In diesem Gefängnis wurde ein junger Vater zu Unrecht hingerichtet
Die Fenster sind klein und vergittert, durch die Löcher im trostlos braunen Putz ist das Mauerwerk zu sehen und auch das Dach hat seine besten Zeiten hinter sich. Rund um das Hafthaus des ehemaligen Altstrelitzer Gefängnisses wuchert dichtes Gras. Hinter den mehr als 200 Jahre alten Mauern spielten sich zur Zeit der beiden Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts schreckliche Dinge ab. Und hier geschah auch einer der größten Justizirrtümer der neueren deutschen Geschichte.
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Die Fenster sind klein und vergittert, durch die Löcher im trostlos braunen Putz ist das Mauerwerk zu sehen und auch das Dach hat seine besten Zeiten hinter sich. Rund um das Hafthaus des ehemaligen Altstrelitzer Gefängnisses wuchert dichtes Gras. Hinter den mehr als 200 Jahre alten Mauern spielten sich zur Zeit der beiden Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts schreckliche Dinge ab. Und hier geschah auch einer der größten Justizirrtümer der neueren deutschen Geschichte.
Errichtet wird das Altstrelitzer Gefängnis am Ortsausgang des heutigen Neustrelitz (Mecklenburgische Seenplatte) im Jahr 1805. Anfangs als „Landarbeits-, Zucht- und Irrenhaus“ genutzt, werden hier seit der Errichtung der Landesirrenanstalt Domjüch keine psychisch kranken Straftäter mehr untergebracht. Neben dem Hafthaus gibt es noch ein Verwaltungsgebäude, das heute ebenfalls langsam verfällt.
Vorwurf Kindesmord: Vater mit dem Beil hingerichtet
Vom hohen Gras fast verdeckt, erinnert hier ein Gedenkstein an die Geschichte des polnischen Landarbeiters Josef Jakubowski – und damit an einen der größten Justizirrtümer der deutschen Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Jakubowski, Soldat im Ersten Weltkrieg, bleibt nach Kriegsgefangenschaft in Deutschland, verliebt sich in eine Einheimische namens Ina Nogens – bereits Mutter eines Sohnes – und zeugt mit ihr eine Tochter.
Nach dem überraschenden Tod von Ina Nogens nimmt deren Mutter die Kinder Ewald und Anna auf. Im Jahr 1924 wird der dreijährige Ewald nahe des Dorfes erdrosselt aufgefunden. Die Familie Nogens beschuldigt den Ziehvater, der kurz darauf festgenommen und in einem beispiellos ungerechten Prozess zum Tode verurteilt wird: Als Zeuge sagt ein geistig schwer behinderter Jugendlicher aus, der Jakubowski am Tatort gesehen haben will. Der Zeuge muss wegen seiner Einschränkungen zwar keinen Eid vor Gericht abgeben, seiner Aussage dient dennoch als Grundlage für das Todesurteil. Die Aussage einer zweiten Zeugin wird so verdreht, dass auch sie den Tatvorwurf zu bestätigen scheint.
Im Jahr 1926 wird der erst 30 Jahre alte Jakubowski, der aufgrund seiner spärlichen Sprachkenntnisse kaum etwas von dem Prozess versteht, mit dem Handbeil hingerichtet. Erst zwei Jahre später gestehen die Großmutter und ihre beiden Söhne den Mord an dem kleinen Ewald. Der „Fall Jakubowski“ verunsichert die Justiz so stark, dass in der Zeit der Weimarer Republik nur noch wenige Todesurteile vollstreckt werden.
Nazis und Sowjets: Gefängnis wird zur Folterkammer
In der Zeit des Nationalsozialismus wird das Altstrelitzer Zuchthaus zur Folterkammer für Opfer der NS-Willkür. Nach den Novemberprogromen 1938 werden 200 Juden aus der Umgebung in „Schutzhaft“ genommen und einige Monate später unter der Auflage entlassen, unverzüglich ins Ausland auszuwandern. Später bringen die Nazis hier „männliche asoziale Lungenkranke“ unter.
In der Sowjetischen Besatzungszone verbessern sich die Bedingungen im Altstrelitzer Gefängnis kaum. Über 1000 Häftlinge – darunter Frauen und Jugendliche – leben hier unter so schlechten Bedingungen, dass viele von ihnen an mangelnder Hygiene oder körperlicher Misshandlung sterben.
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Ab der Gründung der DDR ist das Gefängnis wieder in deutscher Hand. 2001 wird es nach einem Massenausbruch mit elf Flüchtlingen geschlossen. Die Anstalt kann die Sicherheitsstandards der BRD nicht erfüllen. Heute stehen Hafthaus und Verwaltungsgebäude unter Denkmalschutz. Ein Käufer konnte bisher nicht gefunden werden. Und so erinnern zwei langsam verfallende Gebäude und ein beschrifteter Stein inmitten von hohem Gras an die Gräueltaten, die in diesen Mauern einst verübt wurden.