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twitter/gorillas workers collective
  • Polizisten während des Protests vor einem Berliner Lebesmittellager von Gorillas.
  • Foto: twitter/gorillas workers collective

Wilder Streik! Aufstand beim Liefer-Giganten Gorillas

Mit einem Lieferdienst für Lebensmittel ist dem Gründer des Berliner Start-Ups Gorillas mitten in der Pandemie der ganz große Coup gelungen. Auch in Hamburg will der Dienst abräumen. Doch hinter den Kulissen rumort es gewaltig, bei den Mitarbeiter:innen des Jungunternehmens haben sich mächtig Wut und Ärger aufgestaut. Der Rausschmiss eines Mitarbeiters hat jetzt zu einer Protestwelle und einem Streik geführt. Allerdings: Schlechte Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten sind (leider) nichts Neues.

„We want Santi back“ (dt. wir wollen Santi zurück) ertönte es diese Woche in wütenden Sprechchören vor mehreren Gorillas-Lebensmittellagern in Berlin. Aufgebrachte Lieferdienst-Fahrer:innen, die sogenannten „Riders“, und andere Mitarbeiter:innen hatten sich versammelt und protestierten gegen den überraschenden Rausschmiss des Fahrers Santiago – und legten für einige Zeit ihre Arbeit nieder. Sie forderten nicht nur Santiagos Wiedereinstellung, sondern bessere Arbeitsbedingungen für alle.

Gorillas-Lieferdienst: Fahrer wird überraschend entlassen – Proteste in Berlin

„Mir wurde vom Management kein Grund genannt“, erklärte der gefeuerte Santiago gegenüber der „taz“. Zunächst hatte das Gorillas Workers Collective, eine Organisation, die sich um faire Arbeitsbedingungen für die Belegschaft bemüht, auf Twitter mitgeteilt, Santiago sei entlassen worden, weil er wenige Minuten zu spät zu einer Schicht kam. Ein Gorillas-Sprecher sagte der „taz“ hingegen, es habe „Fälle groben Fehlverhaltens“ gegeben. Deshalb habe man sich entschlossen, das Arbeitsverhältnis „innerhalb der Probezeit zu be­enden“.

Lebensmittel-Lieferdienst Gorillas: Viele Fahrer:innen sind Migrant:innen

Yonathan Miller, Sprecher des Gorillas Workers Collective, kritisiert: Santiagos Kündigung sei ohne Verwarnung erfolgt. Dies sei zwar legal, aber das Berliner Start-Up nutze die gesetzlichen Regelungen zur Probezeit massiv aus. Sechs Monate sind die Mit­ar­bei­te­r:in­nen vor fristlosen Kündigungen nicht sicher. Da kaum jemand den Job länger als ein halbes Jahr macht, betrifft das einen Großteil der Beschäftigten. Die, die die Probezeit überstehen, erhalten dann meist nur auf ein Jahr befristete Verträge, erklärt Miller weiter in der „taz“. Aber: „Die Belegschaft besteht zu großen Teilen aus Migrant:innen, die auf einen festen Arbeitsvertrag für ihr Visum angewiesen sind.“ Gorillas wisse das.

Die Kündigung von Santiago war der Tropfen, der das Fass im Gorillas-Team zum Überlaufen brachte, denn bei den Hunderten Beschäftigten hatte sich schon eine ganze Menge aufgestaut: Neben miesen Arbeitsbedingungen und Datenlecks sorgten auch Behinderungen bei der Gründung eines Betriebsrates zuletzt für Negativschlagzeilen und Unmut.

Gorillas: Stundenlohn liegt zurzeit bei knapp elf Euro

Am Rande des Protests ging es auch immer wieder um die miserable Bezahlung der Mitarbeiter:innen. Der Stundenlohn liegt derzeit bei 10,50 Euro. Aus Sicht des Teams zu wenig für einen Job, der viel abverlangt, denn die Fahrer:innen sind mit großen, schweren und unhandlichen Rucksäcken mit Lebensmitteln und anderen Produkten des täglichen Bedarfs auf schnellen E-Bikes im gefährlichen Großstadtverkehr unterwegs. Sogenannte „Packer“ hatten ihnen vorher die Rucksäcke in Lebensmittellagern vollgepackt mit Kundenbestellungen.

Im Nacken drückt den Fahrer:innen nicht nur der Rucksack, sondern vor allem die Zeit: Das Unternehmen verspricht eine Lieferung innerhalb von zehn Minuten nach Bestellung – für 1,80 Euro Lieferkosten. Der hippe Slogan dazu lautet „faster than you“ (dt. schneller als du). Die Gorillas-Geschäftsführung bemühe sich derzeit um Deeskalation – und versuche sich aktiv an einem „sachlichen Dialog“ mit den Mitarbeiter:innen auf den Barrikaden. Wie das konkret aussieht, ist derzeit noch unklar. Genau wie die Frage, ob das reicht, die eigene Mannschaft wieder auf Linie zu bringen.

Gorillas-Streik war rechtswidrig

Der Protest trifft das Unternehmen auf dem Höhepunkt des Hypes. Denn auch das, womit Gorillas bei den Kund:innen punkten will, gilt auch für die eigene Unternehmensgeschichte: Hauptsache schnell. Der Deutsch-Türke Kagan Sümer gründete Gorillas erst im Frühjahr 2020 – zu Beginn der Pandemie. Und traf damit einen Nerv. Klar, denn Quarantäne und Selbst-Isolation machten selbst den Weg zum Supermarkt monatelang zum Problem.

„In etwas mehr als zehn Monaten ist Gorillas in über zwölf Städte expandiert, darunter Amsterdam, London und München, und hat mehr als 40 Mikro-Fulfillment-Center aufgebaut. Derzeit ist die App in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien verfügbar“, fasst deutsche-startups.de den kometenhaften Aufstieg des Unternehmens zusammen. Zuletzt wurde Gorillas mit über 1 Milliarde Dollar bewertet, der Lieferdienst-Newcomer sammelte in einer In­ves­to­ren­run­de 245 Millionen Euro ein, um weiter expandieren zu können.

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Ob der aktuelle Protest den Höhenflug von Gorillas frühzeitig stoppt, wohlmöglich Investoren vergrault oder bleibende Image-Schäden mit sich bringt, wird sich zeigen. Und auch, ob die Mitarbeiter:innen noch mit einem juristischem Nachspiel rechnen müssen, denn in Deutschland dürfen nur Gewerkschaften zu Streiks aufrufen, der Streik war also rechtswidrig.

Miserable Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten sind leider nichts Neues. Die MOPO berichtete bereits mehrmals über den Liefer-Riesen Lieferando. Dort sind nicht nur eine Monopolstellung problematisch, sondern sieht es eben auch für Fahrer:innen nicht gerade rosig aus: Kaputte Fahrräder, schlechte Bezahlung und Dauerstress stehen auch hier auf der Tagesordnung für die Menschen auf dem Rad. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) schlug hier bereits Alarm.

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