Bohnen-Burger, verstörte Blicke: Zwei Fleischfans kämpfen sich durch den „Veganuary”
Die MOPO-Redakteure Julian König und Maik Koltermann legten bisher mit Vorliebe Steaks auf den Grill, bestellten Salami auf Pizza, futterten mit Wonne Wiener Schnitzel, Rouladen und Braten, doch seit Jahresbeginn leben sie vegan. Wie fühlt sich das an? Zwei Erfahrungsberichte.
Julian König: Ich bekam erst mal ein Buch von Attila Hildmann
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Die MOPO-Redakteure Julian König und Maik Koltermann legten bisher mit Vorliebe Steaks auf den Grill, bestellten Salami auf Pizza, futterten mit Wonne Wiener Schnitzel, Rouladen und Braten, doch seit Jahresbeginn leben sie vegan. Wie fühlt sich das an? Zwei Erfahrungsberichte.
Julian König: Ich bekam erst mal ein Buch von Attila Hildmann
Eigentlich hätte ich es ahnen müssen: Veganismus und ich – es wird eine schwierige Beziehung. Ich bin jetzt zwar nicht der Typ, der für geschmorte Rippchen alles stehen und liegen lässt, aber Milchprodukte gehören schon zur DNA meiner morgendlichen Grundversorgung und wenn man sich dafür entscheidet, einen Monat lang vegan zu leben, dann sollte das Projekt besser vorbereitet sein. Ich aber habe erst am Silvesterabend den Entschluss des Probemonats gefasst – und das auch noch in Bayern, also jenem Bundesland, in dem das Nationalgericht Schlachtplatte heißt und der Mettigel ein anerkanntes Haustier ist.
Mit guten Vorsätzen ist es so eine Sache. Ich habe eigentlich nie welche zu Jahresbeginn. Nach zwei Jahren Pandemie war ich Silvester jedoch der Überzeugung, dass es mal an der Zeit wäre, sich im Januar einer Herausforderung zu stellen. Während ich also den Sauerbraten (!) mit Knödeln und Rotkohl für den Abend zubereitete, scrollte ich durch Instagram, entdeckte eine „Veganuary“-Werbung der Hamburger Fastfood-Kette Vincent Vegan und war plötzlich nur noch wenige Stunden von einer Ernährungsumstellung entfernt.
Im Kühlschrank waren kaum vegane Speisen
Erstes Problem: Im Kühlschrank befanden sich an veganen Produkten Karotten, eine (regionale!) Mini-Gurke, diverse Helle und Eiswürfel. Zweites Problem: In dem fränkischen Städtchen, in dem ich mich befand, war das einzige Restaurant mit veganen Speisen McDonald’s. Drittes Problem: So richtig ernst hat mich vor Ort keiner genommen. Von der Verwandtschaft bekam ich direkt ein Kochbuch des wegen Volksverhetzung gesuchten Vegan-Kochs Attila Hildmann in die Hand gedrückt. Natürlich gut gemeint, aber auch versehen mit der Botschaft: So was kommt von so was.
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Die Tücken veganer Ernährung kennt der Durchschnittsesser vermutlich eher weniger. Das größte Problem: Gefühlt ist überall in irgendeiner Form Milch oder Ei drin. Und die veganen „Alternativen“ im Kühlregal sind mittlerweile so üppig ausgestattet, dass ich als Neuling der Szene zunächst einmal überfordert war.
Ein großer Teil der Produkte soll Fleisch ersetzen. Das kann man zwar machen, aber viel schlüssiger finde ich den Ansatz, dass der Verzicht nicht durch ein analoges Produkt ausgeglichen werden soll, sondern sich eine ausgewogene Ernährung über die natürlichen Zutaten ergibt. Selbst kochen ist da fast der einzige Weg. Oder wie ich dann – weil ich binnen weniger Tage viermal Spaghetti aglio e olio, also Nudeln mit Öl und Knobi, auf dem Tisch stehen hatte – entschieden habe: bekochen lassen. Am besten von Leuten, die etwas können wie die Köche im „Marta“, einem niedlichen Lokal in Ottensen. Der Preis für vier Gänge lag bei 55 Euro und einer roten Warnapp. Und ich weiß jetzt, wie lecker Blumenwurzeln schmecken können. Kein Scherz.
Hafermilch schmeckt besser als gedacht
Mittlerweile ist Halbzeit des Projekts. Ich kann weiterhin Mandelmilch als ernsthafte Alternative für Cappuccino ausschließen, immerhin habe ich eine ganz leckere Hafermilch gefunden. Die überlagert zwar die feinsten Geschmacksnoten eines Single Origin, schlägt die anderen Milch-Ersatzprodukte jedoch um Längen. Haben Sie mal einen Drink aus Lupinen probiert? Lassen Sie es!
Doch warum mache ich das eigentlich überhaupt? Es gibt für mich vor allem zwei Gründe, die für eine vegane Ernährung sprechen: Nachhaltigkeit und Tierwohl. Und das lässt sich wunderbar an Rindern und Milchkühen nachvollziehen. Letztere werden besamt, bekommen ein Kalb, werden von dem Jungtier sehr früh getrennt, geben täglich literweise Milch – und erleben eine Schleife der körperlichen Ausbeutung in der Regel bis zur Schlachtbank. Das männliche Pendant sorgt mittlerweile für mehr als ein Zehntel der weltweiten Treibhausgase. Sie werden meist mit Soja gefüttert, für dessen Anbau gigantische Flächen an Regenwald gerodet werden.
Ich weiß das – und werde im Februar den strengen Weg dennoch wieder aufweichen, zumindest Käse – alle Ersatzprodukte sind hier definitiv für die Tonne – wieder teil-integrieren, meinen Kaffee immer mal mit Milch zubereiten. Auf Fleisch kann ich gut verzichten. Obwohl so ein Sauerbraten schon eine feine Mahlzeit ist. Reicht vielleicht aber auch einmal im Jahr. An Silvester – und dann spätestens im Januar wieder komplett ohne.
Maik Koltermann: Der fassungslose Kumpel und die Frage „Warum?!“
„Für mich nur Nüsschen“, sag ich am Donnerstag zu einem meiner ältesten Freunde, „Ich mach gerade bei diesem veganen Januar-Ding mit.“ Sein verstörter Blick trifft mich dann schon: „Echt? Aber warum?!“ Tja, reden wir jetzt über das, was gut klingt, oder sag ich die Wahrheit?
Das, was gut klingt, kennen Sie vermutlich aus dem Effeff: Klimaschutz, Tierwohl, Gesundheit. Recht unbestritten ist Fleischkonsum einer der ganz wesentlichen Treiber der Erderhitzung. Urwald-Rodung für Futtermittel, Methangase. Das meiste Fleisch, die meisten Milchprodukte, die meisten Eier stammen aus intensiver Haltung. Und alles, was da passiert, ist, man kann es nicht anders sagen, nunmal eine unmenschliche Schweinerei. Und Wurst in jeder Form ist nach allem, was man weiß, für Männer ein ziemlich sicherer Weg zu demolierten Herzkranzgefäßen.
Das alles weiß ich aber schon länger – und so richtig gejuckt hat es mich trotzdem all die Jahre nicht. Gegen innerfamiliäre Appelle half stets die gute, alte Bockigkeit: „Wie soll ich denn satt werden ohne all das?“ (Ich esse ziemlich viel…). Oder: „Ich verzichte schon sonst auf genug. Hier ist jetzt auch mal Schluss!“ (Hab mir zuletzt Urlaubsflüge verkniffen). Oder: „Mir schmeckt das einfach so gut – und ich kaufe ja meist bio!“ (Hilft dem Klima auch nicht weiter…)
Fakt ist: Ich liebe deftige Braten, Gegrilltes, Burger. Ich bin bis in tiefste Schichten darauf programmiert, dass Fleisch, Butter und Käse mir gut tun, mich satt und warm halten. Und nur Fleisch, Butter und Käse. Für viele meiner Bekannten bin ich der Prototyp des Fleischessers. Meine Oma hat mir als Kind eingebläut: „Butter ist gut fürs Gehirn!“ Sahnesaucen waren mein Gleitmittel durch die Kindheit. Ich liebe Steaks mit Fettauge und finde Hühnerbrustfilet sinnlos.
Veganer Januar ist auch eine Challenge
Also: Warum denn nun?! Neudeutsch heißt das wohl: die Challenge. Ich will wissen, ob ich das schaffe, mal einen lächerlichen Monat ohne all das auszukommen. Ich will wissen, ob das irgendwas mit mir macht. Ob ich mich fitter fühle (bisher nicht). Ob ich unabsichtlich abnehme (knapp zwei Kilo bisher). Ob ich für mich Lebensmittel neu entdecke (Jau. Haferflocken mit Hafermilch. Nüsse. Und so allerhand zum Teil ziemlich okaye Fleischersatzprodukte). Ob ich meine Vorlieben so auch über den Monat hinaus ändern kann (keine Ahnung). Jetzt zur Halbzeit bin ich bei einer Sache ziemlich sicher: Jau, den Monat krieg ich hin.
Spannend ist ja aber vor allem die Frage, was dann bleibt. Mit den hier gerade noch gelobten Fleischersatzprodukten habe ich in zwei Wochen so viel hochprozessiertes Zeugs zu mir genommen, wie sonst in einem Jahr nicht. Ständig Zutatenlisten wie ein Bestellzettel aus dem Chemielabor – und das mir Bio-Heini. Aber: Ich bin neu verliebt in Olivenöl, diesem sämigen Lichtblick in butterfreien Welten. Und es gibt von Alnatura Burger-Patties mit Black Beans und Cashew und ausschließlich natürlichen Zutaten, die ich zuvor nicht mit der Kneifzange angefasst hätte, aber inzwischen ziemlich gut finde.
Die Dinge müssen sich ändern und sie sind schon dabei
Es ist wie bei der Mobilität, dem Reisen, dem Bauen: Die Dinge müssen sich ändern und sie sind schon dabei. Ob wir nun wollen oder nicht. Und das ist gut. In meinem Riesen-Supermarkt in Neugraben nimmt der Milchersatz inzwischen fast mehr Raum ein, als die Milch selbst. Hinter den Kulissen sind alle Lebensmittel-Giganten bereits unter Hochdruck dabei, ihr Sortiment anzupassen. Fast-Food-Ketten wie McDonald’s und Burger King machen inzwischen ernstzunehmende vegane Angebote. Sogar Muskelfleisch aus dem Labor ist kurz vor der Marktreife.
Es wird also immer leichter, Schritte in die richtige Richtung zu machen. Ich finde das spannend und hab inzwischen weniger Angst, dabei Wesentliches zu verlieren. Aber unter uns gesagt: Ich träume gelegentlich von einem Kotelett und zähle manchmal die Tage…