Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zieht die Augenbrauen hoch
  • Wie bitte? Die Begrüßung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Neustrelitz fiel nicht nur freundlich aus.
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„Willkommen in Dunkeldeutschland“: Steinmeier verlegt Amtssitz nach Nordosten

Eine Umfrage kurz vor dem 32. Jahrestag der Einheit offenbarte ein weiter schwindendes Vertrauen in die Demokratie. Vor allem im Osten Deutschlands wachsen die Zweifel und das Gefühl währt fort, ungerecht behandelt zu werden. Das erfuhr auch Bundespräsident Steinmeier.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war noch keine halbe Stunde in Neustrelitz, da wurde ihm klargemacht, wo er ist. „Willkommen in Dunkeldeutschland“, rief ihm eine Frau am Marktplatz entgegen. Steinmeier, der Neustrelitz seit Dienstag als vierte Station seiner Gesprächsreihe „Ortszeit Deutschland“ besucht, ging auf die Frau zu. Doch sein Versuch, mit ihr ins Gespräch zu kommen, scheiterte im Ansatz. Die Frau, die ihren Namen nicht nennen wollte, machte deutlich, dass sie mit der Politik insgesamt und der Vertretung ostdeutscher Interessen nicht zufrieden ist.

Steinmeier bekommt Kritik ab – wegen Äußerung seines Vorgängers Gauck

Kaum angekommen, diskutierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bereits mit Einwohnern über „Dunkeldeutschland“. picture alliance / dpa/Jens Büttner
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit einer Passantin
Kaum angekommen, diskutierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bereits mit Einwohnern über „Dunkeldeutschland“.

„Sie und andere Leute ihresgleichen haben dafür gesorgt, vor Jahren schon, dass wir als Pack bezeichnet werden, als Dunkeldeutschland“, sagte sie. Das habe sie ihm und seinen Vorgängern sehr übel genommen. Den Begriff Dunkeldeutschland hatte unter anderem Steinmeiers Amtsvorgänger, Joachim Gauck, gebraucht, als Reaktion auf ausländerfeindliche Haltungen in Ostdeutschland. Eine Antwort auf Steinmeiers Frage, was rechtfertige, ihn dort einzureihen, blieb die Frau schuldig.

„Das ist für mich nichts ganz Neues. Wir haben solche Debatten in der Corona-Pandemie viele Male miteinander gehabt. Die Frage ist, ob man sich als Bundespräsident solchen Debatten stellt“, sagte Steinmeier. Sein Anspruch sei es, den Dialog zu suchen. „Meine Rolle ist immer wieder die, die Menschen darauf zu konzentrieren, sich mit Gründen und Fakten auseinanderzusetzen und nicht einfach ihre Haltungen zu wiederholen, die sie aus welchen Quellen auch immer geschöpft haben“, sagte Steinmeier. Manches dürfe nicht unwidersprochen bleiben.

Neustrelitz für drei Tage Amtssitz des Bundespräsidenten

Die ehemalige Residenzstadt in Ostmecklenburg ist noch bis Donnerstag auswärtiger Amtssitz des Staatsoberhaupts. Er wolle die Zeit außerhalb der Bundeshauptstadt Berlin vor allem auch dazu nutzen, um mit den Menschen über aktuelle Herausforderungen, ihre Wünsche und Sorgen ins Gespräch zu kommen. Steinmeier war mit dem Regionalzug angereist. Schon auf dem Weg vom Bahnhof zum Rathaus wurde er mit der aktuellen Debatte um den Krieg in der Ukraine konfrontiert. Zwei Frauen forderten ihn auf, sich für eine diplomatische Lösung einzusetzen und sich gegen weitere Waffenlieferungen stark zu machen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem vorübergehenden Amtssitz im Hotel Alter Kornspeicher am Stadthafen in Neustrelitz. picture alliance / dpa/Jens Büttner
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sitzt an einem Tisch und signiert ein Dokument
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem vorübergehenden Amtssitz im Hotel Alter Kornspeicher am Stadthafen in Neustrelitz.

Steinmeier äußerte Verständnis für die aktuellen Sorgen der Menschen um die hohen Energiepreise, benannte als Ursachen dafür aber den „brutalen Angriffskrieg“ Russlands auf die Ukraine. „So unangenehm vieles ist, und so schwer es uns fällt damit umzugehen, dass wir uns wieder einschränken müssen: Wir dürfen diesen Konflikt nicht ignorieren. Wir dürfen nicht so tun, als habe der Krieg Russlands gegen die Ukraine nichts mit uns zu tun“, betonte Steinmeier.

Steinmeier: „Wir sind nicht Kriegspartei. Aber wir sind mit angegriffen“

„Wir sind nicht Kriegspartei. Aber wir sind natürlich mit angegriffen, weil, wenn wir zulassen, dass heute Grenzen in Europa wieder willkürlich und unter Gewalt korrigiert werden können, dann wird eine Büchse der Pandora geöffnet. Dann wird möglicherweise der Ehrgeiz Russlands auch noch weitergehen“, sagte der Bundespräsident. Er sehe seine Aufgabe auch darin, Menschen davon zu überzeugen, nicht ignorant zu sein. „Auch wenn wir nicht Kriegspartei sind, sollten wir Solidarität mit der Ukraine zeigen.“

Steinmeier hatte sich zu Beginn seines Besuches ins Goldene Buch der Stadt eingetragen und mit Kommunalpolitikern gesprochen. Danach ließ er sich von Schülern die Innenstadt zeigen und sprach mit ihnen über Freizeitangebote und offene Wünsche. Auf dem Weg zum Glambecker See, einem Treffpunkt der Jugendlichen im Sommer, machte ihm die Schülerin Kira Augustiani deutlich, dass in der Stadt Räume zum Feiern für junge Leute fehlten. Später im Kunsthaus waren die unzureichende Anbindung umliegender kleinerer Orte an die Stadt durch den Nahverkehr und das Fehlen von Studiermöglichkeiten Themen einer Gesprächsrunde mit Steinmeier.

Im Kunsthaus traf sich Steinmeier mit Jugendlichen zu einer Gesprächsrunde. picture alliance / dpa/Jens Büttner
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schüttelt Hände von Mädchen
Im Kunsthaus traf sich Steinmeier mit Jugendlichen zu einer Gesprächsrunde.

Am Mittwoch wird sich der Bundespräsident in Neustrelitz mit Vertretern des dort ansässigen Fortbildungszentrums der Bundespolizei treffen. Am Nachmittag will er dann bei einer „Kaffeetafel kontrovers“ mit geladenen Gästen unter anderem über die Themen Protestkultur, Folgen der Energiekrise und bürgerschaftliches Engagement diskutieren. Erst am Montagabend hatten wieder knapp 400 Menschen in Neustrelitz gegen die Energiepolitik der Regierung protestiert. Die Initiatorinnen der Demonstrationen sind zu dem Gespräch mit eingeladen.

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Am Donnerstag wird der Bundespräsident auf dem Marktplatz der Stadt den slowenischen Staatspräsidenten Borut Pahor mit militärischen Ehren empfangen. Ein solches Treffen mit einem hochrangigen ausländischen Staatsmann gebe es im Rahmen der Reihe „Ortszeit Deutschland“ erstmals, betonte Steinmeier. Vor Neustrelitz hatte er schon Altenburg in Thüringen, Quedlinburg in Sachsen-Anhalt und Rottweil in Baden-Württemberg mehrtägige Besuche abgestattet. (dpa/mp)

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