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Stevie Schmiedel
  • Dr. Stevie Meriel Schmiedel ist Genderforscherin und Gründerin der Hamburger Kampagnenschmiede Pinkstinks, die reichweitenstärkste deutsche Organisation gegen Sexismus. Für die MOPO beantwortet sie wöchentlich Ihre Fragen.
  • Foto: Yvonne Schmedemann hfr

Frag Frau Dr. Feminismus: Wird mein Sohn schwul, wenn er Rosa trägt?

Der gehobene Hamburger trägt gerne Rosa: Im Büro gerne das rosafarbene Hemd zum blauen Anzug, auf dem Golfplatz die rosafarbenen Bermuda-Shorts zum Polohemd. Nie käme jemand auf die Idee, dass das „schwul“ sei – eher modisch etwas einseitig, aber das ist eine andere Geschichte. Heute hört jeder Vierjährige, dem Mutti in der morgendlichen Eile die rosa Mütze der Schwester auf den Kopf gesetzt hat, bei Ankunft im Kindergarten sofort: Iiih, du bist schwul! Er hat noch keine Ahnung, was das ist, aber dass das was ganz Schlimmes sein muss, hört er sofort.

Rosa für Männer ist o.k. – bei Jungs hört der Spaß aber auf. Warum ist das so? Mal drei Fakten vorab: Mädchen haben kein Rosa-Gen! Viele Jungs finden die Farbe auch toll. Zweitens: Schwul wird man nicht durch Farben und drittens: Es ist völlig egal, wen Ihr Kind liebt. Hauptsache, es wird glücklich. Stopp, es sind vier Fakten, entschuldigen Sie: Homofeindlichkeit ist unterirdisch. Aber das wissen Sie ja hoffentlich längst. Warum dann diese unglaubliche Angst vor Rosa? Ich kenne übrigens Männer, die homosexuell sind und Rosa schrecklich finden. Und ich soll mal gesagt haben, dass Pink stinkt. Ich versichere Ihnen aber: Farben sind komplett wurscht, wenn es darum geht, ob jemand Junge oder Mädchen, hetero- oder homosexuell ist.

Neue Kolumne von Stevie Schmiedel in der MOPO

Kaiser Wilhelm wurde als Baby noch in rosa Seide gekleidet, das schien damals viel männlicher als das sanfte Marienblau. Das „kleine Rot“ sollte kleine Feldherren auf Schlacht und Macht vorbereiten: Umhänge von Königen und Spiderman werden noch heute im Kindergarten knallrot gemalt. Erst im 20. Jahrhundert wurde der „Blaumann“ als Arbeiterlook ersonnen und schwupp – drehte sich alles um. Komplettes Gender-Gaga! Rosa wurde Mädchenfarbe! Und jetzt haben wir den Salat: Eltern und Großeltern bekommen Panikattacken, wenn ihr kleiner Prinz einen rosa Smartie verschluckt. Oder womöglich das rosa Tutu der Schwester anziehen möchte.

Ich rate Ihnen: Atmen Sie tief durch und denken Sie an den Sonnenkönig, Louis IX. In seiner Zeit wurden hochhackige Schuhe erfunden – zunächst nur für Männer, natürlich. Damit sie etwas höher stehen als die Damen und majestätischer schreiten. Und die Perücken damals – und Rüschen! Ist heute alles wieder da wie immer in der Mode: Der absolute Ober-Mädchenschwarm und Sänger Harry Styles war kürzlich auf dem Cover der „Vogue“ im Rüschenkleid und Blazer zu sehen, darauf stehen Mädels heute. So richtige Kerle, die sich trauen, in Mode zu machen. Kantig, aber mit Schmuck und ganz leichtem Make-up.

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Trotzdem verkauft sich Blau und Bagger für Jungen und Rosa und Glitzer für Mädchen noch unglaublich gut: Aus Angst, etwas falsch machen zu können, greifen Eltern gerne zu, wenn „für Jungs“ oder „für Mädchen“ draufsteht. Denn „schwul“ sein heißt gleichzeitig, „nicht richtig Junge“ oder „wie ein Mädchen“ zu sein. Und die Frage ist: Warum darf Ihr Sohn nicht „wie ein Mädchen“ sein, falls das Ihre Sorge und Assoziation mit Rosa sein sollte? Was wäre so schlimm daran?

Mädchen sein ist ziemlich cool

Mädchen sein ist nämlich ziemlich cool. Denn Mädchen werden Frauen, die im Schnitt fünf Jahre länger leben als Männer. Warum? Vorrangig, weil sie weinen und jammern dürfen, was Männern nach wie vor verboten ist. So merken sie oder andere, wenn sie zum Arzt müssen. Sie gehen zur Vorsorge, reden mit ihren Freundinnen über Gefühle und Nöte, sie kümmern sich um sich. Das üben sie schon mit den rosa Puppen und Puppenküchen, die sie geschenkt bekommen, ohne danach gefragt zu haben. Jungs hingegen, die sich ja in der Regel nicht hingebungsvoll gegenseitig schminken, mit ihren Kumpels Hand in Hand gehen oder „I love you“-WhatsApps schreiben dürfen, sind eher gefährdet, im Jugendalter Depressionen, Alkohol- oder Spielsucht zu erleben oder kriminell zu werden. Ist leider tatsächlich so.

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Mein Tipp: Fangen Sie klein an. Schenken Sie Ihrem Sohn einen Teddy. Meinetwegen in Blau. Decken Sie den abends gemeinsam zu und sorgen sich um ihn. Hat er es auch warm genug? Braucht der noch eine Milch oder ein Schlaflied? Irgendwo muss der kleine Kerl ja anfangen, zu lernen, was Sorgearbeit ist – die soll er in einer modernen Welt später ja nicht nur für seine Kinder, sondern vor allem für sich selbst leisten. Ob er dann Hosen oder Kleider und in welcher Farbe tragen oder Männer, Frauen oder andere lieben wird, ist davon unabhängig. Das Erstere wird viel mit Mode zu tun haben, alles andere mit einer Mischung aus Genen und seinem weiteren Lebenslauf. Auf jeden Fall nicht mit der Farbe seines ersten Strampelanzugs. Das kann ich Ihnen wissenschaftlich versichern.

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