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  • Bundesweit wird derzeit der neun Opfern des Terroranschlags in Hanau gedacht, hier eine Kundgebung in Berlin.
  • Foto: ddp/abaca press

Rechter Terror: Interview: Muss man als Hamburger mit dunklerer Haut Angst haben?

Die Bomberjacken-Faschos von früher gibt es nicht mehr in Hamburg. Ein Anschlag wie in Hanau vor genau einem Jahr aber lässt sich nicht sicher verhindern, sagt Hamburgs Verfassungsschutz-Chef Torsten Voß. Im Interview erklärt er, wie sich die rechtsextreme Szene im Norden ändert, wo die Probleme für die Sicherheitsbehörden liegen und welche Rolle der AfD-„Flügel“ und die „Querdenker“ spielen.

MOPO: Herr Voß, wie verändert sich die rechtsextreme Szene in Hamburg?
Torsten Voß: Kameradschaften wie den vor mehr als 20 Jahren verbotenen „Hamburger Sturm“ gibt es in dieser Form heute nicht mehr. Aktivitäten und Vernetzungen verlagern sich ins Internet, besonders in soziale Netzwerke. Und auch wenn wir, Stand jetzt, keine unmittelbaren Hinweise haben: Auch Rechtsterrorismus kann nach wie vor jederzeit entstehen.

Torsten Voß

Torsten Voß ist Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hamburg. 

Foto:

picture alliance / dpa

Die letzten rechtsextremen Demos waren armselige Versammlungen. Das täuscht also?
Die Aktivitäten etwa der NPD in Hamburg sind seit Jahren rückläufig. Ebenso verhielt es sich mit den „Merkel muss weg“-Demos, die von Rechtsextremisten organisiert waren.

Was ist mit den „Querdenkern“?
Bislang finden da nur selten Rechtsextremisten hin. Trotzdem bestehen nach unseren Erkenntnissen Verbindungen zwischen Führungsfiguren des hiesigen „Querdenken“-Ablegers und Rechtsextremisten aus dem Umfeld des Organisatorenkreises der „Michel, wach endlich auf“-Proteste und der AfD-Teilstruktur „Der Flügel“. An der Berliner Demonstration am 29. August 2020 beteiligten sich Hamburger Rechtsextremisten aus nahezu allen Strömungen. Neben Sympathisanten und Organisatoren der „Michel, wach endlich auf“-Versammlungen, „Flügel“-Anhängern und NPD-Funktionären konnten frühere Führungsfiguren nicht mehr aktiver Kameradschaftsstrukturen erkannt werden, die offensichtlich gemeinsam vor Ort waren.

In den 90er Jahren waren typische Neonazis und Faschos präsent auf Hamburgs Straßen, mit Bomberjacke, Springerstiefeln, Glatze. Die sind weg. Bedeutet das, dass ich als Mensch mit dunklerer Hautfarbe oder als Jude mit Kippa in Hamburg keine Angst haben muss vor Neonazis?
Der Grad der Gefährlichkeit der Szene bemisst sich nicht rein an den Zahlen, auch wenn es diese klassischen Neonazi-Kameradschaftsstrukturen in Hamburg nicht mehr gibt. Nur eine einzige rechtsextremistische Straftat gegen einen Mitbürger mit Migrationshintergrund strahlt auf Tausende weitere aus. Hamburg ist und bleibt eine sichere Stadt, aber jede einzelne politisch motivierte Gewalttat ist eine zu viel. Zudem stellen wir fest, dass sich frühere feste realweltliche Strukturen in lose Netzwerke in der digitalen Welt, zum Beispiel auf Gaming-Plattformen, verlagern. Dort werden extremistische und kranke Fantasien ausgelebt – und auch die Radikalisierung findet dort statt.

Wie bei den Tätern von Hanau und Halle?
Die Täter radikalisierten sich außerhalb bekannter rechtsextremistischer Gruppenstrukturen und suchten sich ihre ideologischen Grundlagen in virtuellen Communities zusammen. Solche Täter sind für die Sicherheitsbehörden eine große Herausforderung.

Das heißt: Die Gefahr, auf einen Schläger-Nazi zu treffen, ist in Hamburg verschwindend gering, aber gleichzeitig besteht die latente Gefahr, dass auch hier ein im Internet radikalisierter Mann durchdreht und Menschen tötet? Und Sie können das kaum verhindern?
Bei Tätern, die sich zum Beispiel an Breivik als Vorbild orientieren, haben es Sicherheitsbehörden schwer. Das ist auch Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Beispiel Hanau: Im Nachhinein hieß es dann aus der einen oder anderen Ecke, der Täter sei auffällig gewesen. Mein Appell: Wer etwas Auffälliges bemerkt, sollte sich lieber einmal zu viel als einmal zu wenig an die Sicherheitsbehörden wenden.

Wen soll ich denn anrufen, wenn ein Bekannter krudes Zeugs erzählt oder mit Waffen hantiert?
Die Polizei hat gerade ein Hinweistelefon eingerichtet (040 4 28 67 – 67 67, die Red.). Da kann auch ein Handwerker anrufen, wenn er bei einem Kunden eine Hitlerbüste auf dem Regal sieht. Uns Verfassungsschützer kann man auch kontaktieren (040 24 44 43, die Red.).

In einer Stadt wie Hamburg, in der 50 Prozent der Jugendlichen einen Migrationshintergrund haben – verschwindet da der Rechtsextremismus irgendwann, weil das „Wir gegen die“, der Ausländer als Sündenbock, nicht mehr funktioniert, wenn die Gesellschaft so durchmischt ist?
Ich denke, dass es Rechtsextremisten in Hamburg schwerer haben als in anderen Regionen – aber ich befürchte, dass wir es auch künftig mit rechtsextremistischen Bestrebungen zu tun haben. Denken Sie an die völkische „Identitäre Bewegung“. Oder an den „Flügel“, der auch in Hamburg aktiv ist.

Die Angehörigen der Opfer von Hanau haben der Gesellschaft vorgeworfen, sie nicht zu sehen. Und den Sicherheitsbehörden, solche Taten nicht zu verhindern. Wie stehen Sie dazu?
Wir haben hier in Hamburg aus meiner Sicht eine sehr ausgeprägte Sensibilität für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt. Wir nehmen unglaublich viel Geld in die Hand, um solche Taten auch präventiv sozialpolitisch zu verhindern. Die pauschale These, die Sicherheitsbehörden hätten eine konkrete Tat eines im Internet radikalisierten Täters nicht verhindert, die kann man schlecht widerlegen. Der Vorwurf, ihr wolltet es nicht verhindern, den weise ich entschieden zurück. Im Übrigen benötigen wir im 21. Jahrhundert auch die notwendigen rechtlichen und technischen Instrumente, wenn die Täter auf verschlüsselten Plattformen unterwegs sind. Die zunehmende Verschlüsselung des Netzes erschwert uns auch eine erfolgreiche Bekämpfung des Rechtsextremismus.

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