Ausbeutung bei „Viva von Agua“-Lieferant? Das hat Böhmermann lieber verschwiegen
Schlechte Löhne und kein Betriebsrat: Jan Böhmermann nahm im „ZDF Magazin Royal“ vor Kurzem das Unternehmen „Husumer Mineralbrunnen“ ins Visier, das das Mineralwasser für „Viva con Agua“ in Hamburg abfüllt. Während der TV-Star sich längst anderen Themen zugewandt hat, kämpft die kleine Firma aus Nordfriesland um ihren guten Ruf. Die MOPO fragte den Geschäftsführer sowie die Gewerkschaft, was an den Vorwürfen dran ist und sprach auch mit „Viva con Agua“-Gründer Benny Adrion über die Böhmermann-Attacken. Und siehe da: Vieles stellt sich anders dar als in der Böhmermann-Sendung behauptet.
„Wir haben uns schon sehr gewundert, dass wir auf der Agenda von Jan Böhmermann gelandet sind“, sagt Thomas Drerup, Geschäftsführer des Husumer Mineralbrunnens, zur MOPO.
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Schlechte Löhne und kein Betriebsrat: Jan Böhmermann nahm im „ZDF Magazin Royal“ vor Kurzem das Unternehmen „Husumer Mineralbrunnen“ ins Visier, das das Mineralwasser für „Viva con Agua“ in Hamburg abfüllt. Während der TV-Star sich längst anderen Themen zugewandt hat, kämpft die kleine Firma aus Nordfriesland um ihren guten Ruf. Die MOPO fragte den Geschäftsführer sowie die Gewerkschaft, was an den Vorwürfen dran ist und sprach auch mit „Viva con Agua“-Gründer Benny Adrion über die Böhmermann-Attacken. Und siehe da: Vieles stellt sich anders dar als in der Böhmermann-Sendung behauptet.
„Wir haben uns schon sehr gewundert, dass wir auf der Agenda von Jan Böhmermann gelandet sind“, sagt Thomas Drerup, Geschäftsführer des Husumer Mineralbrunnens, zur MOPO.
Der Vorwurf in der Sendung: Ausgerechnet „Viva con Agua“, die weltweite Projekte fördern und sich immer als die Guten hinstellen, lassen ihr Wasser in einem Betrieb abfüllen, der seine Mitarbeiter angeblich nicht nach Tarif bezahlt und keinen Betriebsrat hat.
Als Kronzeuge fungiert nach der Sendung Philipp Thom, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten NGG in Schleswig-Holstein Nord, der erklärt, dass der Husumer Mineralbrunnen sich an dem niedersächsischen Tarifvertrag für die Branche orientiert, der „einer der schwächsten bundesweit“ sei. Der Vertrag für Schleswig-Holstein würde den Mitarbeitern teilweise mehrere hundert Euro mehr pro Monat bringen.
Böhmermanns Vorwürfe gegen Viva con Agua
„Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen“, sagt Drerup: „Der Tarifvertrag Schleswig-Holstein hat den Charakter eines Haustarifvertrages mit Refresco.“ Die Refresco Group mit Sitz in Rotterdam sieht sich als weltweit größter unabhängiger Getränkeabfüller und hat 2021 Hansa-Heemann (Hella, Fürst Bismarck, St. Michaelis) mit Standorten in Schleswig-Holstein übernommen.
„Die können 40.000 PET-Flaschen pro Stunde abfüllen, wir maximal 15.000, wenn es gut läuft. Natürlich ist der Personaleinsatz dort viel effektiver, sie verdienen mit Süßgetränken deutlich mehr als wir mit Wasser und darum können sie mehr bezahlen“, sagt Drerup. Außerdem lägen die Refresco-Brunnen nahe der Metropole Hamburg und nicht in der eher strukturschwachen Region Nordfriesland.
„Viva con Agua“: Benny Adrion zur Böhmermann-Kritik
Auch Benny Adrion, Gründer von „Viva con Agua“, reagiert auf die Böhmermann-Angriffe: „Wir wollen ja gerade bei einem kleinen Mittelständler abfüllen lassen und nicht bei einem großen Konzern.“ Refresco hat 800 Mitarbeiter in Schleswig-Holstein, der Husumer Mineralbrunnen 120. Ein Drittel des Umsatzes macht der Abfüller mit „Viva con Agua“.
Warum schließt das Husumer Unternehmen nicht auch einen Haustarifvertrag mit der NGG ab? Weil es beim Mineralbrunnen nur 13 Gewerkschaftsmitglieder gibt und das nicht reicht, wie Gewerkschaftschef Thom auf MOPO-Nachfrage erklärt. Mindestens ein Drittel der Belegschaft müsste in die Gewerkschaft eintreten.
Adrion: „Natürlich hat die Gewerkschaft ein Eigeninteresse, das ist auch legitim. Aber die Entscheidung, ob gewerkschaftliche Organisation stattfindet, liegt nicht bei uns, sondern bei den Mitarbeitenden des Husumer Mineralbrunnens.“
Den Vorwurf des Gewerkschafters, der niedersächsische Tarifvertrag sei ein „schwacher“ Vertrag, lässt Geschäftsführer Drerup nicht gelten: „Das ist ein ganz normaler Vertrag für mittelständische Unternehmen. Und wir liegen in einigen Lohngruppen sogar drüber.“
Die Mitarbeiter blieben lange im Unternehmen: „Das würden sie ja nicht, wenn wir nicht anständig zahlen würden.“ Hier werde aus „reinem externen Interesse Stimmung von außen gemacht“, so der Chef, hörbar gestresst von der medialen Welle, die seit der Böhmermann-Sendung über dem Unternehmen zusammenschlägt.
Husumer Mineralbrunnen wehrt sich gegen Jan Böhmermann
Und die Sache mit dem fehlenden Betriebsrat? Drerup: „Selbstverständlich würde ich der Gründung eines Betriebsrates keine Steine in den Weg legen, aber in den viereinhalb Jahren, die ich im Unternehmen bin, war das nie ein Thema. Wir pflegen einen engen Draht im Team.“
Das kleine Husumer Abfüllunternehmen habe sich auf viele Forderungen von „Viva con Agua“ eingestellt, sagt Adrion: „Als wir denen 2010 unsere ersten Labels hinschickten und auf jede Flasche drucken wollten, dass man sie mit Leitungswasser nachfüllen soll, haben die uns für verrückt erklärt.“
Bis heute ist „Viva con Agua“ das einzige Mineralwasser, das auf seinen Flaschen für Leitungswasser wirbt – was Böhmermann in seiner Sendung allerdings nicht erwähnte. Stattdessen warf er der Hilfsorganisation vor, überhaupt Wasser in Flaschen zu verkaufen.
Genauso wie er unterstellte, dass die Wasseraktivisten sich mit ihrem zukünftigen Hotel „Villa Viva“ im Hamburger Münzviertel, das nach seiner Fertigstellung Wasserprojekte finanzieren soll, die Taschen voll machten. Der angebliche Beweis: eine von Jan Delay designte Suite für 299 die Nacht. Bettenpreise von 19,90 Euro die Nacht ließ Böhmermann auch lieber unerwähnt.
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Ob es Hinweise gebe, dass der soziale Zweck des Hotels nur vorgeschoben sei? Übernachtet Böhmermann auf seinen Reisen nicht auch in Hotels? Und wird in der Redaktion des „ZDF Magazin Royal“ und im Studio ausschließlich Leitungswasser serviert? Das hätte die MOPO gerne gewusst. Die Anfragen an Böhmermann und die Redaktion blieben aber unbeantwortet.
Transparenzhinweis: Die MOPO hat in Kooperation mit „Viva con agua“ eine gemeinsame Interviewreihe („Auf ein Wasser mit…“) veröffentlicht. Diese Kooperation ist im Frühjahr ausgelaufen.