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  • An einem Zaun an der Osterstraße in Eimsbüttel sind Plastiktüten mit Gaben für Obdachlose und arme Menschen geknüpft.
  • Foto: picture alliance/dpa

Hamburg und Corona: Von so viel Solidarität kann die Politik noch was lernen

Hamburg –

„Ich liebe unsere Stadt umso mehr jetzt!“ Diesen Satz schrieb mir vor ein paar Tagen ein befreundeter Gastronom. Er kämpft – wie so viele in Hamburg  – gerade ums wirtschaftliche Überleben. Doch anstatt zu hadern, fingen er und andere Betriebe an zu klotzen. Jetzt kocht er für Helden und Obdachlose, wird für mich dabei selbst zum Helden. Er bekommt dabei viel Unterstützung aus verschiedenen Ecken Hamburgs. Denn wenn etwas aktuell gewiss ist in der Corona-Zeit, dann das: Solidarität.

Sie ist quer durch die Gesellschaft der gemeinsame Nenner geworden, es ist das, was die Menschen eint, Hoffnung bringt, etwas Sicherheit in einer Zeit, die eigentlich wenig sicher scheint. In der Menschen nachts wach liegen und vor Sorge nicht schlafen können.

Julian König (35), stellvertretender Lokalchef, freut sich über die große Solidarität, die sich in Hamburg während der Corona-Zeit zeigt. Er hofft darauf, dass sich die Gesellschaft langfristig darauf beruft und sich ändert.

Julian König (35), stellvertretender Lokalchef, freut sich über die große Solidarität, die sich in Hamburg während der Corona-Zeit zeigt. Er hofft darauf, dass sich die Gesellschaft langfristig darauf beruft und sich ändert.

Foto:

Quandt

Ich habe jetzt fast drei Wochen in der Bude gehockt. Erst freiwillig, dann in ärztlich angeordneter Isolation. Es gab mehrere Covid-19-Infizierte im Umfeld meines Sohnes, meine Frau und ich haben nach wenigen Tagen teilweise selbst starke Grippe-Symptome gehabt. Entsprechend waren wir plötzlich auf Hilfe angewiesen. Einkaufen? Nicht erlaubt. Ein kurzer Spaziergang in den Park? Unmöglich. Kurz zur Apotheke? No way!

Facebook wird in der Corona-Not zum Marktplatz für Hilfsangebote

Zum Glück sind wir in der privilegierten Situation, dass wir ein gutes Netzwerk haben. Hilfsangebote kamen von Kollegen, Freunden und der Familie. Die Versorgung klappte dank meiner Mutter und meines Bruders. Meine Schwiegermutter wurde per Facetime täglich zur digitalen Babysitterin, las meinem Sohn vor, wenn wir es nicht konnten, alberte mit ihm herum. Natürlich ist das kein Ersatz für einen echten Kontakt, aber er fand es klasse. Und so haben wir es auch nach unserer Genesung beibehalten.

Neben Telefonaten wurde Facebook für mich seit langer Zeit wieder wirklich wichtig. Der Kanal war mein Fenster – zugegeben innerhalb meiner Filterblase – in die Stadt.

Initiativen, Nachbarschaftshilfen, Gutschein-Plattformen – gefühlt sind die Gruppen voll davon. Ladenbetreiber berichteten von Vermietern, die kleinen Läden die Miete erlassen. Zahlreiche Köche stehen (mit Abstand) gemeinsam am Herd und bereiten tolle Mahlzeiten für diejenigen zu, die in der Corona-Zeit unsere Gesundheit versuchen zu retten. Einige bereiten auch Gerichte für Obdachlose zu, wie die „Soli-Küche“ der „Kitchen Guerilla“.

Hamburger Gründer mit toller Idee für Restaurant-Betreiber

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Malte Steiert (M.) hat die Gastro-Plattform #paynoweatlater ins Leben gerufen.

Foto:

Steiert/Hfr

„Support your local Business“, also kauf‘ in der Nachbarschaft, scheint zu funktionieren. Die Menschen in ihren Stadtteilen und Facebook-Gruppen tauschen sich über Angebote von Buchläden aus, geben Tipps und bieten Hilfe an, wenn sie benötigt wird. Welche Restaurants bieten Außer-Haus-Verkauf an? Wer sein Lieblingslokal darüber hinaus unterstützen will, der kann es aber auch per Gutschein tun, dachte sich Malte Steiert, Gastro-Gründer und Initiator von „Pay now, eat later“, zahle jetzt und iss später. Binnen kürzester Zeit hatte er mit seinem Team eine Gutschein-Plattform auf die Beine gestellt, die hoffentlich viele Restaurants vor dem Aus rettet.

Lars Meier von „MenscHHamburg e.V.“ hat das vermutlich coolste Nicht-Festival (Keiner kommt, alle machen mit) ins Leben gerufen, bei dem Musikgrößen wie Abba und Billie Eilish nicht auftreten werden. Ich habe mir sofort eine Karte gekauft, weil ich auf gar keinen Fall hingehen möchte. Die Kohle kommt der Hamburger Kulturszene, die brutal getroffen wurde, zugute. Viele Kulturschaffende versuchen auch in dieser Zeit zu unterhalten, bieten Livestreams von Lesungen oder Auftritten an, wie beispielsweise das Schmidt Theater allabendlich bei Facebook.

MOPO startet Hilfs-Initiative für Hamburg

Auch wir von der MOPO haben vom ersten Tag der Ausnahmesituation überlegt, wie wir die Menschen vernetzen können. Entstanden ist „Das Hamburger Wir“, eine Initiative, die Hilfesuchende und Unterstützer zusammenbringt, das Gemeinschaftsgefühl stärken soll, Gelder für Projekte wie das „CaFée mit Herz“ sammelt.

Denn darauf kommt es an. In Zeiten der Angst nicht in eine große Depression zu verfallen. Sich wieder auf das zu besinnen, was wirklich wichtig ist. Wenn das Virus „Sars Cov2“ keine Schichtzugehörigkeit kennt, sollten wir unsere Grenzen im Kopf, unsere Gewohnheiten und Bequemlichkeiten auch überdenken.

Was hier in meiner, in unserer Stadt in den vergangenen Tagen passiert ist, stimmt mich zuversichtlich. Und ich hoffe, dass wir daraus lernen – über die Stadtgrenzen hinaus. „Wenn die Not größer wird, wächst das Rettende mit“, sagte meine Oma neulich am Telefon. Und sie hat Recht damit.

Hamburg muss mehr tun als ein Schwimmbad für Obdachlose öffnen

Doch auch in Hamburg darf es nicht nur dabei bleiben, dass ein Schwimmbad als Dusche für Obdachlose umfunktioniert wird, sich Privatmenschen um die ärmsten der Armen kümmern. Obdachlose haben weiterhin viel zu wenig Schutz, brauchen eigene vier Wände. Im Gegenzug sind die Hotels der Stadt verwaist. Diese für die Schutzlosen zu öffnen, könnte ein großer Schritt sein. Die Stadt muss sich zwingend um dieses Problem kümmern. Und es gibt noch viele weitere Baustellen, die wir als Zivilgesellschaft abfedern, aber eben nicht lösen können.

In vielen anderen Ländern ist die Lage weitaus dramatischer. Ich brauche es nicht explizit beschreiben, die Bilder aus Italien und Spanien kennt jeder. Bald werden vermutlich auch die ersten Toten aus den Flüchtlingslagern in Griechenland gemeldet werden. Dort hausen die Menschen eng zusammen, leben unter unmenschlichen Bedingungen. Ich finde diesen Zustand unerträglich und den Gedanken, dass die Menschen dort elendig ihrem Schicksal überlassen werden, abstoßend. Die Solidarität, die in der Nachbarschaft funktioniert, sollte Vorbild für die Entscheidungen der kommenden Tage und Wochen sein. Es geht nur zusammen! Die Politik muss dafür bald ebenso (würdige und demokratieverträgliche!) Lösungen entwickelt, wie sie für unseren Alltag in Hamburg und Deutschland Lösungen finden muss. Wir alle dürfen darauf nicht hoffen, wir müssen es fordern.

Solidarität kann man lernen

Solidarität heißt, Verantwortung für andere zu übernehmen. Nicht jeder oder jede kann das gleichermaßen. Gesellschaften sind heterogen, die Möglichkeiten der Solidarität auch. Sie lässt sich nicht erzwingen, sie kommt von den Menschen selbst. Aber: Jeder kann lernen, solidarisch zu sein. Denn klar ist: Wer Solidarität erfährt, ist auch eher bereit, selbst solidarisch zu sein. Stiften wir solange Solidarität, bis sie jeden und jede erreicht hat und fest in unserer Gesellschaft verankert ist. Nicht Sneaker oder Uhren sollten Statussymbole sein, sondern Hilfsbereitschaft. Langfristig. Nicht nur jetzt. Nicht nur in Hamburg. Es wird sich lohnen. Ich bin mir sicher, dass viele dann sagen werden: „Ich liebe unsere Stadt umso mehr jetzt!“

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