Polizisten tragen Klimaaktivisten weg
  • Klima-Aktivisten von der Straße tragen: Was Polizisten dürfen, dürfen Autofahrer nicht automatisch auch
  • Foto: picture alliance/dpa/Julian Stratenschulte

Dürfen Autofahrer festgeklebte Aktivisten von der Straße zerren?

Wenn mir jemand den Weg versperrt, dann muss ich mir das doch nicht bieten lassen, oder? Immerhin verhalte ich mich rechtskonform, während der Wegversperrer die geltenden Regeln missachtet. Und es heißt doch: Recht muss Unrecht nicht weichen. Was einleuchtend klingt, ist im Fall der Klimakleber ein schwieriges und nagelneues juristisches Feld, das sich in der weiten Ebene zwischen dem Recht auf Notwehr und strafbarer Selbstjustiz erstreckt.

Ralf Höcker, Kölner Anwalt für Medienrecht, legt sich ohne jeden Zwischenton fest: „Autofahrer müssen nicht auf die Polizei warten. Verletzungen, zum Beispiel an den Handflächen der Klimaaktivisten, sind hinzunehmen und ändern nichts am Notwehrrecht des Autofahrers“, twitterte Höcker im November 2022. Sein Tweet heimste mehr als 6000 „Gefällt mir“ ein, mutmaßlich von genervten Autofahrern.

Renommierte Juristen und Juristinnen teilen Höckers Rechtsauffassung. In der „Zeit“ kamen die Leipziger Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven, die Kölner Professorin Frauke Rostalki und der emeritierte Kölner Professor Thomas Weigend zu einem ähnlichen Ergebnis: Das Recht auf Notwehr gehe sehr weit, Autofahrer dürften Protestierer von der Fahrbahn tragen und festgeklebte Hände sogar von der Straße ablösen.

Frage unter Juristen umstritten

Die Frage, ob Autofahrer Aktivisten eigenmächtig aus dem Weg räumen dürfen, ist allerdings so neu, dass es unter Juristen auch die gegenteilige Rechtsauffassung gibt. Jana Schlömer von der Berliner Staatsanwaltschaft etwa merkte auf einer Podiumsdiskussion an, dass es für Autofahrer „immer zumutbar sein“ dürfte, ein paar Minuten auf das Eintreffen der Polizei zu warten.

Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke sieht das ähnlich: „Wenn Autofahrende die Demonstrierenden wegtragen, liegt grundsätzlich eine strafbare Nötigung und bei Verletzungen der Hände eine Körperverletzung, beim Einsatz von Werkzeugen wie Messern sogar eine gefährliche Körperverletzung vor.“ Auch wenn der Autofahrer ein Recht auf Notwehr hat, müsse er das mildeste Mittel wählen, was im Fall einer Blockade das Rufen der Polizei wäre.

Ermittlungen gegen Autofahrer

Tatsächlich ermittelt derzeit etwa die Staatsanwaltschaft München gegen zwei Autofahrer, die im Mai 2022 durch die „Letzte Generation“ gestoppt worden waren. Einer der Männer soll mit einem „Mehrzweckeinsatzstock“ den Kopf eines Aktivisten berührt, ihm Schläge angedroht und ihn anschließend von der Straße gezerrt haben. Der andere Autofahrer soll versucht haben, einen nicht festgeklebten Protestler von der Fahrbahn zu ziehen. Der Vorwurf gegen die beiden lautet auf Nötigung.

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Auch die Berliner Polizei hat Ermittlungen gegen mehrere Männer aufgenommen, die im Oktober 2022 zwei Aktivistinnen von einer Kreuzung in Friedrichshain gezerrt haben, bevor die Polizei eintraf. Einem Düsseldorfer Autofahrer könnte ebenfalls juristischer Ärger ins Haus stehen: Der Mann war vor wenigen Wochen wiederholt auf einen nicht festgeklebten Aktivisten zugefahren, bis der zur Seite sprang. Die Staatsanwaltschaft wertet nun Videomaterial aus und prüft Ermittlungen wegen Körperverletzung – obwohl der verscheuchte Aktivist keine Anzeige erstattet hat.

Die Hamburger Polizei bestätigt auf MOPO-Nachfrage eine geringe Zahl von Ermittlungen gegen Autofahrer, die eigenmächtig die Straße geräumt haben. Bisher wurde in Deutschland aber noch kein Autofahrer wegen seines Vorgehens gegen Klima-Blockierer rechtskräftig verurteilt.

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