man darf sich zudem nicht täuschen: Der Klimawandel wird auch auf die Wirtschaft eine Auswirkung haben wird. Es könnte sich ein neues Handelssystem nach sich ziehen. Immer mehr und immer günstiger wird in der bekannten Form nicht mehr funktionieren.

Was hältst Du eigentlich von Elektro-Autos?
Böing: Ich bin mir sicher: Keiner der etablierten Auto-Hersteller wollte ursprünglich die Elektro-Mobilität. Das hat mit den geringeren Margen im Vergleich zu Benzinern und Dieseln zu tun. Erst als der öffentliche Druck zu groß wurde, der Markt sich bewegt hatte, haben sie eingelenkt. Elektro-Autos sind jetzt nur das kleinere Übel.

eAuto keine Lösung – Mobilität komplett neu denken

Die Mobilität müsste komplett neu gedacht werden. Für Auto-Hersteller ist das aber zu gefährlich, da es ein sehr großes Invest nach sich ziehen würde und derzeit zu viel Geld mit Autos verdient wird. Auf mich wirkt es so, als würde die Automobilbranche jetzt ein paar Jahre versuchen, etwas zu bauen, was so aussieht, als würde es die Welt retten, es aber gar nicht tut. Hauptsache, die Branche kann weiter gute Margen generieren.

Matthias Böing: „Ein Auto ist ein unsinniges Ding“

Klingt sehr nach einem Automobil-Hasser…
Böing: Das will ich gar nicht sein. Für mich ist das Auto in vielen Situationen, wie zum Beispiel Großstädten in der heutigen Zeit jedoch ein unsinniges Ding. Es ist unfassbar teuer, es steht fast den gesamten Tag nur herum, wenn man es nutzt, findet man keinen Parkplatz… 

Naja, zur Wahrheit gehört aber auch, dass es keine echten Alternativen zum Auto gibt.
Böing: In der Tat, der ÖPNV ist in Deutschland nicht wirklich gut. Es fehlt Komfort, es fehlt die nötige Frequenz, es dauert viel zu lange, von A nach B zu kommen. So sieht keine Alternative zum Auto aus, um die Menschen zum Umdenken zu bewegen.

Abschließend: Wie lange bist Du noch in Norwegen unterwegs?
Böing: Das wird mit Sicherheit noch ein paar Monate dauern, auch wenn wir im Dezember aufgrund der Dunkelheit und der Kälte kaum noch raus zu den Inseln fahren konnten. Meine Mission sehe ich hier – derzeit bin ich auf der Insel Vega – noch nicht als erfüllt an.

Lebst Du jetzt ein besseres Leben?
Böing: Womöglich ja. Es ist eine neue Erfahrung, Zeit mit Menschen zu verbringen, die ohne monetäre Gegenleistung für einen gemeinsamen Sinn arbeiten. Das habe ich in der freien Wirtschaft in dieser Form nicht erlebt. In einer traumhaften Umgebung, etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu tun, erfüllt mich und gibt mir Kraft.

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