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Russischer Soldat in der Ukraine
  • Russische Soldaten erobern immer mehr Städte im Süden und Osten – zuletzt Sjewjerodonezk.
  • Foto: picture alliance/dpa/AP | Uncredited

Verliert die Ukraine gerade den Krieg?

Die Auftritte von Präsident Wolodymyr Selenskyj bestimmen die Wahrnehmung des Krieges. Stärke, Kampfgeist, Hoffnung prägen seine Agenda. Glaubt man ihm, fehlen der Ukraine nur Waffen, um Russland zu besiegen. Doch stimmt das – oder verliert die Ukraine gerade den Krieg?

Der ukrainische Präsident Selenskyj betont am liebsten die Erfolge: die Stärke seiner Landsleute, den Kampfgeist seiner Soldaten, die Erfolge auf dem Schlachtfeld.

Doch trotz der Berichte über kleinere Rückeroberungen durch das ukrainische Militär zeichnet sich derzeit ein eher düsteres Lagebild ab. Die Ukraine stehe „schlechter da, als wir glauben“, sagte der Professor für Militärgeschichte, Sönke Neitzel, in der Talk-Sendung von Markus Lanz am Donnerstag. Die Todeszahlen steigen, der Osten des Landes ist nahezu in russischer Hand, es herrscht Waffenmangel, und die Moral der Truppen sinke zusehends.

Ukraine: Soldaten berichten über Folgen des Waffenmangels

Ukrainische Soldaten berichten, wie sie mit nur sechs Magazinen an die Front geschickt werden und mit den paar Patronen russischer Artillerie gegenüberstehen. Schätzungen zufolge sterben jeden Tag 100 bis 200 von ihnen. Die vielgelobten Drohnenangriffe des Militärs seien hingegen nur für zwei Prozent der russischen Panzerverluste verantwortlich, sagt der Militärhistoriker.

Ein verletzter ukrainischer Soldat wartet in der Region Donezk auf medizinische Hilfe. picture alliance/dpa/AP | Bernat Armangue
Verletzter ukrainischer Soldat
Ein verletzter ukrainischer Soldat wartet in der Region Donezk auf medizinische Hilfe.

Vier Monate nach Kriegsbeginn hat die Ukraine am Freitag nun auch den Rückzug ihrer Truppen aus der umkämpften Stadt Sjewjerodonezk im Osten des Landes angeordnet. Die Stadt zählte zu den wenigen Teilen von Luhansk, die noch nicht in russischer oder prorussischer Hand lagen.

Mit dem Rückzug der Ukrainer aus Sjewjerodonezk kommt Putin seinem erklärten Ziel ein Stück näher: der vollständigen Eroberung von Donezk und Luhansk. Russland konzentriert sich derzeit auf die Kämpfe in der Ostukraine. Im Süden besetzen die russischen Truppen zurzeit den Großteil der Gebiete Cherson und Saporischschja.

Russland ist der Ukraine militärisch überlegen

Die Frage ist: Gibt es überhaupt eine Chance auf einen ukrainischen Sieg? Und wie könnte der aussehen? An eine Ukraine ohne Landverlust glaubt Neitzel nicht. „Ich halte es zum jetzigen Zeitpunkt für völlig unrealistisch, dass die Ukraine wesentliche Teile des Territoriums – 20 Prozent sind besetzt – zurückerobert“, sagt er.

Die schweren Kämpfe an der Front in Sjewjerodonezk in der Region Luhansk haben eine Spur der Zerstörung hinterlassen. picture alliance/dpa/AP | Oleksandr Ratushniak
Front in Sjewjerodonezk
Die schweren Kämpfe an der Front in Sjewjerodonezk in der Region Luhansk haben eine Spur der Zerstörung hinterlassen.

Russland ist der Ukraine militärisch überlegen. Das zeigen auch die Zahlen des Statista Research Departments. Demnach verfügt Russland über 850.000 aktive Soldaten, die Ukraine nur über 200.000. Bei der Luftwaffe ist der Unterschied ebenfalls groß: 4173 Luftstreitkräfte kann Russland in den Kampf schicken, die Ukraine nur 318.

Bislang hat sich das ukrainische Militär dennoch bemerkenswert stark gezeigt, doch: „Verteidigen ist eine Sache, angreifen etwas ganz anderes“, so Neitzel. Zurückeroberungen sind seiner Ansicht nach möglich, wenn die russische Armee zusammenbricht oder es eine Revolution in Russland gibt – wonach es derzeit nicht aussieht.

Krieg: USA sagt erneute Waffenlieferungen zu

Die einzige Chance der Ukraine seien die Waffenlieferungen des Westens – insbesondere der USA. Diese sagten der Ukraine am Freitag erneut Waffenlieferungen im Wert von 450 Millionen Dollar zu. Die EU habe den Krieg an die USA ausgelagert, so der Historiker: „Wenn sich die Ukraine auf Deutschland verlassen hätte, wäre sie längst russische Provinz.“

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Der Westen müsse die Ukraine durch Waffenlieferungen dringend in einen Zustand versetzen, dass sie den Krieg nicht verliert. Bedeutet: Der Staat überlebt und Putin erkennt, dass er sich an den Ukrainern „die Zähne ausbeißt“. Alles andere wäre ein „Todesstoß“. Er vermutet, dass Putin, sobald er Luhansk und Donbass eingenommen hat, zu einem Waffenstillstand bereit ist. Wie lange der halten würde, sei jedoch unklar.

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