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Krawalle, Quarantäne, Tönnies: Corona: Experten erklären den sozialen Unfrieden

Krawalle in Stuttgart, Menschen hinter Gitterzäunen in Göttingen, Einreiseverbote für Leute aus Gütersloh – die Schlagzeilen aus Deutschland sind gerade keine positiven. Die Fälle haben eins gemeinsam: jede Menge Frust. Über das Virus und was es mit einem macht.

Was ist gerade los in unserem Land? Erst die Pandemie, dann der Lockdown und jetzt auch noch Randale: Für den Kriminologen Christian Pfeiffer spiegelt sich in all dem eine wachsende soziale Spaltung der Gesellschaft.

Ein Bildungsbürger, der gern lese, könne Phasen der Isolierung und Einsamkeit leichter überbrücken als jemand, der seine Freizeit am liebsten in der Disco oder im Sportverein verbringe. Viele junge Männer hätten in den letzten Monaten zudem auf den dringend benötigten Ausgleich verzichten müssen. „Mit vollem Einsatz dem anderen den Ball weggrätschen – so etwas ist schon lange nicht mehr möglich. Wir haben gerade denjenigen den Zugang zum Sport verbaut, die am stärksten davon abhängig sind. Da staut sich ungeheuer viel Frust auf.“ Ähnliches gelte für Discos: „Ein ganz wichtiger Ort des Austobens, des Kennenlernens, der Interaktion, der Rollenübung und Gruppenbildung“, so Pfeiffer.

Wirtschaftlicher Abschwung trägt seinen Teil dazu bei

Den Schwächeren mache auch der wirtschaftliche Abschwung mehr zu schaffen. „Ein Familienvater verliert plötzlich seinen Job als Lkw-Fahrer, das Geld wird knapp, die Wohnung ist eng, und die Kneipe ist auch noch geschlossen.“

Der von einigen Politikern und Medien verbreitete Rassismus-Vorwurf gegen die Polizei hat die Atmosphäre laut Pfeiffer zusätzlich vergiftet. „Das hat die Polizei in ein völlig falsches Licht gesetzt und den Corona-Verlierern eine Gruppe genannt, auf die man wütend sein darf.“

Auch Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, warnt vor sozialen Konflikten. Man müsse sich nur einmal vor Augen führen, wo die Infektionen verstärkt aufträten: „Das sind nicht die Villenvororte in Düsseldorf oder in Berlin, sondern das ist dort, wo Menschen in beengten Verhältnissen unter nicht besonders günstigen Umständen leben müssen.“ Und dann würden sie obendrein auch noch als Schuldige abgestempelt.

Menschen in Göttingen protestieren gegen die gegen ihre Hochhäuser verhängte Quarantäne.

Menschen in Göttingen protestieren gegen die gegen ihre Hochhäuser verhängte Quarantäne.

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Corona: „Das birgt Sprengstoff“

„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht damit anfangen, Sündenböcke zu suchen“, mahnt Landsberg. „Stellen Sie sich vor, Sie sind jemand, der bei Tönnies arbeitet. Da werden Sie auf der Straße schief angeguckt. Oder Sie sind jemand aus dem falschen Häuserblock, dem falschen Kreis oder (…) dem falschen Bundesland.“ Mehrere Länder und Regionen haben bereits angekündigt, keine Gäste aus Gütersloh zu beherbergen. „Das birgt natürlich Riesensprengstoff“, kritisiert Landsberg.

Corona und kein Ende – auch das verstärkt den Frust. Die Gesellschaft in einem solchen Zustand zusammenzuhalten, möglicherweise bis ins kommende Jahr, sei alles andere als einfach, zumal abzusehen sei, dass die wirtschaftlichen Probleme eher noch zunehmen würden. Landsberg appelliert: „Es sind da nicht nur die Politiker in der Pflicht. Wir alle sind gefordert.“

(MIK/DPA)

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